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Prozess in Schweden gegen IranerWegen Massenhinrichtung vor Gericht

In Stockholm beginnt ein Prozess wegen der Khomeini-Massaker von 1988. Einem Mann werden Mord und Kriegsverbrechen vorgeworfen.

Proteste vor dem Gerichtsgebäude in Stockholm gegen die iranische Führung Foto: Stefan Jerrevang/TT/ap

Stockholm taz | Am Dienstag hat in Stockholm ein Prozess wegen Völkerrechtsverbrechen und Mord gegen einen 60-jährigen Iraner begonnen. Dem Mann wird von der schwedischen Anklagebehörde vorgeworfen, zwischen Juli und September 1988 eine zentrale Rolle bei den „Khomeini-Massakern“ innegehabt zu haben: Der Hinrichtung und der Folterung Tausender Oppositioneller. Persönlich soll er an diesen Taten im Gohardashtgefängnis im nordiranischen Karaj beteiligt gewesen sein. Er war im Herbst 2019 bei einer Reise nach Schweden auf dem Flughafen von Stockholm festgenommen worden und saß in Erwartung einer Anklage seither in Untersuchungshaft.

Die Staatsanwaltschaft begründet die Zuständigkeit der schwedischen Justiz mit dem „Weltrechtsprinzip“, der universellen Jurisdiktion eines Staates für die strafrechtliche Verfolgung von Völkerstraftaten, obwohl diese nicht auf dem eigenen Hoheitsgebiet begangen worden sind. Die dem Angeklagten vorgeworfenen Taten gelten als Kriegsverbrechen, weil sie in der Endphase eines bewaffneten Konflikts zwischen dem Iran und dem Irak stattfanden und die Staatsanwaltschaft von einem Zusammenhang zwischen den Hinrichtungen und diesem bewaffneten Konflikt ausgeht.

Nach einer Attacke der iranischen Volksmudschahedin Ende Juli 1988 hatte der damalige oberste geistliche Führer im Iran, Ayatollah Khomeini, den Befehl erteilt, alle Insassen in iranischen Gefängnissen, die mit den Mudschahedin sympathisierten, hinzurichten. Dieser Befehl war Ende August auch auf gefangene Sympathisanten anderer oppositioneller Gruppen ausgedehnt worden. Amnesty International spricht in einem 2017 erschienenen Bericht, in dem beklagt wird, dass immer noch niemand für diese Verbrechen vor Gericht gestellt wurde, von den „iranischen Gefängnis-Massakern“.

Die Anklagebehörde wirft dem Angeklagten vor, in beiden dieser Phasen an Hinrichtungen und Folterungen beteiligt gewesen zu sein. Der Angeklagte selbst, der von einem Ex-Gefangenen des fraglichen Gefängnisses in schwedischen Medien als „besonders sadistisch“ charakterisiert wird, bestreitet laut seinem Verteidiger nicht nur die Taten, sondern jeden persönlichen Bezug: Es müsse eine Verwechslung seiner Person vorliegen.

Fast 70 Nebenkläger und Zeugen sind geladen

Im Zentrum des Verfahrens, das mit rund 100 Verhandlungstagen einer der umfassendsten schwedischen Strafrechtsprozesse werden wird und bis April 2022 dauern soll, werden daher Beweisfragen stehen. Fast 70 Nebenkläger und Zeugen aus verschiedenen europäischen und nordamerikanischen Staaten und aus Australien sind geladen, darunter auch viele ehemalige Gefangene des Gohardashtgefängnisses – das jetzt Rajai Shahr heißt.

Erik Halkjær, Vorsitzender der schwedischen Sektion von Reporter ohne Grenzen, begrüßte das Verfahren als „ersten wichtigen internationalen Schritt, um den schrecklichen Übergriffen, Massakern und außergerichtlichen Hinrichtungen, die 1988 im Iran stattfanden, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen“. Er hoffe, dass das Verfahren gegen dieses mutmaßliche Mitglied der „Todeskommissionen“ auch Konsequenzen gegen übrige Hauptverantwortliche der Massenhinrichtungen haben werde, von denen der neue Staatspräsident Ebrahim Raissi einer sei.

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8 Kommentare

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  • „Nach einer Attacke der iranischen Volksmudschahedin Ende Juli 1988 hatte der damalige oberste geistliche Führer im Iran, Ayatollah Khomeini, den Befehl erteilt, alle Insassen in iranischen Gefängnissen, die mit den Mudschahedin sympathisierten, hinzurichten“



    Kaum zu glauben, dass sich ein, noch dazu „geistlicher“, Führer erlauben kann, ohne weitere Umstände die Hinrichtung von Gefangenen zu befehlen!



