Psychiatrischer Maßregelvollzug: Nachdenken über Gustl M.

Den Fall Mollath nutzt die Neue Richtervereinigung zu Reformvorschlägen für den Maßregelvollzug. Das ist auch im Sinne der Bundesjustizministerin.

Schloss und Riegel: Die Zahl der Einweisungen in die Psychiatrie hat sich seit 1996 verdoppelt. Bild: dpa

KARLSRUHE taz | Immer mehr Straftäter sind zeitlich unbefristet in der Psychiatrie untergebracht. Johann Bader von der Neuen Richtervereinigung sieht darin das Symptom einer „ängstlichen Gesellschaft, die nicht mit Risiken umgehen kann“. Er fordert deshalb grundlegende Reformen am psychiatrischen Maßregelvollzug.

Der Fall Gustl Mollath hat das Thema auf die politische Tagesordnung gesetzt. Der Franke sitzt seit 2006 in einem psychiatrischen Krankenhaus. Das Landgericht Nürnberg hatte angenommen, dass Mollath seine Frau geschlagen und die Reifen von vermeintlichen Verbündeten seiner Frau zerstochen hat. Wegen Schuldunfähigkeit aufgrund von Wahnvorstellungen wurde Mollath freigesprochen, aber zugleich in die Psychiatrie eingewiesen: Er wähne sich im Kampf gegen Schwarzgeldverschiebungen, in die seine Frau verwickelt sei.

Später stellte sich heraus, dass es beim Arbeitgeber der Frau, der HypoVereinsbank, tatsächlich Schwarzgeldtransfers gegeben hatte. Inzwischen wird auf Antrag von Mollath, aber auch auf Betreiben der Staatsanwaltschaft eine Wiederaufnahme des Verfahrens geprüft.

Natürlich sind nicht alle Fälle so dramatisch wie der von Mollath, aber die Zahl der strafrechtlichen Psychiatrie-Einweisungen hat massiv zugenommen, von knapp 3.000 im Jahr 1996 auf 6.750 im Jahr 2012 (bezogen auf die alten Bundesländer).

Unbefristete Unterbringung bei geringstem Anlass

Johann Bader ist Stuttgarter Landesvorsitzender der Neuen Richtervereinigung, der linken Konkurrenz zum Deutschen Richterbund. Er kritisierte auf einer Pressekonferenz in Karlsruhe, dass die Psychiatrie-Unterbringung schon bei geringsten Anlasstaten – wie einem Hausfriedensbruch – möglich ist. Er fordert die Beschränkung auf „schwerwiegende“ Anlasstaten.

Außerdem müsse die Psychiatrie-Unterbringung zeitlich begrenzt werden, niemand solle länger in der Psychiatrie untergebracht werden, als er bei Schuldfähigkeit hätte im Gefängnis sitzen müssen. Derzeit ist die Psychiatrie-Unterbringungen unbefristet und endet erst, wenn der Betroffene bei den jährlichen Überprüfungen nicht mehr als gefährlich gilt.

Gerhard Strate, der Anwalt von Gustl Mollath, begrüßte die Initiative der kritischen Richter. Er will Mollath aber nicht aus der Psychiatrie holen, weil die Unterbringung unverhältnismäßig lange andauert. Er geht vielmehr davon aus, dass die Anlasstaten – das Würgen der Frau und die Reifenstechereien – gar nicht stattgefunden haben.

Der Mannheimer Anwalt Günter Urbanczyk, der auf Unterbringungsfälle spezialisiert ist, kennt zahlreiche Fälle, bei denen psychisch kranke Straftäter deutlich länger in der Psychiatrie bleiben mussten als „normale“ Straftäter. So schilderte er den Fall eines Mannes, der im Streit mit einer Arbeitsvermittlerin diese mehrfach bedroht hatte und nun seit fünf Jahren in der Psychiatrie sitzt, während er ansonsten wohl nur eine Geld- oder Bewährungsstrafe erhalten hätte.

Vor Kurzem hat Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) auch Reformbedarf erkannt und ein Eckpunktepapier vorgelegt. Danach soll die Psychiatrie-Unterbringung auf acht Jahre begrenzt werden, außer, es drohen Taten, „durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden“. Außerdem soll schon nach zwei (statt bisher fünf) Jahren ein externer Sachverständiger begutachten, der nicht in der Einrichtung arbeitet. Anwalt Strate zeigte sich skeptisch: „Die Gutachter kennen sich alle, dass da mal einer vom anderen abweicht, erfordert viel Mut.“

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