Prozesse nach Protesten auf Kuba: Den eigenen Gesetzen zum Trotz

Nach den Demonstrationen vom 11. Juli sitzen Minderjährige in Haft. In Sammelprozessen finden Verurteilungen ohne Verteidigung statt.

Eine Frau hält das gerahmte Bild eines Mädchens mit einem Kranz aus Rosen im Haar

Heissy Celaya mit dem Porträt ihrer verhafteten Tochter Amanda in Havanna, 21. Juli 2021 Foto: Alexandre Meneghini/reuters

HAMBURG taz | Für Kubas Außenminister Bruno Rodríguez Parrilla ist Kuba einmal wieder Opfer einer internationalen Diskreditierungskampagne. Die breiten Proteste vom 11. Juli waren in seinen Augen keineswegs eine „soziale Explosion“. Es seien auch „keine Minderjährigen verhaftet“ worden und die Behörden würden „alle rechtlichen Garantien der Gesetze erfüllen“.

Doch genau das scheint nicht in vollem Umfang der Fall zu sein, wie selbst die Generalstaatsanwältin der Insel, Yamila Peña, bereits am Samstag gegenüber der Presse einräumte. Demnach seien einige wenige Minderjährige inhaftiert worden.

Elf sind es laut den Recherchen von Cubalex, einer juristischen Beratungsorganisation, die seit 2017 aus Pennsylvania in den USA arbeitet. Geleitet wird die in Kuba 2010 gegründete Organisation, die Ende 2016 nach der Beschlagnahme von Computern und Akten in Havanna in die USA emigrierte, von Laritza Diversent. „Unter den elf Fällen von Minderjährigen, die unseren Recherchen zufolge von den kubanischen Sicherheitskräften festgenommen wurden, sind zwei 15-Jährige, die auch in Kuba noch nicht strafmündig sind.“

Oft wissen Angehörige auch nach Tagen nicht, wo sich Verhaftete befinden

Hintergrund ist, dass im kubanischen Strafgesetzbuch die Strafmündigkeit ab 16 Jahren fixiert ist, wonach rein formell die Verhaftung der neun anderen Jugendlichen gesetzlich gedeckt ist. So wie die von Gabriela Zequeira, einer 17-Jährigen, die am 22. Juli in einem Sammelprozess zu einer Haftstrafe von acht Monaten verurteilt wurde. „Störung der öffentlichen Ordnung“ lautete die Anklage gegen die junge Frau, deren Fall die britische BBC publik gemacht hat. Anders als es die kubanischen Gesetze vorschreiben, wurde der 17-Jährigen kein juristischer Beistand gewährt.

Aufenthaltsort unbekannt

„Kein Einzelfall“, so kritisiert Laritza Diversent, die auf das Beispiel des kubanischen Fotografen Anyelo Troya verweist. „Er wurde am 20. Juli ebenfalls in einem Sammelprozess zu einer Haftstrafe von einem Jahr verurteilt, und auch in diesem Verfahren war kein Anwalt zugegen“, kritisiert die Juristin.

Das verstoße gegen kubanische Gesetze. Zudem sei es auch nicht mit dem kubanischen Strafgesetzbuch vereinbar, dass Familienangehörige in vielen Fällen nicht über den Aufenthaltsort ihrer Angehörigen informiert werden. „Wir recherchieren derzeit noch in 36 Fällen, in denen die Familien nicht wissen, wo ihre Angehörigen sind. Sie wurden nicht über deren Festnahme informiert und erhielten in vielen Fällen auch keine Information auf Polizeirevieren oder von Haftanstalten, ob ihre Angehörigen dort festgehalten werden“, so Laritza Diversent.

Das erfülle den Tatbestand des gewaltsamen Verschwindenlassens und sie weist darauf hin, dass Kuba zu den Unterzeichnern der internationalen Konvention gehört, die das gewaltsame Verschwindenlassen ächtet.

Dem widersprach die kubanische Regierung bereits vor einer Woche. „In Kuba gibt es keine Verschwundenen“, so Regierungssprecher Humberto López. Und Víctor Álvarez Valle vom Innenministerium ergänzte, dass es in Kuba auch keine geheimen Gefängnisse gäbe.

Havanna ignoriert Strafgesetzbuch

Dem gegenüber stehen die Recherchen von Cubalex, die weitgehend von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch bestätigt werden. 707 Festnahmen hat die Rechtsberatungsorganisation bisher registriert, 236 davon werden noch überprüft und in 260 Fällen wurden die Menschen wieder freigelassen. Meist sind es die Familienangehörigen, die sich über ein Notruftelefon bei dem Team um Laritza Diversent melden und deren Aussagen aufgenommen werden.

Zudem wird im Internet zu den einzelnen Verhaftungen recherchiert, Verbindungen zu anderen Fällen in der gleichen Stadt und zu An­wäl­t*in­nen aufgenommen. So hat die Organisation, die sich über Spenden finanziert, auch international auf sich aufmerksam gemacht. Existentiell sind jedoch die guten Kontakte auf der Insel und in die kritische Zivilgesellschaft. Zu Organisationen wie den Künstlergruppen Movimiento San Isidro oder 27N, von denen mehrere Ak­ti­vis­t*in­nen wie Luis Manuel Otero Alcántara inhaftiert oder unter Hausarrest stehen.

Rein rechtlich, so erklärt Laritza Diversent, sei auch die Verhängung von Hausarrest gegenüber Ak­ti­vis­t*in­nen der Zivilgesellschaft juristisch nicht haltbar. „Ein Polizist, der einen daran hindert, die eigene Wohnung zu verlassen, ist im kubanischen Strafgesetzbuch nicht vorgesehen. Hier wird im rechts­freien Raum agiert und das seit Monaten“, kritisiert Diversent.

Alarmierend sei auch, dass rund um den 11. Juli das Strafgesetzbuch nur selektiv angewandt werde. „Wir wissen von keinem Fall, in dem gegen die Sicherheitskräfte wegen unverhältnismäßiger Gewaltanwendung ermittelt wird.“

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