    Allerdings gab es ähnliches auch in der DDR: Der erste Staats- und Parteichef, Walter Ulbricht, hat oft den Gerichten Vorgaben gemacht, wie mit Teilnehmern am Volksaufstand vom 17. Juni 1953 zu verfahren wäre. Gern legte er auch mal „Todesstrafe“ fest!

  • Ich finde es gut und richtig, Kriegsverbrechen, Mord und Folter strafrechtlich zu verfolgen. Hohl ist das ganze allerdings, wenn Staaten wie GB und USA davon ausgenommen werden. Ich warte darauf, dass W.C Bush und seine Kumpane ebenfalls vor schwedischen Gerichten sitzen. Solange das nicht geschieht kann man den Prozess vergessen.

  • WELTRECHTPRINZIP:



    Schön wäre es universal, ubiquitär und unverhandelbar. Rechtsnormen mit Verbindlichkeiten scheitern nicht nur an, auch in Rechtsstaaten. Verbrechen gegen die Menschheit, ein großer Albtraum der Zivilisation. Zu wenige Delinquenten landen hinter Schwedischen Gardinen. Geschichte lehrt Demut.



    //



    taz.de/Ein-wichtig...eltrecht/!5408828/



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    taz.de/Folter-und-...l-Khatib/!5742188/



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    taz.de/Anklage-weg...zum-Mord/!5785940/



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    taz.de/!606942/



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    taz.de/Spaete-Suehne/!5395159/



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    Auf welcher Seite wollen wir stehen? Wollen wir wirklich alle Wege gehen?

  • Nicht zu Fassen. Die Mujahedin sind eine Islam/Kommunistische Terrororganisation die nicht weniger Menschen auf dem Gewissen haben als der IS. Der Chef hat sein eigenes Land verraten und machte mit Saddam, gemeinsame Sache. Er baute ein eigenes Militär im Irak auf und griff von dort den Iran an. Mit Panzern und Hubschraubern griffen sie Dörfer im Iran an und töteten und vergewaltigten. Im Iran haben sie viele Massaker verübt und sogar Frauen und Kinder ermordet. Im Irak waren sie sogar bei den Chemie-Waffen Angriffen gegen die Kurden beteiligt. Sie saßen nicht unschuldig im Gefängnis. Die Leute die hingerichtet wurden, haben viel Blut an den Händen gehabt. Heute darf diese gefährliche Terror Organisation, ganz frei in Europa agieren. In Frankreich und Albanien haben sie heute ihren Sitz. Einfach traurig das Europa diese Terroristen agieren lässt und den Menschen den Prozess macht die diesen Terroristen das Handwerk gelegt haben. Mir fehlen die Worte !

    • @Stein Hai:

      Sie rechtfertigen Massenmorde an unbewaffneten Gefangenen. Selbst wenn das Terroristen gewesen sein sollten, gäbe es keine Begründung dafür - außer selbst Terror auszuüben.

      Sie sind anscheinend selbst Sympathisant von Terroristen. Sollte man Sie deswegen ermorden, wie es das iranische Regime getan hat?

    • @Stein Hai:

      Wollen Sie damit sagen, dass der Angeklagte also an einem guten und rechtmäßigen Massaker beteiligt war?



      Kriegsverbrechen sind auf jeder Seite Kriegsverbrechen und müssen vor Gericht!

  • Hmm das würde doch dann heißen, das sobald Ebrahim Raissi in einen Land dessen Justiz dem Weltrechtprinzip folgt einreist, er festgenommen werden müsste. Ob das klappt ?

    • @Waldo:

      Das Weltrechtprinzip wird eben eher selektiv angewendet.

      Die Bundesrepublik geht zum Beispiel unter dem Banner gegen einige Syrer vor, das OLG Koblenz hat im Februar ein ehemaliges Mitglied des syrischen Geheimdienstes zu 4 Jahren und 6 Monaten Haft, wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.

      OLG Koblenz, Urteil v. 24.2.2021, 1 StE 3/21

      Hingegen Mahmud Haschemi Schahrudi, damals Irans oberster Richter mit kübelweise Blut an den Händen, hat die Bundesrepublik 2018 zur medizinischen Behandlung ein Visum ausgestellt und als es gegen ihn Proteste gab, mit Polizeischutz wieder zum Flughafen eskortiert.

      www.abendblatt.de/...udi-gestorben.html

      Wenn man etwas zynisch ist, könnte man sagen, das sich westliche Staaten leichter tun, gegen Trümmerstaaten wie Syrien vorzugehen, als gegen potente Regionalmächte, bei denen man mit Vergeltung rechnen muss...