Urteil gegen Hausprojekt Liebig 34: Kurzer Prozess
Das queerfeministische Hausprojekt soll das Gebäude in der Liebigstraße 34 verlassen. Ihr Anwalt hat aber noch nicht vor aufzugeben.
Die Bewohner*innen der Liebig 34, Szenesymbol und queerfeministisches Hausprojekt, werden verurteilt, Grundstück und Gebäude zu räumen und an den Eigentümer herauszugeben. Zusätzlich sollen angefallene Kosten des Klägers in Höhe von etwa 20.000 Euro sowie die Gerichtskosten beglichen werden. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Wie üblich bei einem Versäumnisurteil folgte keine Begründung. Das Urteil beruht auf der Tatsache, das Liebig 34-Anwalt Moritz Heusinger beim letzten Prozesstermin im Januar seine Robe abgelegt und im Publikum Platz genommen hatte, nachdem er einen Befangenheitsantrag gestellt hatte, der im Nachhinein abgewiesen wurde.
Inhaltlich hielt Heusinger, der diesmal als einziger Prozessteilnehmer erschienen war, an seiner Kritik fest: Das Gericht benutze ausschließlich das generische Maskulinum, dabei handele es sich bei seinen Mandant*innen explizit nicht um männliche CIS-Personen. Rechtlich, räumte er ein, sei das möglich, dennoch liege ein Verstoß gegen die Richtlinie des Landes Berlins für die Nutzung gendergerechter Sprache in der Verwaltung vor.
Liebig-Anwalt kündigt Einspruch an
Ob sich der Eigentümer, der Berliner Immobilienspekulant Gijora Padovicz beziehungsweise seine Siganadia Grundbesitz GmbH & Co. KG schon auf eine baldige Räumung freuen dürfen, ist jedoch ungewiss. Heusinger kündigte an, Einspruch gegen das Urteil einzulegen, auch gegen die vorläufige Vollstreckbarkeit.
Sein vermeintliches Ass im Ärmel: „Das Gerichtsurteil richtet sich gegen den falschen Verein.“ Zur Räumung verurteilt ist der Verein Raduga e.V.; dieser jedoch habe das Haus bereits 2018 an den Verein Miteinander e.V. untervermietet. „Im Haus ist ein anderer Verein als der Beklagte“, sagte Heusinger, dieser müsse separat „herausgeklagt werden“. Den Untermietvertrag habe er dem Gericht vorgelegt, dieser sei aber nicht gewürdigt worden.
Sicher, dass er damit durchkommt, ist der Anwalt aber nicht. Er habe schon erlebt, dass ein Haus geräumt und danach die Rechtswidrigkeit festgestellt werde. Also appellierte er an den Senat: „Ich hoffe, dass das Land Berlin mit Räumungsversuchen in Corona-Zeiten nochmal vorsichtiger ist.“
Ganz so schnell wird es aber sowieso nicht gehen, stattdessen ein ist mehrmonatiger Prozess wahrscheinlich: Nach der Aufforderung freiwillig zu gehen wird ein*e Gerichtsvollzieher*in eingesetzt, der*die dann wiederum eine Frist setzen muss.
Es wird weiter protestiert
Es bleibt also genug Zeit zum Protest: Bereits am Dienstagabend waren etwa 300 Demonstrant*innen durch Friedrichshain geströmt, um an wechselnden Orten ihre Solidarität mit der Liebig 34 zu bekunden.
Während des Prozesses versammelten sich auf dem Dorfplatz vor der Liebigstraße 34 rund 150 Menschen, um der alternativen Gerichtsversammlung beizuwohnen. Ein gutes Dutzend Polizist*innen drückte sich an die Wände der Seitenstraßen. Bewohner*innen der Liebig 34 hatten zum Theaterstück geladen, statt zum Gericht zu mobilisieren, weil „wir uns schlicht und einfach weigern, mit diesem bürokratischen Akt zu kooperieren“.
Die Wahrheiten, die dann ab kurz nach 9 Uhr mit musikalischer Untermalung inszeniert wurden, waren einfach: Schwarzvermummte zündeten Auto des Klägeranwalts an: Applaus. Der beschlipste Anwalt vertritt nur eins, das Recht auf Profit: Buh-Rufe. Der Richter hat eh die Arschkarte gezogen und macht sich mit Ordnungsrufen lächerlich: Gelächter. Die Vertreter*in der Liebig 34 verteidigt in einem brennenden Plädoyer diesen Ort der „Vielfalt und Toleranz“: Tosender Applaus. Vermummte vermöbeln Polizist*innen mit Schweinenase: Applaus.
Und am Ende fallen sogar die Gerichtsprotokollant*innen in den vor Ort herrschenden Konsens ein. „Diese Räumung ist ein Angriff auf uns alle.“ Abschließend noch ein bisschen Pyro in Einhornfarben vom Nachbardach und schließlich die trostlose Nachricht vom Räumungstitel. Kurzes Schweigen aus der Lautsprecheranlage, „damit müssen wir jetzt erst mal umgehen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus