Prozess um mutmaßlichen Rizin-Anschlag: Bombengift aus Wunderbaumsamen

Ein Islamisten-Paar soll einen Anschlag mit dem Pflanzengift Rizin geplant haben. Es wäre der erste dieser Art gewesen.

SEK-Beamten mit Atemschutzmasken und Schutzanzügen steigen während der Stürmung der Wohnung von Sief Allah H. in einen Krankenwagen

Ganz schön bedrohlich: Anschläge mit biologischen Kampfstoffen wie Rizin Foto: dpa/David Young

DÜSSELDORF/BERLIN taz | Beamte in blauen und silbernen Schutzanzügen, Polizisten mit Gasmasken, Experten des Robert-Koch-Instituts: Nur mit höchsten Sicherheitsvorkehrungen näherten sich die Beamten im Juni vergangenen Jahres der Wohnung von Sief Allah H. in einem Hochhaus in Köln-Chorweiler. Er selbst war, ganz leger in Jogginghose und Schlappen gekleidet, zuvor festgenommen worden.

An diesem Freitag nun sitzt der 30-jährige Tunesier hinter der dicken Panzerglasscheibe im Saal 1 des Düsseldorfer Oberlandesgerichts, Hochsicherheitstrakt. Auf seinem kahlrasierten Schädel, zu dem er Bart trägt, prangt ein Kopfhörer – darüber hört er den Dolmetscher, der das Gerichtsgeschehen ins Arabische übersetzt.

Seine Frau, die 43-jährige Yasmin H., eine Deutsche mit roter Bluse und blondem Pferdeschwanz, darf vorne im Saal zwischen ihren VerteidigerInnen Platz nehmen. Sie wurde einige Wochen nach ihrem Mann festgenommen. Beide schauen auf die andere Seite des Saals, wo Bundesanwältin Verena Bauer am Mikrofon steht. Sief Allah H. zupft sich am Bart, immer wieder.

Bauer klagt die beiden an, eine biologische Waffe hergestellt und eine schwere staatsgefährendende Gewalttat – sprich: einen Terroranschlag – vorbereitet zu haben. „Nahezu alle Utensilien dafür wurden beschafft“, liest die Oberstaatsanwältin aus der Anklage vor. Das Ziel: „eine möglichst große Anzahl Ungläubiger zu töten oder zu verletzen“. Die Eheleute hätten geplant, einen Anschlag mit dem hochgiftigen Bio-Kampfstoff Rizin zu begehen -„an einem geschlossenen und belebten Ort“, wie einem Restaurant, Bus oder Einkaufszentrum.

Eine Splitterbombe aus Hautcreme und dem giftigen Rizin

Das Paar erwog laut Anklage, entweder eine mit einer Mischung aus Hautcreme und Rizin präparierte Splitterbombe zu zünden, um das Gift mit Hilfe des Metalls direkt in den Körper der Opfer zu bringen. Oder das Rizin als Pulver im Raum zu verteilen, wo die Opfer es dann inhaliert hätten. Beides hätten die Angeklagten bereits nach Anleitungen in Propagandamaterial des „Islamischen Staates“ und mit Hilfe eines Anleiters per Telegram-Chat hergestellt.

In der Wohnung der H.'s fanden die Beamten 3.150 Samen des sogenannten Wunderbaums, die von Natur aus Rizin enthalten. Aus weiteren 50 Samen hatten sie mit Hilfe von Cuttermessern, einer Knoblauchpresse und zwei elektrischen Kaffeemühlen das Gift bereits extrahiert, insgesamt 84,3 Milligramm. Zudem wurden 250 Metallkugeln, zwei Flaschen Nagellackentferner, Drähte mit aufgelöteten Glühbirnen und ein knappes Kilo einer Schwarzpulver-Mischung sichergestellt – Utensilien zum Bau einer Bombe.

Rizin ist eines der gefährlichsten natürlich vorkommenden Gifte, schon wenige Mikrogramm können tödlich sein. Allerdings tritt der Tod nicht sofort ein, sondern erst nach mehren Stunden, es kann auch zwei Tage dauern. „Es ist der erste Sachverhalt, bei dem ein dschihadistisch motivierter Täter biologische Waffen in Deutschland hergestellt hat“, sagte BKA-Chef Holger Münch nach Sief Allah H.'s Festnahme.

Eine neue Dimension also: Hätte das Paar seine Pläne in die Tat umgesetzt, wäre es wohl der schwerste islamistische Terroranschlag in Deutschland geworden. Als im Dezember 2016 IS-Terrorist Anis Amri einen LKW auf dem Berliner Breitscheidplatz steuerte, waren zwölf Menschen gestorben. Die H.'s aber wollten wohl mehr Menschen töten. Weil der Anschlagsort nicht bekannt sei, seien mögliche Auswirkungen nicht absehbar, sagte Bundesanwältin Bauer vor Prozessbeginn auf Nachfrage. Während der Ermittlungen war von bis zu 100 möglichen Opfern die Rede, im Innenausschuss des Bundestages hieß es sogar, dass es mehrere tausend Tote hätte geben können, wenn die H.'s. alle Samen verarbeitet hätten. Davon allerdings waren sie weit entfernt. Beiden drohen 15 Jahre Haft.

Die Angeklagten schweigen

Sief Allah H. schweigt seit seiner Festnahme, auch am ersten Prozesstag äußert er sich nicht. Yasmin H. sagt ebenfalls nicht aus. Laut ihrer Anwältin aber bestreitet die Frau die Tat: An einer Anschlagsplanung habe sie nie mitgewirkt.

