Prozess in Karlsruhe: Wenn der Mörder sich selbst stellt
28 Jahre blieb der mutmaßliche Mörder einer Frau unentdeckt – bis Paul P. selbst zur Polizei ging. „Ich träume jede Nacht davon“, sagt er.
Am 22. 6. 1987 fand ein Spaziergänger im Wald hinter dem Wildparkstadion ein Damenfahrrad und die Leiche einer strangulierten und schwer misshandelten Frau. In ihrem Mund steckt ein dicker Stock. Die Karlsruher Polizei richtet eine 20-köpfige Sonderkommission ein, setzt eine Belohnung aus. Doch trotz Hinweisen aus der Bevölkerung bleiben die Ermittlungen erfolglos. Die Tat, an die heute ein Gedenkstein am Tatort erinnert, wird nie geklärt.
„Ohne das Geständnis von Paul P. wären wir heute nicht hier“, sagt Alexander Kist, Verteidiger von Paul P., am Dienstag. Das müsse beim Urteil berücksichtigt werden. P. wird in Handschellen vor die Karlsruher Jugendstrafkammer geführt. Er war zur Tatzeit 20 Jahre alt. Es liegt im Ermessen des Gerichts, ob nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht geurteilt wird.
Vor den Richtern wiederholt P. sein Geständnis. Er ist ein schmaler Mann mit dunklen mittellangen Haaren, einem Kinnbart und Brille. Er spricht leichtes Schweizerdeutsch. Er sei die Bilder der toten Frau nicht mehr los geworden, sagt er. „Ich träume jede Nacht davon.“
Paul P. berichtet von seiner Jugend. Er ist das dritte von vier Geschwistern, seine jüngere Schwester wird zur Adoption freigegeben, seinen leiblichen Vater kennt er nicht. Seine wechselnden Stiefväter schlagen ihn, er kommt ins Heim, obwohl er bei seiner Mutter bleiben will. Dort gibt es Schwierigkeiten, er wird weitergereicht in eine Einrichtung für Schwererziehbare. P. macht eine Ausbildung zum Metallwerker, die er nie beendet. Schon vorher hat er erste sexuelle Beziehungen zu Mädchen, allerdings ohne irgendwelche Auffälligkeiten, wie er sagt. Nur dass er viel trinkt, fällt selbst im Heimumfeld auf.
Schon zwei bis drei Liter Bier getrunken
Der damals 20-Jährige ist noch in dem Schwererziehbarenheim, als er an jenem Juni-Sonntag am Wildparkstadion auf Antonella Bazzanella trifft, die in der Stadt als Eisverkäuferin arbeitet. Tina Turner tritt an diesem Tag im Stadion auf, P. wollte von außen der Musik zuhören. Er hat schon zwei bis drei Liter Bier getrunken, als ihn Bazanella nach Pferden fragt, die sie im Park suche. Er weist ihr den Weg in den dahinterliegenden Wald.
Das Mädchen habe ihm gefallen, sagt P. vor Gericht, er sei „spitz“ gewesen. Er habe die letzte Dose ausgetrunken und sei der Frau mit dem Fahrrad gefolgt. „Wollten Sie Geschlechtsverkehr um jeden Preis?“, fragt der Vertreter der Nebenklage. Paul P. nickt.
Was dann folgt, daran hat der Mann nur noch bruchstückhafte Erinnerung. Er habe die Frau eingeholt, berichtet er, und ihr im Fahren an die Brust gefasst. Bazanella sei gestürzt, wieder aufgestanden und habe ihn beschimpft. „Da habe ich rotgesehen“, sagt P. mit leiser Stimme.
Warum? P. kann sich nicht erinnern
Laut Polizeibericht soll P. die junge Frau mit der Kordel ihrer Handtasche um den Hals zwischen zwei Bäumen angebunden und sie erdrosselt haben. Die qualvolle Prozedur habe lange Zeit gedauert. „Kann sein“, sagt P. am Dienstag. Er wisse es nicht mehr. Er könne sich nur noch erinnern, wie er sie mit den Händen gewürgt habe. Und an die Sache mit dem Stock. Mithilfe eines Steins habe er der Frau einen Stock in den Mund getrieben. Warum, das könne er nicht mehr sagen. Sexuelle Lust habe er dabei nicht empfunden.
Kurz nach der Tat zog Paul P. nach Basel in die Schweiz zu seiner Familie. Dort arbeitete er bis vor wenigen Monaten auf Baustellen und in der Gebäudereinigung. Er ist nach allem, was bekannt ist, nie mehr mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Er führt Beziehungen, die immer wieder scheitern. Gewalt gegen Frauen habe er aber nie wieder angewandt: „Das war damals das erste und einzige Mal.“
Kurz nach dem Tod seiner Mutter, die er gepflegt hatte, seien dann die Bilder der Tat wiedergekommen, die er über zehn Jahre verdrängt hatte. „Ich habe das nicht mehr geschafft, sagt Paul P. „Ich habe mich gestellt, damit die Tat bestraft wird.“
Mitte Oktober erwartet ihn nun das Urteil des Gerichts.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen