Prozess zum Attentat auf Synagoge: Das Grinsen des Angeklagten
Am zweiten Verhandlungstag gegen den Halle-Attentäter haben die Opferanwält:innen das Wort. Der Beschuldigte will den Prozess weiter als Bühne nutzen.
Zunächst wird das Video gezeigt, mit dem der Täter sein Handeln ins Internet übertrug. Es zeigt, wie er am 9. Oktober vergangenen Jahres während des jüdischen Feiertags Jom Kippur versuchte, sich mit selbst gebauten Waffen Zugang zur Synagoge in Halle zu verschaffen. Als das misslang, erschoss er die Passantin Jana L. und den Dönerimbiss-Kunden Kevin S. Mehrere Personen wurden verletzt.
Einige Nebenkläger:innen schließen die Augen, manche weinen, andere verlassen den Raum. „Ich würde gern die Aufmerksamkeit auf das Grinsen des Angeklagten richten“, sagt einer der Anwälte. Es ist der Wunsch der Opfer, dass dem Täter medial keine Bühne geboten wird. Denn ebendies sei sein Ziel – mit dem Video wie dem Prozess.
Trotz der Videodokumentation haben die Opfer und der Bundesanwalt viele Fragen. War es Vorsatz, dass der Täter auf der Flucht einen Schwarzen Mann anfuhr? Was ist mit dem Angriff auf ein Paar, das ihm nicht sein Auto übergeben wollte? Wie radikalisierte er sich? Die Nebenkläger:innen wollen, dass die Tat in einen Kontext gesetzt und erklärt wird, wie es so weit kommen konnte.
Der Angeklagte will „seine Leute“ schützen
Bis 2015 sei er selbst „nicht so politisch“ gewesen, sagt der Beschuldigte. Und auch danach habe er kaum mit Menschen im realen Leben über Politik gesprochen. In seiner Familie habe er sich nicht rassistisch und antisemitisch geäußert. Im Internet hingegen sei dies anders. Wo genau er sich dort radikalisiert habe, wolle er nicht sagen, um „seine Leute“ zu schützen.
Die Opferanwält:innen Kristin Pietrzyk und Alexander Hoffmann bestehen darauf, dass der Angeklagte ihre Fragen konkret beantwortet. Sie wollen ihm keinen Raum geben, seine kruden Theorien vorzutragen. Gleichzeitig versucht Hoffmann, diese zu entlarven: „Wann hat Ihnen ein Ausländer den Job weggenommen? Welchen Job, von dem Sie geträumt haben, haben Sie nicht bekommen“, fragt er. Er wird laut: „Sie haben doch gar nichts Nützliches gemacht, aber stattdessen sagen Sie, Ausländer nehmen Ihnen die Arbeitsplätze weg.“ Der Angeklagte weigert sich, die Fragen der Anwält:innen zu beantworten.
Noch bevor die Opferanwälte am Nachmittag Fragen stellen, befragt die Verteidigung den Angeklagten. Anders als am Vortag behauptet dieser nun, nicht gewusst zu haben, ob sich Menschen in der Synagoge befanden. Als Pietrzyk darauf hinweist, stellt die Verteidigung einen Antrag auf Protokollierung der Aussagen des Täters.
Um kurz nach eins verkündet Richterin Mertens die Ablehnung des Antrags: „Es kommt nicht auf den Wortlaut an, sondern auf dessen Sinngehalt im Kontext der Aussage des Angeklagten“, heißt es. Nichts davon lässt einen Zweifel an einem vorsätzlichen rechtsextremistischen Terroranschlag. Nach dem Angriff auf die Synagoge habe er vorgehabt, ein muslimisches Zentrum oder „andere Orte“ anzugreifen. Nur der angeschossene Autoreifen habe ihn daran gehindert.
Ideologisch gefestigt
Der ursprüngliche Plan sei es gewesen, eine Moschee anzugreifen, gibt der Angeklagte im Laufe des Tages zu. Er lacht, schildert munter seine Taten, verstellt seine Stimme, macht Witze, fällt Anwält:innen ins Wort. Er stellt persönliche Gegenfragen und spricht von einem Kampf gegen Juden und Muslime. Ob dieser nun beendet sei? Kein Kommentar.
Der Prozesstag läuft zäh. Das Gericht arbeitet sich an der ideologischen Motivation des Täters, der Rekonstruktion der Tat und deren Vorbereitung, einer möglichen Mitwisser:innenschaft der Eltern und Details der selbst gebauten Waffen ab. Und es geht um die größere Frage, die Bundesanwalt Lohse im Laufe des Tages, an den Täter gerichtet, wie folgt formuliert: „Sie werden eines Tages sterben. Ich werde eines Tages sterben. Alle, die hier sind, werden eines Tages sterben. Folgt daraus nicht, dass wir unabhängig von Religion und Hautfarbe alle gleich sind?“
Der zweite Verhandlungstag beweist: Von dem ideologisch gefestigten Täter ist ein solches Eingeständnis nicht zu erwarten. Doch es ist ebendiese Frage, deren Nachhall sich ein Großteil der Anwesenden wünscht.
Anmerkung der Redaktion: Bei der Redaktionskonferenz der taz wurde am Mittwoch die Frage lange diskutiert, ob der Name des Täters genannt werden sollte. Einige plädierten für, andere gegen die Namensnennung. Einige AutorInnen haben den Täter in ihren Texten benannt, bei diesem Text hat die Autorin darauf verzichtet. Es ist etwas in Bewegung geraten. Die Redaktion wird sich mit ExpertInnen und Betroffenen beraten, um dann eine generelle Linie für die taz zu finden.
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