Die Bundesanwaltschaft sieht das anders. Bereits im Herbst 2017 habe das Ehepaar den Entschluss gefasst, in Deutschland einen islamistisch motivierten Anschlag zu verüben, trägt Bundesanwältin Bauer weiter vor. Deshalb hätten sie sich im Internet informiert, aber auch mit zwei Spezialisten über den Messengerdienst Telegram ausgetauscht. In einem der Chats, so Bauer, habe Sief Allah H. einen Treueeid auf IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi geleistet.

Zwei mal fuhr Sief Allah H. laut Anklage nach Polen, um Feuerwerkskörper zu beschaffen, seine Frau bestellte weitere im Internet, daraus machten sie Sprengstoff. Mit einem Teil davon führte er erfolgreich eine Probesprengung durch, ein knappes Kilogramm fanden die Spezialisten in der Wohnung. Auch die Rizin-haltigen Samen bezogen sie auf drei unterschiedlichen Wegen im Internet. Einen kleinen Teil des hergestellten Gifts schmierten sie einem Hamster aufs Fell. Er überlebte.

Die Ermittler vermuten, dass beide Eheleute schon radikale Muslime waren, als sie sich im Internet kennenlernten. Yasmin H., die 2004 zum Islam konvertiert sein soll, sei bereits ideologisch gefestigt gewesen und habe bewusst einen „radikalisierten Islamisten“ gesucht. Yasmin H., gelernte Arzthelferin, ist arbeitslos. Sief Allah H. lebte damals in Tunesien und schlug sich mit verschiedenen Jobs durch. Im Oktober 2015 heiratete das Paar, er zog zu ihr nach Köln-Chorweiler.

Eigentlich wollte das Islamisten-Paar nach Syrien ausreisen

Beide identifizierten sich seit langer Zeit mit dem „Islamischen Staat“, führt Bundesanwältin Bauer im Gerichtssaal aus. Schon zum Zeitpunkt der Heirat sei der Plan gewesen, gemeinsam nach Syrien auszureisen. Doch weil der Ex-Mann von Yasmin H. nicht bereit gewesen sei, die beiden gemeinsamen Kinder aufzunehmen, ihnen aber auch die Ausreise nicht erlaubte, versuchte Sief Allah H. es 2017 alleine, zweimal sogar. Doch beide Versuche, von der Türkei nach Syrien zu reisen, scheiterten. Laut Bundesanwältin Bauer soll Yasmin H. ihren Mann in beiden Fällen die Flüge dafür gebucht haben. Auch mietete sie Unterkünfte in der Türkei und schickte ihm Geld.

Sief Allah H. kehrte nach Deutschland zurück – und blieb laut Anklage mit IS-Mitgliedern in Kontakt. „Mitglieder des IS schlug ihm im September und Oktober 2017 vor, in Deutschland einen Anschlag gegen die Ungläubigen durchzuführen“, liest Bauer weiter aus der Anklage vor. Durch IS-Propagandamaterial kamen Sief Allah H. und seine Frau auf das Biogift Rizin.

Die Sicherheitsbehörden hatten Sief Allah H. seit Anfang 2018 als Islamisten auf dem Schirm, allerdings nicht einen möglichen Anschlag.Erst im Mai ging der entscheidende Hinweis im Bundesamt für Verfassungsschutz ein, dessen Zentrale nur wenige Minuten entfernt von dem Hochhaus ist, in dem die H.'s zuletzt lebten. Der US-amerikanische Partnerdienst wies die deutsche Behörde auf die Internetbestellungen des Paares hin.

Terrorexperte Peter Neumann vom Londoner King's College glaubt, dass die Anschlagspläne der H.'s „aus dem Muster fallen“. Der Trend des IS gehe weiter zu einfachen Anschlägen in Europa, mit Messern, Äxten oder Autos. Das entspreche auch eher den Fähigkeiten der meisten IS-Rekruten. Anschläge mit biologischen Kampfstoffen wie Rizin hingegen seien sehr kompliziert.

„Die Geschichte der chemischen und biologischen Terroranschläge ist insgesamt eine Geschichte des Scheiterns“, sagte Neumann der taz. Selbst der Anschlag in der U-Bahn in Tokio 1995, bei dem Anhänger der „Aum“-Sekte 13 Menschen mit dem Nervengift Sarin ermordeten, sei nicht so gelaufen wie geplant. Die Attentäter hätten viel mehr Menschen töten wollen.

Das Ziel ist vor allem der psychologische Effekt

Doch gehe es vor allem um den psychologischen Effekt: „Ein solcher Anschlag löst mehr Panik aus als ein einfacher Sprengstoffanschlag.“ Und genau das sei das Ziel. Die tatsächliche Anschlagsgefahr hält Naumann indes für niedriger als noch 2016. Durch die Niederlagen im Irak und Syrien herrsche beim IS eher Flaute: „Die Szene sortiert sich neu und ist mit sich selbst beschäftigt“, so der Terrorexperte. Aber eine Gefahr sei nach wie vor da.

Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und die Sicherheitsbehörden warnen weiter vor einer hohen abstrakten Anschlagsgefahr. Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang betonte erst kürzlich auf einer Tagung in Berlin, dass die islamistische Szene weiter zu Anschlägen aufrufe. Die Terrorgefahr sei „nach wie vor ungebrochen“. Als ein Beispiel nannte Haldenwang: den Kölner Rizin-Anschlagsplan.

Als Bundesanwältin Bauer mit dem Verlesen der Anklage fertig ist, stellt Serkan Alkan, der Anwalt von Sief Allah H., am Mittag einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Jan van Lessen. Der Prozess geht trotzdem weiter. Das Gericht hat zunächst bis Ende August 18 Verhandlungstage angesetzt.

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