piwik no script img

Prozesse nach Waldbesetzung in FlensburgHausfriedensbruch im Wäldchen?

Wegen der Besetzung des Flensburger Bahnhofswaldes steht eine Aktivistin vor Gericht. Ein anderes Verfahren wurde eingestellt.

Hausfriedensbruch oder nicht? Aktivist hängt im Bahnhofswald am Baum Foto: Benjamin Nolte/dpa

Rendsburg taz | Hausfriedensbruch lautet der Vorwurf gegen Hanna Poddig, die am heutigen Donnerstag in Flensburg vor Gericht steht. Die Aktivistin kämpfte im Herbst und Winter 2020/21 für den Erhalt eines Wäldchens am Flensburger Bahnhof, das für den Bau eines Hotels mit Parkhaus abgeholzt werden sollte. Das Wäldchen wurde bei einer illegalen Aktion zwar zum Teil zerstört, aber der Bau nie begonnen.

Poddig droht nun eine hohe Strafe, weil die Staatsanwaltschaft davon ausgeht, dass sie sich wochenlang auf dem Gelände aufgehalten und dort in selbst gebauten Baumhäusern gelebt habe. Gleichzeitig bietet die Staatsanwaltschaft einem Mitstreiter von Poddig an, dessen Verfahren einzustellen – wegen Geringfügigkeit und fehlenden öffentlichen Interesses.

Passt nicht zusammen, finden beide. Poddig kritisiert, dass die Verfahren gegen die Personen, die ohne Genehmigung Bäume ansägten und damit Menschen gefährdeten, nie eröffnet wurden.

In dem Wäldchen an der Straße, die zum Bahnhof führt, wollten Flensburger Investoren in Kooperation mit einer chinesischen Investmentfirma ein Intercity-Hotel mit rund 150 Zimmern, Veranstaltungsräumen und einem angrenzenden Parkhaus bauen. Um das Projekt hatte es jahrelang politischen Streit im Stadtrat gegeben.

Parkhaus für Pendler

Am Ende erhielten die Investoren die Genehmigung. Die Stadtverwaltung, damals unter Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD), sah Vorteile und versprach sich vom bahnhofsnahen Parkhaus mehr Zug-Pendler*innen.

Doch es gab Proteste von Anwohner*innen, die die grüne Oase erhalten wollten. Im Herbst 2020 errichtete eine Gruppe von Ak­ti­vis­t*in­nen mehrere Baumhäuser in den Wipfeln. Schwierig war das nicht: Zwar waren am Rand des Geländes Reste eines Maschendrahtzauns zu erkennen, aber je­de*r konnte vom Gehweg oder von einem benachbarten Parkplatz in den Wald gelangen. Die Frage, ob das Betreten eines öffentlichen Waldes Hausfriedensbruch sei, spielte bei mehreren Prozessen eine Rolle.

„Die Gesamtschau ist spannend“, sagt Hanna Poddig. „Was wird angeklagt, was nicht?“ Ihr drohen nach dem Willen der Staatsanwaltschaft 60 Tagessätze – in anderen Fällen ging es um 15 Tagessätze.

So auch im Fall von Philipp A., der in der ersten Instanz freigesprochen wurde: Die Flensburger Richterin hatte anerkannt, dass die Ak­ti­vis­t*in­nen sich gegen den Notstand der Klimakatastrophe einsetzten, und dieses Anliegen höher zu bewerten sei als das Betreten des Wäldchens. Doch das Oberlandesgericht in Schleswig hob den Freispruch auf. Nun soll der Fall eingestellt werden.

Die Gesamtschau ist spannend: Was wird angeklagt, was nicht?

Hanna Poddig, Aktivistin

Noch haben A. und sein Verteidiger Alexander Hoffmann nicht angenommen. Aber A. glaubt, dass sich die mögliche Einstellung seines Verfahrens auswirken könnte: „Wenn es hier nur eine geringe Schuld und kein öffentliches Interesse gibt, warum sollte das nicht für die anderen Fälle gelten?“ Hoffmann sieht auch höhere Hürden durch den Prozess in Schleswig: „Das Oberlandesgericht hat klargelegt, welche Beweise für eine Verurteilung erbracht werden müssten.“

Hanna Poddig verweist außerdem darauf, dass die Staatsanwaltschaft zwar gegen die Ak­ti­vis­t*in­nen vorgeht, aber die Ermittlungen gegen die Ar­bei­te­r*in­nen eingestellt hat, die im Februar 2021 ohne Genehmigung Bäume ansägten, darunter auch einen, auf dem eine Person saß. „Der Baum war hoch. Wenn die Person gefallen wäre, wäre sie sehr wahrscheinlich tot“, sagt Poddig. „Die Ermittlungen einzustellen bedeutet im Grunde, dass die Staatsanwaltschaft sagt, für den Hotelbau sei es erlaubt, über Leichen zu gehen.“

Nachdem Firmen im Auftrag der Investoren mehrere Bäume angesägt hatten, drohte Sturzgefahr, daher wurde ein Teil des Waldes abgeholzt. Doch eine Klage des BUND verhinderte den Baubeginn. Inzwischen ist unklar, ob das Hotel jemals entsteht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ja, das geht ja garnicht dass da jemand wochenlang im Wald wohnt !

    Da muss der Staat unbedingt seine Zähne zeigen !

    Das wurde auch sicher schon in der Gerichtskantine ausgegklüngel, nicht wahr ?

    Aber wo wir gerade bei "Zähne zeigen" sind:

    Ich finde als besonderes Organ des deutschen Rechtssystems sollte jeder Richter zu Beginn jeder Verhandlung die Frage stellen:

    "Was gibt es Neues im Fall Mouhamed D. - dem in Dortmund durch fünf Kugeln aus einer Polizei-MP getöten Jugendlichen"