Prozess nach Bedrohung und Beleidigung: „Geh' zurück nach Bagdad“
Das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek verurteilt einen 39-Jährigen zu einer Geldstrafe wegen Bedrohung. Strafverschärfend wirkt die Ausländerfeindlichkeit.
Glaubt man Serkan K., so stimmt nichts davon. Tatsächlich sei er mit dem Hund einer Freundin spazierengegangen, einem sehr alten Labrador. Die Kinder hätten das Tier streicheln wollen, dann sei der Vater dazu gekommen und habe den friedlich schnüffelnden Hund mit dem Fuß in die Schnauze getreten. „Ich meinte zu ihm:‚Kollege, was ist mit dir los, bist du bescheuert?‘“, sagt K. Daraufhin habe B. ihm mit dem Fahrradhelm auf den Kopf gehauen, er selbst habe nur noch weg gewollt, B. sei ihm aber hinterher gekommen, zudem noch ein Sicherheitsdienstmann. Und ja, er habe ein Messer aus seiner Tasche geholt, „einfach, damit sie Abstand halten“ und nur im Rückwärtsgang.
Es gibt nur zwei Rückfragen zu K.s Aussage. „‚Helme sind scheiße‘, haben Sie das gesagt?“, fragt der Richter freundlich. „Ich habe gesagt:‚Jungs, wo ich klein war, gab es keine Fahrradhelme‘, das war nur Spaß, ich bin kinderlieb, ich bin tierlieb“, sagt K. „Was ist das für ein Spaß, wenn sie stürzen?“, fragt der Richter, aber es ist keine Frage. „Waren Sie alkoholisiert?“, will K.s Anwalt von ihm wissen. „Ja“, sagt K.
Eigentlich sollten jetzt die Zeugen Aziz B. und Antje B. gehört werden, der Geschädigte und seine Frau, aber die beiden sind nicht erschienen. Erschienen ist Abdul E., der Sicherheitsdienstler, der in der Gegend patrouillierte und die Polizei rief, nachdem Serkan K. sein Messer gezückt hatte. Abdul E. ist ein schmaler Mann in Daunenjacke und Jeans, er ist bemüht, ausführlich Auskunft zu geben, und er will es erst einmal selbst auf Deutsch versuchen, ohne die Hilfe der Dolmetscherin.
„Impulsiver Charakter“
E. stützt in allem die Vorwürfe gegen K. Er verneint, dass der Vater K. geschlagen habe und er verneint, dass der Vater den Hund getreten habe. „Nein, mit Hand“, sagt er. Das ist der Moment, in dem Serkan K. das erste Mal das zeigt, was der Richter später einen „impulsiven Charakter“ nennen wird. „Tierquäler“, ruft K., sein Anwalt hebt beschwichtigend die Hand.
Die Stimmung ist inzwischen frickeliger, K.s Anwalt fragt immer wieder nach, wo der Zeuge wann gestanden und was genau er von dort gesehen hat. Er ist unzufrieden mit der Arbeit der Dolmetscherin, einer jungen Frau mit Pferdeschwanz. „Ich habe nicht das Gefühl, dass die Dolmetscherin eins zu eins übersetzt“, sagt er. „Ich mache das seit acht Jahren, ich weiß das“, sagt sie unbeeindruckt. Als sie fertig ist mit der Übersetzung, wendet sie sich einmal an das Gericht: „Ich fühle mich durch den Angeklagten bedroht“, sagt sie. „Er fixiert mich.“ Serkan K. findet das abwegig. Er ist, so scheint es, ein Mann, der Probleme anzieht.
Eine Woche später, beim zweiten Termin, erscheinen auch Aziz B. und Antje B. vor Gericht. „Ich muss mich entschuldigen“, sagt Aziz B., „ich habe nach all den Verschiebungen versäumt, den Termin einzutragen.“ B. ist Lufthansatechniker, ein großer Mann in Troyer und Lederschuhen und es ist erstaunlich und nicht erstaunlich zugleich, dass Serkan K. in einer Prozesspause sagen wird, dass er dieses Portiönchen hätte zusammenfalten können, wenn er es gewollt hätte.
Aziz B. sagt, er habe sich im Haus befunden und draußen Stimmen vernommen. Dann sei „ein Begriff, den wir nicht benutzen“, gefallen – „Scheiße“. Daraufhin habe er die Kinder gerufen, damit sie nicht weiter mit dem Angeklagten sprächen. „Der Herr kam hinterher, hat weiter erzählt“, sagt Aziz B. „Ich habe ihn gebeten, fernzubleiben. Er sagte, ich solle nach Bagdad zurück.“ Aziz B. ist gebürtiger Marokkaner, er lacht kurz, während er das erzählt.
Ein steckengebliebener Heimatforscher
B. sagt, dass Serkan K. keine Stechbewegung mit dem Messer gemacht habe, „das muss man ehrlicherweise sagen“, und vermutlich ist es das, was der Staatsanwalt meint, wenn er später sagen wird, dass der Zeuge keine Belastungstendenz gehabt habe. B. verneint, sich K. genähert oder den Hund auch nur angefasst zu haben, er habe große Angst vor Hunden.
Die Zeugenaussage seiner Frau bleibt kurz: Sie kann sich an kaum etwas erinnern. In einer Pause setzt sich Serkan K. auf die Holzbank vor Saal 137. „Bla, bla“, sagt er, „diese Araber“. Seine Finger sind mit Runen tätowiert und wenn man ihn fragt, warum, erzählt er mit der Bereitwilligkeit eines Briefmarkensammlers, den man nach Sondermarken fragt, von den Hunnen, die einmal in Zentralasien gelebt hätten. A. wirkt wie ein Heimatforscher, der in seinen Anfängen steckengeblieben ist, er hat bei Amazon für 80 Euro einen Gentest bestellt und erfahren, dass er zu 80 Prozent Kelte ist. „Bekomme ich eine Geldstrafe, auch egal“, sagt er, er sei schon vorbestraft.
Drinnen in Saal 137 wird der Richter Genaueres dazu sagen: A. hat acht Einträge im Strafregister, wegen Schwarzfahrens und wegen gefährlicher Körperverletzung. Der Richter fragt nach K.s persönlichen Verhältnissen, um die Größenordnung einer Geldstrafe abzustecken: K. war im Hamburger Hafen Großmaschinenführer, derzeit ist er arbeitslos. „Es klingt blöde“, sagt er, ohne das weiter zu erklären, „ich würde gern den Taxischein machen, mein Vater hatte ein Taxiunternehmen mit 20 Taxis.“ A. hat aber auch 10.000 bis 15.000 Euro Schulden, „ein Handyvertrag nach dem anderen, Naivität“.
Präzise vorausgesagt hat K. seine Strafe. „Die Hauptverhandlung hat die Anklagevorwürfe voll bestätigt“, erklärt der Staatsanwalt in seinem Plädoyer und fordert für Serkan K. 120 Tagessätze à 10 Euro. Der Anwalt widerspricht und beantragt Freispruch: Die Zeugen seien keineswegs widerspruchsfrei und der Angeklagte habe sich subjektiv in einer Notwehrlage befunden. „Mein Mandant hat selbst ausländische Wurzeln, es ist sinnlos, ihm Ausländerfeindlichkeit vorzuwerfen“, sagt er.
Der Richter glaubt den Zeugen. Er verurteilt K. zu 90 Tagessätzen à 10 Euro. Strafverschärfend, so erklärt er, sei der „ausländerfeindliche Charakter“ der Beleidigungen. Der Angriff auf A. sei eine Schutzbehauptung. „Gott ist mein Zeuge“, ruft K. dazwischen.
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