Prozess um Morde an Patienten: Ein Lügner als wichtigster Zeuge
Im Prozess gegen seine Ex-Vorgesetzten sagt Niels Högel aus. Sie sollen Mitschuld an den Morden an 85 Patienten tragen, für die er verurteilt wurde.
![Der Gerichtssaal in der Weser-Ems-Halle, im Vordergrund das Zeugen-Pult Der Gerichtssaal in der Weser-Ems-Halle, im Vordergrund das Zeugen-Pult](https://taz.de/picture/5424336/14/hoegel-dpa-1.jpeg)
Nun ist Högel Zeuge in einer Hauptverhandlung, in der sieben Beschäftigte beider Krankenhäuser der Beihilfe zum Totschlag angeklagt sind. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, sie hätten acht Morde Högels „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ verhindern können – wenn sie ihrem Kenntnisstand über das Tun des Pflegers entsprechend gehandelt hätten.
Högel, der Patientenmörder; Högel, der Lügner aber auch, und das ist die fragile Stelle dieser Hauptverhandlung. Im Prozess 2019 hatte ihm der Berliner Rechtspsychologe Max Steller hohe Lügenkompetenz unterstellt und ihn als ausgeprägten Narzissten beschrieben.
Die 5. Große Strafkammer operiert auf einem schmalen Grat, denn zur Lüge wird Högel in diesem Prozess Gelegenheit haben. Seine Vernehmung begann am 1. März und wird sich hinziehen. Und wenn er bei einer Lüge ertappt wird? Viel kann er nicht verlieren.
Högel mal wieder im Mittelpunkt
Die Bühne dieser Hauptverhandlung bietet ihm auch erneut Gelegenheit, seiner narzisstischen Lust nachzugehen: Wieder dieser Saal in der Weser-Ems-Halle, wie beim Prozess 2019; jetzt aber sieben Angeklagte, die Kammer, die Staatsanwaltschaft, 18 Strafverteidiger und Strafverteidigerinnen, Journalisten, Zuschauer und er, dieser große, schwere Mann im Mittelpunkt, dunkelblauer Pullover, hoher, weißer Hemdkragen, die Haare seitlich kurz geschoren, das Haupthaar wildbewegt.
Der wichtigste Zeuge. Aber die Wahrheit, nichts als die Wahrheit? Max Steller, der auch diesmal als Gutachter zugegen ist, stellt bald eine Frage, die die Glaubwürdigkeit des Zeugen erschüttert
Högel hat da schon eine Weile erzählt – wie er Krankenpfleger wurde, ein Beruf, den schon seine Großmutter, sein Vater, sein Opa ausübten; wie er die Zusatzausbildung zum Rettungssanitäter machte, wie er vom Willehad-Krankenhaus in Wilhelmshaven nach Oldenburg ans Klinikum wechselte; wie er in eine Krise geriet, eine Trennung erlitt, die ihn einsam werden ließ; wie er ein Pflegerteam erlebte, das er bewunderte; wie er dazugehören wollte und merkte, dass er durch Leistung Anerkennung bekommt. Da habe es leider angefangen, weshalb er schließlich vor Gericht kam.
Dann also Steller. Er fragt, ob Högel das Urteil gelesen habe, was der bejaht. Ob er es genau gelesen habe, „studiert“, was Högel bejaht. Ob er sagen könne, wie viele Seiten es habe, worauf Högel sagt, es seien „um die 20 Seiten“. Tatsächlich umfasst der Text 149 Seiten. Högel, der Lügner – auch jetzt wieder?
Die Verteidiger der Vorgesetzten werden da ihre Ansatzpunkte suchen. Sie gehen Högel scharf an. Ob seine Erinnerungen nicht auf Suggestionen beruhen könnten, gespeist aus einem Laptop mit allen dokumentierten Fällen, den ihm die Staatsanwaltschaft während der Ermittlungen im Gefängnis überlassen hatte, um die Taten wachzurufen. Högel sollte helfen, sich selbst auf die Spur zu kommen. Suggestion, falsche Erinnerungen – Högel, der Lügner. Die Verteidigung wird das stark machen, um die Angeklagten zu entlasten.
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