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Prozess wegen Pick-Up-Angriff„Gemischte Gefühle“ nach Amokfahrt

Im Prozess gegen einen Mann, der in Henstedt-Ulzburg Linke attackierte, sagte am Mittwoch sein Begleiter aus. Er sieht die Tat als „Panikreaktion“.

Henstedt-Ulzburg: Auch vor zwei Wochen gab es hier wieder eine AfD-Veranstaltung samt Gegenprotest Foto: Jonas Walzberg/dpa

Kiel taz | Sein „scheiß Pullover“ sei wohl schuld gewesen, dass „die uns für Scheiß-Nazis hielten“, meint Finn-Ole P. Der heute 24-Jährige war einer der Begleiter von Melvin S., der am 17. Oktober 2020 mit einem Pick-up in eine Gruppe von Menschen fuhr, die in Henstedt-Ulzburg gegen einen AfD-Parteitag demonstrierten. Seit Anfang Juli wird vor dem Kieler Landgericht gegen S. wegen versuchten Totschlags verhandelt.

Die Polizei hatte die Tat, bei der mehrere Menschen verletzt wurden, zunächst nur als Unfall eingeordnet und eine Schuld auf beiden Seiten gesehen. Das lag auch an Finn-Ole P., der kurz nach der Tat Anzeige erstattet hatte: Er sei geschlagen worden. Mit der Amokfahrt habe der damals 19-jährigen Melvin S. in einer „Panikreaktion“ versucht, ihm zur Hilfe zu kommen.

Im grünen Hoodie, die blonden Haare über der Halbglatze nach hinten gegelt, erschien P. vor der Jugendstrafkammer. Wie schon an früheren Prozesstagen gab es eine Kundgebung gegen rechte Gewalt vor dem Gebäude. Im Saal nahm sich Richterin Maja Borrmann viel Zeit mit dem einsilbigen Zeugen, der sich schwer tat, sich zu erinnern oder Dinge einzuordnen.

Kraftfahrer P., zum Tatzeitpunkt noch in der Lehre, gehörte wie S. einer Gruppe namens „Ortskontrollfahrt“ an, die sich in der Coronazeit gegründet hatte. Am Tag der Tat fuhr S. mit einem Bekannten zur AfD-Veranstaltung. S. war damals Mitglied der Rechtspartei. Er wollte aber nicht ins Bürgerhaus, wo die Versammlung stattfand, sondern – wie er in einem Chat geschrieben hatte – „Zecken glotzen“. Von der Gegendemo aus schickten er und sein Begleiter Posts in die Gruppe, darunter ein Foto, auf dem S. sogenannte „Reichsbrause“ trank.

Eine „blöde Idee“?

Finn-Ole P. sei aus Langeweile hingefahren, sagte er dem Gericht. Er traf die übrigen am Parkstreifen, dem späteren Tatort. Von dort seien sie zur Gegendemo gegangen. Dort habe eine Frau per Lautsprecher andere auf die Vierergruppe aufmerksam gemacht. Wahrscheinlich wegen der Kleidung, meinte P. Einen Lonsdale-Pullover, schwarz mit braunen Schulterstücken, habe er getragen: „Ich hatte den geschenkt gekriegt und fand den schick.“ Über die politische Bedeutung habe er zwar durch Bemerkungen eines Kollegen Bescheid gewusst, sich aber keine weiteren Gedanken gemacht.

Mit solch auffälliger Kleidung und „Reichsbrause“ auf eine linke Demo gehen – „Ist Ihnen nicht der Gedanke gekommen, dass das eine blöde Idee ist?“, fragte Borrmann.

Finn-Ole P. atmete tief durch: „So im Nachhinein ja. Ich hab’ das unterschätzt.“ Er habe die Aktion, auch das Bild mit der „Reichsbrause“, für einen Witz gehalten, sagte er auf Nachfragen des Nebenkläger-Anwalts. Unklar blieb, ob P. Aufkleber mit Parolen mitbrachte – in Chatverläufen war davon die Rede, P. sagte, er könne sich nicht erinnern.

Die Gruppe sei dann zu den Wagen zurückgegangen. Dort sei P. von einem halben Dutzend Personen eingeholt worden, einer habe ihn auf die Wange geschlagen. Kurz darauf habe er Motorgeräusch gehört – Melvin S. hatte seinen Pick-up in Bewegung gesetzt. P. habe sich an seinem eigenen Wagen gedrängt: „Wenn man ein Auto hört, bewegt man sich, man ist kein Reh.“ Gleich darauf habe er einen Luftzug gespürt und nach dem Umdrehen Menschen am Boden liegen sehen.

Für ihn war klar, dass Melvin S. „dazwischen gegangen“ sei, weil er angegriffen wurde. Er bezeichnete S. als Freund, den er immer als ruhig erlebt habe. „Darum war der Vorfall so eine Überraschung.“ Er habe heute „gemischte Gefühle“ beim Gedanken an den Tag: „Melvin hat mir geholfen, aber das war over the top.“ Er habe sich damals bei einem Opfer entschuldigt.

Anders als Melvin S. sei er selbst nie in einer Partei gewesen, so P. „Ich bin so Standard“, sagte er auf die Frage nach seiner politischen Einstellung. „Komplett rechts ist scheiße, aber links, wenn Menschen verletzt werden, ist auch scheiße.“

Dieser Halbsatz, der links mit Gewalt gleichsetzt, passt allerdings zu einer Aussage von Melvin S., der zum Prozessauftakt berichtete, er habe sich in „Foren über die Taten von Linksextremen“ informiert. Damals hatte er unter anderem an einen Kumpel geschrieben: „Ich hasse die Linken so sehr, wie du die Kanaken hasst.“

Melvin S. hatte den Angriff auf seinen Freund dramatisch dargestellt: Angreifer hätten auf P. „eingeschlagen“. P. selbst berichtete von einem Schlag, es habe nicht einmal einen blauen Fleck gegeben.

Weitere Termine sind noch bis Dezember vorgesehen.

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1 Kommentar

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  • Wenn jemand körperlich angegriffen wird, darf jedermann einschreiten, ohne reine Strafe befürchten zu müssen. Dabei ist jedoch unbedingt die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu wahren.

    Wer aber den Einsatz eines Anderthalbtonners (versuchte gefährliche Körperverletzung mit mindestens billigender Inkaufnahme einer schweren KV oder gar Todesfolge) als "verhältnismäßiges" Mittel gegen eine versuchte einfache Körperverletzung mit bloßen Händen empfindet, zeigt damit seine Unfähigkeit zu einer solchen Abwägung. Und wer dabei in Panik gerät, zeigt zudem damit noch seine Untauglichkeit für den Straßenverkehr.

    Also nehmt dem Kerl den Führerschein ab und gebt ihm stattdessen eine stramme Dosis Haloperidol und Tavor. Das sorgt in solchen Fällen recht zuverlässig für Abhilfe.