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Prozess gegen „Querdenken“-Chef BallwegVerrannte Staatsanwaltschaft

Benno Stieber
Kommentar von Benno Stieber

Die Staatsanwaltschaft machte „Querdenker“ Michael Ballweg unnötigerweise zu einem Opfer von Staats-Repression. Zum Glück ist er jetzt freigesprochen.

Michael Ballweg wurde freigesprochen, hier vor Gericht in Stuttgart am 31.Juli 2025 vor der Verkündung des Urteils Foto: Bernd Weißbrod/dpa

A m Ende hat die Staatsanwaltschaft den Oberquerdenker Michael Ballweg zu dem gemacht, was die ganze Bewegung schon immer von sich behauptet hat: zu einem unschuldigen Opfer staatlicher Maßnahmen. Von den ursprünglichen Vorwürfen des tausendfachen Betrugs, der Geldwäsche und der Steuerhinterziehung bleiben am Ende eine Hundematte und ein Parfümflakon, die er falsch verbucht hatte. Der bis dahin unbescholtene Ballweg saß dafür neun Monate in Untersuchungshaft und wurde bei einer Vernehmung sogar mit Handschellen an einem Tisch fixiert.

Aber es war kein politisches Verfahren, wie Ballweg und seine Anhänger stets behaupteten. Es ist geboten, dass die Staatsanwaltschaft hinguckt, wenn einer vor Tausenden politischen Demonstranten zu „Schenkungen“ aufruft. Man kann verstehen, dass es der Staat nicht auf sich beruhen lässt, wenn einer wie Ballweg auf Youtube demonstrativ mit dem Gedanken spielt, keine Steuern mehr zu zahlen, weil er mit den Coronamaßnahmen nicht einverstanden ist.

Aber wenn schon die Anklage vom Gericht nicht in vollem Umfang zugelassen wird und sich dann im Verfahren abzeichnet, dass die zuständige Kammer die Grundannahme der Anklage nicht teilt und das wiederholt zu verstehen gibt, dann wäre es mit Sicherheit klüger gewesen, einer Verständigung mit dem Angeklagten zuzustimmen.

Die Staatsanwaltschaft hat sich ganz offenbar verrannt; vielleicht gab es auch Weisungen aus dem Justizministerium von Baden-Württemberg, das hätte dann ein G’schmäckle. Die Staatsanwaltschaft scheint jetzt gut beraten, nicht noch das Abenteuer eines Revisionsantrags vor dem Bundesgerichtshof zu unternehmen und damit Ballweg, der während des Verfahrens mit seinen windelweichen Slogans und Friedenstaubens-Signets vollends zu einer schlechten Parodie des zivilen Widerstands wurde, nicht noch einmal eine Bühne für seine peinliche Travestie zu geben. Ein weiteres Verfahren würde ihn und seine Anhänger nur in dem Glauben bestärken „einmal Rebell, immer Rebell“ zu sein, wie es gestern auf seinem Shirt stand.

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Benno Stieber
taz-Korrespondent BaWü
Benno Stieber ist seit 2015 Landeskorrespondent der taz in Baden-Württemberg. In Freiburg als Österreicher geboren, lebt er heute als eingefleischter Freiberufler wieder im badischen Landesteil. Er ist Absolvent der "Deutschen Journalistenschule" in München und hat dort auch Geschichte und Politik studiert. Er schrieb unter anderem für die "Financial Times Deutschland", hat einen erfolgreichen Berufsverband gegründet und zwei Bücher geschrieben. Eins über Migranten nach der Sarrazin-Debatte und eins über einen Freizeitunternehmer aus dem Südwesten.
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10 Kommentare

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  • Sehr ehrenwert von der taz, nicht nur über den Prozessausgang zu berichten, sondern zum Vergleich auch die älteren Berichte über Verhaftung und Prozess gleich dazu zu stellen.

  • Mir machen solche Staatsanwaltschaften Angst.

    Danke für den Kommentar.



    Dieser vom Gericht abgewehrte Anschlag auf den Rechtstaat war ja leider fast allen anderen Medien keine einzige Zeile wert, und vom ÖRR brauchen wir da gar nicht erst zu reden.

