piwik no script img

Prozess um Toepffer-BiografieOpas Briefe dürfen zitiert werden

Die Enkelin des Hamburger NS-Schulsenators Oscar Toepffer wehrt sich vor Gericht gegen eine Kurzbiografie über ihren verstorbenen Großvater.

Ihm werden persönlich keine Verbrechen vorgeworfen: Oscar Toepffer Foto: Staatsarchiv Hamburg, 720-1/2_215 To 071 [D]

Hamburg taz | Die Enkelin von Oscar Toepffer, der in der NS-Zeit Leiter des Rechtsamtes und Schulsenator in Hamburg war, klagt gegen eine Kurz-Biografie über ihren Großvater. Es geht um die Frage, ob der Autor Familienbriefe zitieren darf, aber auch, ob das postmortale Persönlichkeitsrecht des NSDAP-Mitglieds durch den Aufsatz verletzt wird. Diese Meinung teilte das Gericht nicht. Am Ende könnte ein Vergleich stehen.

Zeitweise wurde der Ton ruppig im holzgetäfelten Saal des Hamburger Landgerichts. „Haustürgeschäfte“ warf der Anwalt Joachim Sachs dem Buchautor, dem ehemaligen Grünen-Bürgerschaftsmitglied und Lehrer Hans-Peter de Lorent, vor. Der erwiderte, er habe sich „nicht unter falschem Namen eingeschlichen, sondern ich bin von der Familie eingeladen worden, in dem Wissen, dass ich Biografien schreibe“.

Der Streit dreht sich um eine Sammlung von Briefen, die de Lorent von einigen – inzwischen verstorbenen – Mitgliedern der Familie erhalten und für seine Buchreihe unter dem Titel „Täterprofile“ verwendet hat. Doch dieses Material sei nie für eine Veröffentlichung gedacht gewesen, glaubt die Toepffer-Enkelin und Anwältin Christel Sachs, die sich gemeinsam mit ihrem Mann selbst vertrat. Nur zur Ansicht habe de Lorent das Material bekommen, „nie und nimmer hat meine Mutter einer Veröffentlichung zugestimmt!“ Der Autor widersprach: „Sie wollte aufräumen mit der Vergangenheit ihres Vaters.“

Die Briefe zeigen, wie sich die Einstellung Oscar Toepffers und seiner Frau Gretchen im Lauf des Krieges von Begeisterung zu Zweifel ändern. So schrieb Toepf­fer im Mai 1940 aus Frankreich: „Das Ganze ist mehr ein Pfingstausflug als Krieg. Dazu herrliches Wetter. Und wir leben vortrefflich mit erbeutetem Burgunder und Kaffee und guten holländischen Zigarren.“

Wer in einer NS-Regierung Verantwortung trägt, hat eine Belastung

Hans-Peter de Lorent, Lehrer und Autor

Gretchen Toepffer jubelte 1939 über eine militärische Auszeichnung: „Die ganze Familie freut sich über den Vati, der jetzt die Spange trägt.“ Erst ab 1941 sinkt die Begeisterung: „Die Tränen können einem kommen, wenn man an all die Jungen denkt, die im Osten gefallen sind“, schreibt Gretchen Toepf­fer. 1942 kritisierte Oscar erstmals eine Führerrede: „Was ich gehört habe, hat mir nicht recht gefallen.“

Bei seinen Treffen mit den Nachfahren habe er nicht sagen können, wie ausführlich er die Texte zitieren wollte – dass er dies vorhatte, sei aber klar gewesen, so de Lorent. „Wenn mir zwei erwachsene Personen Material zur Verfügung stellen, musste ich meiner Meinung nach nicht nach weiteren Familienmitgliedern forschen. In Familien, die vernünftig miteinander umgehen, zirkulieren solche Informationen.“

Seit den 1980er-Jahren befasst sich de Lorent mit dem Bildungswesen der Hansestadt während der NS-Zeit. Seit seiner Pensionierung hat er drei Bände über die Verantwortlichen im Senat, in der Schulverwaltung und in den Schulen geschrieben. Die Reihe ist bei der Landeszentrale für politische Bildung erschienen, darum saß die Stadt als Mitbeklagte vor Gericht.

Der Aufsatz über Oscar Toepffer findet sich in Band 2, der 2018 erschien. Toepffer habe – so fasste de Lorent vor Gericht zusammen – persönlich keine Untaten begangen, aber „wer in einer NS-Regierung Verantwortung trägt, hat eine Belastung, kann als Täter oder Mittäter gesehen werden“.

