Prozess zu mutmaßlichem Rechtsterror: Was wollte „Heydrich“?
Ein Elektriker aus der Oberpfalz soll einen Anschlag geplant haben, eine Waffe hatte er bereits. Böses will er damit aber nicht im Sinn gehabt haben.
In diesem Fall ist Heydrich nur ein besonders makaberer, wenn auch aussagekräftiger Spitzname, den ein junger Mann aus der Oberpfalz für seine Auftritte in rechtsextremen Chats gewählt hat. Und ihm legt die Staatsanwaltschaft nun zur Last, er habe eine „schwere staatsgefährdende Gewalttat“ geplant. Konkret: Er habe mit entsprechend umgebauten Waffen einen rechtsextremen Anschlag auf eine Synagoge oder eine Moschee begehen und dabei möglichst viele Menschen töten wollen.
Es ist kurz vor 9 Uhr am Donnerstag, als Fabian D., so der tatsächliche Name des Angeklagten, den Gerichtssaal E.006 des Strafjustizzentrums Nürnberg betritt. Sein Gesicht verbirgt er hinter einem blauen Aktenordner. Auch nachdem Kameraleute und Fotografen den Saal verlassen haben, wird man nicht viel von ihm sehen, er sitzt mit dem Rücken zu den Zuschauern, trägt Brille und einen schwarzen Anzug. Das Sakko spannt etwas. Das blonde Haar ist an den Seiten kurz rasiert.
D. soll sich vor allem in Chatgruppen im Internet herumgetrieben, mit seinen Plänen geprahlt und um Tipps gebeten haben. So habe er sich nach einem geeigneten „Ort der Andacht“ erkundigt. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft müssen damit jüdische oder muslimische Gebetshäuser gemeint gewesen sein.
Die übelsten Ecken der rechten Terrorszene
Die entscheidende Frage nun, die es für die Staatsschutz-Kammer unter dem Vorsitzenden Richter Bernd Zuber zu klären gilt: Wie ernst gemeint hat Fabian D. seine Sprüche tatsächlich? Haben die Behörden hier im letzten Moment einen Terroranschlag mit vielen Toten verhindert? Oder wollte sich da nur einer im Netz aufspielen? Selbst ob Fabian D. am Ende tatsächlich schon über eine funktionstüchtige Waffe verfügte, ist unklar.
So viel scheint bislang zumindest festzustehen: D. wohnte in einem 2000-Seelen-Dorf im Oberpfälzer Landkreis Cham, gleich an der tschechischen Grenze. Dort lebte er im Keller seiner Eltern. Tagsüber arbeitete er als Elektriker. So weit, so unauffällig. Doch die Anti-Terror-Ermittler verdächtigten den Mann, kurz vor einem Terroranschlag zu stehen. Am 5. Februar dieses Jahres erfolgte der Zugriff. D., damals 22 Jahre alt, wurde im Elternhaus festgenommen. Auf Antrag der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus bei der Generalstaatsanwaltschaft München wurde tags darauf ein Haftbefehl erlassen, D. in Untersuchungshaft genommen.
Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass es sich bei D. nicht um einen einzelnen Wirrkopf handelt, der im stillen Kämmerchen etwas ausgeheckt hat, sondern um einen Mann mit Verbindungen in die übelsten Ecken der rechten Terrorszene. Die Feuerkrieg Division (FKD), eine international vernetzte Gruppe, scheint zwar zahlenmäßig recht überschaubar zu sein, die von ihr ausgehende Gefahr schätzen die Ermittler jedoch als sehr hoch ein. Es waren die Chatgruppen dieser Rechtsextremen, auf denen sich Fabian D. in seiner Freizeit herumtrieb.
Die FKD hängt einer zutiefst rassistischen Ideologie an, ins Visier hat sie Muslime und Juden genommen, aber auch Homosexuelle oder Kommunisten. Sie gilt als Abspaltung der „Atomwaffen Division“, die seit fünf Jahren in den USA ihre verbrecherischen Ziele verfolgt. Dort ermordeten die Neonazis bereits mehrere Menschen und planten Anschläge. Vor zwei, drei Jahren expandierte die Gruppe auch ins Ausland.
Eine Deko-AK-47
In Deutschland erhielten die Sicherheitsbehörden zum ersten Mal im Sommer 2018 konkrete Hinweise auf hiesige Mitglieder der „Atomwaffen Division“. Der Chatgruppe der FKD, in der sich Fabian D. austauschte und wohl auch weiter radikalisierte, sollen 30 bis 40 Mitglieder angehört haben, überwiegend aus Europa.
Sowohl „Atomwaffen Division“ wie auch Feuerkrieg Division agieren dezentral, folgen dem Prinzip des sogenannten führerlosen Widerstands – was ihre Verfolgung natürlich noch erschwert. Ihre Mitglieder tauschen sich vor allem in Chatforen aus. Hier soll sich der nun Angeklagte zu seinen Anschlagsplänen geäußert haben.