    • @Don Geraldo:

      Die Süddeutsche berichtete ebenso, ausführlich und angenehm differenzierend.

    • @Don Geraldo:

      "Mir machen solche Staatsanwaltschaften Angst."



      Ja, mir auch. Getrieben von Ehrgeiz? Von persönlichen Ansichten?



      Gibt es keinen Einstellungstest, der solche "Befindlichkeiten beim Bewerber" im Vorfeld entlarven kann? Die weitestgehende Neutralität ist in der Rechtssprechung das höchste Gut.

      Und abgesehen davon: ein bisschen Weiterdenken an die aus meinem Handel resultierenden Folgen sollte im Zeitalter des Kulturkampfs schon angebracht sein.

      • @Fritz Müller:

        In der Tat ist Fehlerkultur bei Staatsanwaltschaften unterentwickelt. Das ist ein Erbe des Preußenstaates einhergehend mit einer Elitenkultur.

        Das zeigen auch die Fälle von Wiederaufnahmeverfahren, die zu 90% abgewiesen werden - vgl. den Fall in Bayern mit einer Richterin, die Gutachten und entlastende Beweise beim Unfall in der Prien unterdrückte und über ihre Seilschaften versuchte Einfluss auf die Berichterstattung der Zeit zu nehmen. Wie so oft wurde dabei ein entwicklungsverzögerter Menschen angeklagt, der sicht schlecht wehren kann. Das passiert gerade in Bayern auffallend oft.

        Und dies ware eine Richterin, die das Neutralitätsgebot gegenüber der Staatsanwaltschaft vernachlässigte wie diese wiederum entlastende Hinweise nicht berücksichtigte. Der BGH hat jetzt eine Neuverhandlung angesetzt und den Beschuldigten entlassen.



        Keine Entschuldigung der Staatsanwaltschaft. Sie muss auch keine Konsequenzen befürchten, z.B. wegen Rechtsbeugung. Es heißt nur, sie hätte schlampig ermittelt.

        Was ist diesem Staat fehlt, ist ein Ombudsmann, der Waffengleichheit gegenüber mächtigen Staatsanwaltschaften herstellt, wenn diese aus prozesstaktischen Gründen "tricksen".

        • @rakader:

          "Was ist diesem Staat fehlt, ist ein Ombudsmann, der Waffengleichheit gegenüber mächtigen Staatsanwaltschaften herstellt, wenn diese aus prozesstaktischen Gründen "tricksen"



          ... das ist ein guter Vorschlag.



          ... und eine schlechte Entwicklung für die Staatsanwälte.



          Jeder Anwalt der Verteidigung wird darauf herumreiten — egal ob sachlich zu begründen oder nicht ...

  • Immer traurig, wenn rebellische Energie sich in komplette Parallelwelten verirrt, statt in unserer fruchtbar und kreativ zu wirken.



    Stuttgart hatte und hat so ein gutes Bürger-mwd-Substrat, das bei S'21 die Verwaltungen inhaltlich locker toppte und einen guten Protest hinbekam.

    Rechte gelten ansonsten universal für alle, und auch für diese Klärung gibt es die Gerichte.

  • "Man kann verstehen, dass es der Staat nicht auf sich beruhen lässt, wenn einer wie Ballweg auf Youtube demonstrativ mit dem Gedanken spielt, keine Steuern mehr zu zahlen, weil er mit den Coronamaßnahmen nicht einverstanden ist."

    Sorry aber NEIN, das kann man nicht verstehen! Ich kann den Mann nicht leiden, aber nur mit dem Gedanken zu spielen keine Steuern zu zahlen ist in keinster Weise strafbar!

    • @PartyChampignons:

      Wenn jemand äußert, gegebenenfalls keine Steuern zu



      zahlen, wäre zuerst das Finanzamt gefordert, die Steuer-



      Erklärungen auf Fehler zu prüfen, die StA ist richtigerweise



      wohl erst der 2. Schritt, wenn vorsätzliche falsche Angaben



      festgestellt wurden.

    • @PartyChampignons:

      Damit redet man ja den Superreichen in Deutschland das Wort, die haben das ja größtenteils schon in die Tat umgesetzt.