Unter anderem habe Toepf­fer Albert Henze befördert, der die sogenannte „Swingjugend“ in Hamburg verfolgte und einige der jungen Frauen und Männer ins KZ schickte. Als Senator habe Toepffer „Verantwortung für seine Mitarbeiter“, so de Lorent. Dabei sei Toepf­fer selbst „durchaus nicht unsympathisch“ gewesen. Auch sei er erst 1937 auf Druck in die NSDAP eingetreten. „Alles, was ihn entlastet, habe ich dargestellt“, sagte der Autor auf den Vorwurf von Joachim Sachs, Toepffer solle „an den Pranger gestellt“ werden. Christel Sachs störte sich bereits an dem Titel „Täterprofile“ – mit diesem Verweis auf strafbare Taten werde das postmortale Persönlichkeitsrecht verletzt.

Richter Thorsten Held schloss sich dieser Meinung nicht an. Dafür bräuchte es eine „grobe Verzerrung des Lebensbildes“ – die sah das Gericht nicht gegeben. Klar sei, dass es um einen „erweiterten Täterbegriff“ gehe.

Dagegen befand Held, dass einige der Briefe urheberrechtlich geschützt sein könnten. Nach Beratungen beider Seiten steht nun ein möglicher Vergleich im Raum: De Lorent könnte wörtliche Zitate durch Beschreibungen und indirekte Rede ersetzen. Den Inhalt würde das nicht schmälern, sagte der Autor.

Ob für die Klägerin der Zweck erreicht sei, den Großvater zu schützen, wage er zu bezweifeln: „Durch dieses Verfahren ist Oscar Toepffer viel bekannter geworden.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Frau Christel Sachs hat vermutlich mit diesem Prozess ihren Ruf erheblich beschädigt.

  • Interessant ist, wenn man ehemaligen SS-Leuten im Interview zuhören kann, wie sie sich zu ihren damaligen Taten nach dem Holocaust stellen. Hier etwa ab Min 43:00 bis Min 48 kann einem die nackte Wut packen, nicht nur über die Haltung selbst, vor allem aber auch über die Kaltschnäuzigkeit dieser Leute, mit der sie ihre ganze Verkommenheit noch zelebrieren.



    www.youtube.com/watch?v=0ycVO5SpvZE



    Denken wir auch an Günter Grass. Immerhin hatte er "Die Blechtrommel" geschrieben". Zum Ende seines Lebens brach mit dem, was er meinte noch sagen zu müssen, der ganze braune Schund aus ihm wieder heraus. Die Süddeutsche Zeitung hatte sich am 04.04.2012 nicht gescheut das Elaborat abzudrucken.

  • Schade, dass sich der Großvater nicht mehr selber dazu äußern kann, wie er es ganz persönlich mit dem „erweiterten Täter-Begriff“ hält.

    Wer es nicht nur ernst meint mit der Volksbildung, sondern auch wirklich was dazu gelernt hat seit 1939, der sollte sich eigentlich nicht zu schade sein, eigene Fehler einzugestehen oder doch wenigstens anderen die Möglichkeit zu geben, diese Fehler ungestraft zu thematisieren. Hitler allein hätte schließlich weder einen Weltkrieg führen noch einen Holocaust anzetteln können.

    Die Frage ist doch: Woraus sollen denn Leute wie du und ich lernen, wenn nicht aus den Fehlern und Erkenntnissen von Leuten wie uns? Oscar Toepffer war zweifellos jemand, der sich als Spiegelbild eignet, in dem heutige Rechtsamtsleiter und Schulsenatoren sich selbst kritisch betrachten können.

    Die Frage ist halt: Wollen die das überhaupt? Oder wollen sie per se als makellos durchgehen, weil das der Reputation helfen würde? In letzterem Fall wäre ihnen wohl genau so wenig zu helfen, wie einem verstorbenen (Ex-)Nazi von einer vermutlich nur um den eigenen Ruf besorgten Enkeltochter zu helfen ist. Denn siehe: Was hat so eine Enkeltochter schon gelernt von ihren Bildungs-Opa? Nichts, worauf der Opa heute guten Gewissens öffentlich stolz sein könnte, finde ich. Nichts, also, was sonderlich schutzwürdig wäre.