Prozess in der Türkei: Adil Demirci darf nicht nach Hause
Der Vorwurf des Istanbuler Gerichts lautet Terrorismus – Adil Demirci bestreitet das. Der Kölner Sozialarbeiter darf die Türkei bis zum Ende des Prozesses nicht verlassen.
Demirci reagierte verärgert. „Das ist sehr enttäuschend für mich. Ich hatte damit gerechnet, dass ich heute zurückkehren kann.“ Seine Familie sei „im Schock“. Vor der Verhandlung hatte Demirci gesagt, er wolle sein Leben in Köln wiederhaben und mache sich Sorgen um seine Mutter, die in Deutschland lebt und schwer an Krebs erkrankt sei. „Meine Anwälte und ich hoffen, dass es einen ähnlichen Verlauf nimmt wie bei Mesale Tolu“, sagte er. Die Übersetzerin, die für ähnliche Vorwürfe ebenfalls monatelang in Untersuchungshaft gesessen hatte, durfte im vergangenen Sommer nach Deutschland ausreisen.
Demirci, der sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsangehörigkeit hat, war im April 2018 während des Urlaubs in Istanbul festgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem Mitgliedschaft in der linksextremen Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei vor. Die MLKP gilt in der Türkei als Terrororganisation. Demirci, der auch für die linke Nachrichtenagentur Etha gearbeitet hat, weist die Vorwürfe zurück.
Der Richter legte am Dienstag aber auch neue Anschuldigungen vor. Er las aus einem Bericht vor, der auf Geheimdienstinformationen basieren soll und in dem von „Kurierdiensten in Syrien und dem Irak“ die Rede ist. Gemeint waren offenbar Kurierdienste für eine Terrororganisation, sagte Anwalt Keles Öztürk. Demirci wies auch diesen Vorwurfs zurück.
Verhandlungen mit viel Publikum
Bisher hatte die Staatsanwaltschaft ihre Anklage vor allem darauf gestützt, dass Demirci ab 2013 Beerdigungen von Mitgliedern der MLKP besucht hatte, die in Nordsyrien an der Seite der kurdischen Miliz YPG gegen die Terrormiliz IS gekämpft haben. Demirci selbst bestreitet das nicht. 2013 sei er da zufällig hineingeraten. Später sei er bei Kollegen von Etha mitgegangen. Die Veranstaltungen seien von der Polizei erlaubt gewesen. Sein Anwalt wies darauf hin, dass Demirci damit keine Straftat begangen habe.
Demircis Fall wird in Deutschland und seiner Heimatstadt Köln aufmerksam verfolgt. Zu den ersten beiden Verhandlungen waren Landes- und Bundestagspolitiker, Aktivisten und gleich mehrere Vertreter von Demircis Arbeitgeber, dem Internationalen Bund (IB), angereist. Auch weil der vorsitzende Richter irritiert auf die vielen Deutschen im Saal reagiert hatte, fiel die Delegation diesmal kleiner aus. Im Saal saßen Generalkonsul Michael Reiffenstuel, der SPD-Abgeordnete Rolf Mützenich und Anke Brunn aus dem Präsidium des IB.
Ähnliche Fälle hatten ab 2017 die deutsch-türkischen Beziehungen schwer belastet. Prominente U-Häftlinge wie der „Welt“-Reporter Deniz Yücel oder Mesale Tolu sind aber seitdem freigekommen und ausgereist. Ihre Prozesse laufen weiter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja