Prozess um Hausprojekt Liebig 34: Cis-Männer und ein Abendbier
Dank strategischer Störungen endete der Prozess um das Berliner Hausprojekt Liebig 34 am Freitag nicht. Er wird im Dezember fortgesetzt.
Mit hochrotem Gesicht versucht der Eigentümervertreter, sich wieder zu fassen, nachdem zwei Frauen mit bloßen Oberkörpern auf ihn zugesprungen und schließlich von der Gerichtsjustiz aus dem Raum gezerrt worden waren. Auch weitere Aktivist*innen, die die Femen-Aktion mit „Liebig bleibt!“-Rufen begleitet hatten, wurden über Stühle hinweg aus dem Raum gezerrt. Dann soll auch der Rest der Öffentlichkeit den Saal verlassen.
Es war nicht die erste strategische Störung des Prozesses über eine Räumungsklage gegen die Bewohner*innen des queerfeministischen Hausprojekts Liebig34 in Friedrichshain, der am Freitag im Landgericht Tegeler Weg entschieden werden sollte. Geklagt hatte der Hauseigentümer Gijora Padovicz beziehungsweise seine Siganadia Grundbesitz GmbH & Co. KG. Ein zehnjähriger Pachtvertrag mit der Bewohner*innenschaft war 2018 ausgelaufen.
Schon der Beginn der Verhandlung verzögerte sich, denn der Bereich um das Landgericht musste zuvor vorübergehend gesperrt werden, da vor dem Eingang ein verdächtiger Gegenstand gefunden worden war. Das Portal wiederum war mit dem Schriftzug „L34“ besprüht worden. Schon vor Prozessbeginn hatten sich etwa 60 Liebig-Bewohner*innen und Unterstützer*innen zu einer Kundgebung versammelt. „Potse, Syndi, Liebig bleibt! – One struggle, one fight!“, skandierten sie.
„Das Schlimmste wäre“, sagt eine Bewohnerin der taz am Rande der Kundgebung, „wenn heute schon direkt das Urteil da wäre.“ Ihre Mitbewohnerin erklärt, dass kaum eine der 35 Personen, die in der Liebig leben, wüsste, was sie nach einer Räumung tun würde. „Erst mal kämpfen wir weiter“, sagt sie.
Im Rollstuhl aus dem Raum
Nur etwa zehn der Liebiger*innen bekommen schließlich neben der Presse einen Platz im Gerichtssaal. Bevor sich dort zwei von ihnen entblößen, wurde die Verhandlung durch eine Bewohnerin unterbrochen, die von ihrem Stuhl auf den Fußboden sank, während Mitbewohner*innen um Hilfe riefen. Sanitäter brachten sie in einem Rollstuhl aus dem Raum.
Nicht nur die Justiz- und Polizeibeamt*innen, auch einige Journalist*innen hatten Mühe, angesichts der Strategien der Liebiger*innen Professionalität zu wahren. Ein zeitweilig überforderter und gewalttätiger Justizwachtmeister erklärte, er habe sich nach dieser Anstrengung ein Bier am Abend verdient. Eine B.Z.-Journalistin kommentierte die Erscheinung der Aktivst*innen abfällig damit, ihr Sohn habe sie erst „aufklären müssen, was ein Cis-Mann ist“.
Ganz souverän hingegen luden nach Abbruch der Verhandlung die Liebiger*innen zu einem Brunch in die 34 ein, ihr Rechtsanwalt Moritz Heusinger kündigte eine Erklärung für den Freitagnachmittag an.
Ebenfalls am Nachmittag sagte ein Gerichtssprecher, der Prozess werde am 13. Dezember fortgesetzt. Das habe der Richter entschieden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag