Prozess um Kinderheime: Haasenburg will Geld vom Staat
Das Brandenburger Ministerium ließ die Heime der Haasenburg GmbH schließen, diese zog vor Gericht. Jetzt könnte die Skandal-Firma Schadensersatz erhalten.
BERLIN taz | Im Rechtsstreit um die Schließung der Skandal-Heime der Haasenburg GmbH in Brandenburg bietet das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg einen Vergleich an. Das Gericht werde dem Betreiber und dem Brandenburger Jugendministerium einen Vorschlag unterbreiten, sagte Gerichtssprecherin Christiane Scheerhorn am Dienstag nach einem ersten Erörterungstermin.
Das Ministerium hatte der Haasenburg GmbH wegen Misshandlungsvorwürfen im Dezember vergangenen Jahres die Betriebserlaubnis entzogen und sich dabei auf den Bericht einer sechsköpfigen Expertenkommission gestützt.
Nachdem der Betreiber mit einem Eilantrag gegen die Schließung vor dem Verwaltungsgericht Cottbus gescheitert war, zog er vor das OVG in Berlin, das am Dienstag tagte. Am Montag berichtete der Berliner Tagesspiegel: „Nach dieser Zeitung vorliegenden Prozessunterlagen sieht es in dem OVG-Verfahren jetzt schlecht für das Bildungsministerium aus“.
Die Zeitung schreibt: „Anders als in Cottbus rückt nun ins Zentrum, dass die externe Expertenkommission für die Aufklärung des Haasenburg-Skandals zwar schwere Missstände in den Heimen gerügt, aber selbst ausdrücklich keine Schließung empfohlen und keine aktuelle Kindeswohlgefährdung festgestellt hatte.“
Was die Experten bei ihrer Untersuchung vorfanden, bezeichnen sie schon im Vorwort als „menschlich erschütternd“. Zwar sagte der Kommissionsvorsitzende Martin Hoffmann laut Berliner Zeitung, eine komplette Schließung aller Haasenburg-Heime „haben wir nicht empfohlen“. In den Auflagen hingegen empfehlen die Experten den „Wechsel der Trägerschaft“. Der 128-Seiten starke Bericht lässt zudem in seinen Details („sich eine Stunde lang im Entengang bewegen“ – eine Praxis, die auch in den Jugendwerkhöfen in der SED-Diktatur angewandt wurde) kaum Spielraum für wohlwollende Interpretationen.
Neue Interpretation ohne neue Erkenntnisse
Dennoch schreibt der Tagesspiegel nun: Münch müsse jetzt „befürchten, dass das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) die von ihr wegen der Misshandlungsvorwürfe veranlasste Schließung der drei brandenburgischen Haasenburg-Heime wieder aufhebt“. Neue Erkenntnisse, die über den Expertenbericht hinausweisen, präsentiert die Zeitung nicht. Dass sich die Haasenburg GmbH, auf deren Prozessunterlagen sich der Tagesspiegel stützt, eine andere Interpretation des Berichts wünscht, ist nicht neu.
Umso erstaunlicher ist es, dass die Berliner Richter der Haasenburg GmbH und dem Ministerium am Dienstag, einen Tag später, tatsächlich einen Vergleich anbieten. Völlig „überraschend“ wie die Nachrichtenagentur dpa schreibt.
Ministeriumssprecher Stephan Breiding sagte der taz noch am Montag: „Am Ende haben wir aber eine fundierte Entscheidung getroffen.“ Ministerin Martina Münch (SPD) gab sich zuversichtlich im Rundfunk Berlin-Brandenburg: „Wir haben das sehr gut begründet, und ich halte diese Begründung auch nach wie vor für absolut stichhaltig.“
Spannend ist die juristische Entwicklung vor allem, wenn man sich das Urteil der Cottbusser Richter ansieht, vor denen die Haasenburg GmbH krachend gescheitert war. Es ist vom 13. Januar 2014 und öffentlich einsehbar.
Die Cottbusser Richter schreiben: „Es liegen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass insbesondere durch die Praxis körperlicher Zwangsmaßnahmen und eine nicht ausreichende kinderpsychiatrische und -psychologische Betreuung das körperliche und seelische Wohl der Minderjährigen nicht unerheblich gefährdet ist.“
Harrsches Urteil der Cottbusser Richter
Die Richter betonen, dass sie sich dabei auf den Bericht der Sachverständigen stützen, deren Expertise mit keinem Antrag der Haasenburg GmbH in Zweifel gezogen worden sei. In Bezug auf den Bericht heißt es weiter, dieser attestiere der Haasenburg GmbH eine „überreglementierte Pädagogik“, der es „weitgehend an einem sozialpädagogischen und kinderpsychologischen Verstehen der betreuten Minderjährigen und ihrer Entwicklung mangelt.“ Daher entspreche die „Konzeption der Antragstellerin in dieser Form nicht den pädagogischen Standards und dem Zweck der Einrichtung“.
Weiter heißt es, die „Kindswohlgefährdung offenbart sich am deutlichsten im Bereich der sogenannten Anti-Aggressionsmaßnahmen“. Es liege der „Schluss nahe, dass im Einzelnen wie auch konzeptionell eine Kindeswohlgefährung vorlag“, schreiben die Richter. Am Schluss kritisieren sie die Haltung von Christian Dietz, dem Gesellschafter und Gründer der Haasenburg GmbH, „der hinsichtlich der durch das Landesjugendamt initiierten Entwicklung (die Auflagen, die erteilt wurden, Anm. d.Red.) 'Verwässerung' in Konzept und Praxis der Verhaltensmodifikation ebenso bedauert wie das Verbot der mechanischen Fixierungen, die er für ein gegebenenfalls probates Instrument in Überregungssituationen hält.“
Und auch die Cottbusser Richter setzten sich bereits mit dem Argument, die Kommission habe keine Schließung sondern nur Auflagen empfohlen, auseinander und schreiben: „Die weitgehenden konzeptionellen und praktischen Mängel lassen sich ersichtlich auch nicht durch nachträgliche Auflagen beheben.“ Die Empfehlungen der Kommission zielten auf eine „nicht umsetzbare völlige Neuorientierung“ des Trägers.
Wie nun die Berliner Richter des Oberverwaltungsgerichts ihr Angebot für einen Vergleich begründen, dürfte daher interessant sein. Spannend wird auch, ob sich die Ministerin angesichts der empirischen Sachlage auf einen juristischen Winkelzug einlässt. Sie hätte womöglich der Öffentlichkeit zu begründen, warum sie einer Firma Schadensersatz zahlt, in der Kinder und Jugendliche zu Opfern wurden. Das Ministerium und die Haasenburg GmbH erklärten laut dpa, sie wollten den Vergleichsvorschlag abwarten und prüfen.
Der neue Geschäftsführer der Haasenburg GmbH, der Kaberettist „Bauer Korl“ und Unternehmer Jörg Klingohr, sagte zu dem Vergleich laut dpa: „Das wird vertraulich behandelt.“ Ministeriumssprecher Stephan Breiding sagte, „es war eine sehr intensive und gute Erörterung“. Innerhalb der nächsten zwei Wochen soll der Vorschlag vorliegen.
Die Staatsanwaltschaft Cottbus ermittelt wegen der Vorwürfe in rund 70 Fällen gegen Erzieher und den Heimbetreiber. In den Heimen in Jessern (Dahme-Spreewald), Müncheberg (Märkisch-Oderland) und Neuendorf am See hatten Jugendämter aus ganz Deutschland Kinder und Jugendliche untergebracht.
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