Dass er sich auf einen Anschlag schon konkret vorbereitete, geht für die Ermittler unter anderem daraus hervor, dass sich D. im Mai 2019 bei einem Internethändler ein Kalaschnikow-Sturmgewehr, eine AK 47, als sogenannten Deko-Nachbau bestellt hat.
Der Nachbau, so nimmt die Staatsanwaltschaft an, soll als Vorlage für den Umbau zu einer funktionstüchtigen Waffe gedient haben. Hierzu beschaffte sich D. auch einige originale Waffenteile, einschließlich eines Leuchtpunktzielgerätes. Außerdem kaufte er beim einem Waffengeschäft in Cham noch zwei Luftgewehre und drei Schreckschusswaffen. Sie hätten ihm zu Übungszwecken gedient, so die Ermittler.
Bombenbau à la Netz
Über ein Archiv der Chatgruppe soll sich D. zudem Anleitungen zum Bombenbau sowie Anschlagsvideos und rechtsextreme Schriftstücke heruntergeladen haben wie die Manifeste verschiedener rechter Attentäter. Besonders intensiv muss er sich mit dem Anschlag in Halle beschäftigt haben, bei dem es dem Täter nicht gelang, eine Synagogentür zu überwinden. Entsprechend soll D. sich eingehend mit Schließtechniken von Türen auseinandergesetzt haben.
Ja, sein Mandant werde sich zur Sache einlassen, kündigte Verteidiger Christian Schulz an. Er gebe auch die ihm vorgeworfenen Taten zu, bloß habe er niemals vorgehabt, einen Anschlag zu verüben oder auch nur anderen Menschen Leid zuzufügen. „In diese Richtung sollte das, was der Herr D. gemacht hat, niemals gehen.“
Die Kalaschnikow, so die Verteidigung, habe er sich beispielsweise nur gekauft, um im Schützenverein zu schießen. Die Schreckschusspistolen und Luftdruckgewehre habe er sich zugelegt, weil er „technikaffin“ sei. Und auch aus den Äußerungen in den Chatforen dürfe man nicht ableiten, dass D. irgendwelche bösen Pläne gehegt habe. Vielmehr hingen sie mit einer Erkrankung zusammen, auf die man im Laufe des Verfahrens sicher noch zu sprechen komme.
Um sich einen besseren Eindruck von D. machen zu können, hörte das Gericht am Donnerstag zunächst Zeugen aus seinem Umfeld. Aber aus den Aussagen von Familienmitglieder ergibt sich nur ein schemenhaftes Bild von dem Mann, der so Ungeheuerliches geplant haben soll. Als „ganz normal“, „tierlieb“ und „in der Pubertät ein bisschen aufsässig“, schildert ihn etwa seine Mutter, als „netten Kerl“ die Oma. Doch nicht alles, was sie und die übrigen Zeugen zu erzählen haben, entspricht dem Standardlebenslauf eines Jugendlichen auf dem bayerischen Land.
Ein normaler, tierlieber „Mein Kampf“-Leser
Zum Beispiel dass er sich an die Adresse der Großeltern eine Ausgabe von „Mein Kampf“ habe schicken lassen. Oder dass er sich von seinem Cousin im Wald in Tarnkleidung und mit seiner Deko-Kalaschnikow im Anschlag hat fotografieren lassen. Das Bild teilte er dann im Chat, das Gesicht mit einem Totenkopf verdeckt. Überhaupt sei er zuletzt fast nur noch in Militärklamotten unterwegs gewesen, er habe halt alle zwei Jahre einen neuen Spleen gehabt.
Dem Cousin schickte er auch das Video, das der Attentäter von Christchurch während des Massenmordes gedreht hatte. Und einmal zeigte er ihm ein „Video von dieser komischen Atomwaffen Division“ – die seien „politisch engagiert“. Und Heydrich, den Spitznamen hätten ihm ja eigentlich seine Arbeitskollegen gegeben, vermutlich weil er damals so einen Seitenscheitel getragen habe.
Und sonst: Der Fabian, der sei halt schon immer ein Eigenbrötler gewesen. Sprechen tue er ja sowieso recht wenig. Er sei auch sehr schüchtern und vermeide es, unter Leute zu gehen. Sein Zimmer habe er vermüllen lassen, klagt seine Mutter. Und wenn sie dort nach dem Rechten habe sehen wollen, sei sie von einer Überwachungskamera beobachtet worden, die er dort ihretwegen installiert habe.
Ist Fabian D. also nur ein kleiner Spinner? Oder ein ernstlich psychisch Erkrankter? Oder doch ein gefährlicher Terrorist? Um das herauszufinden, hat Richter Zuber zunächst vier Verhandlungstage angesetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen