Prozess gegen Linke in Hamburg: Viel Aufwand gegen G20-Gegner*innen
Zum Auftakt des G20-Rondenbarg-Prozesses zweifelt die Richterin die Verhältnismäßigkeit an. Der Einsatz sei hoch, die zu erwartenden Strafen gering.
Sechs Angeklagte müssen sich im Rahmen des G20-Protests im Juli 2017 wegen Vorwürfen des besonders schweren Landfriedensbruchs, tätlichen Angriffs, versuchter gefährlicher Körperverletzung, Bildung einer bewaffneten Gruppe und Sachbeschädigung verantworten. In der ersten Reihe des Gerichtssaals blieb der Platz neben dem Verteidiger leer – der Anwalt gab an, seine Mandantin nicht erreicht und nichts von ihr gehört zu haben. Die Kammer trennte das Verfahren ab und eröffnete den Prozess gegen die Verbliebenen.
„Um eine Strafe geht es hier nicht“, stellte die Richterin zu Beginn klar. Sechseinhalb Jahre nach den Ereignissen sei es wahrscheinlich, dass vom möglichen Strafmaß nichts mehr übrig bleibe. Dass so viel Zeit vergangen sei, stelle eine rechtsstaatswidrige Verzögerung dar, die das Strafmaß mindern würde, sollten die Angeklagten schuldig gesprochen werden. Zudem sehe die Richterin die hohe Belastung für die Angeklagten durch das jahrelang über ihnen schwebende Verfahren und die weite Anreise. Bis mindestens in den August hinein sollen sie an vier Tagen im Monat erscheinen. Zwei von ihnen wohnen in Süddeutschland.
Aus Sicht der Kammer stelle sich daher die Frage, ob der Aufwand, gemessen am möglichen Ergebnis, im Verhältnis stehe, so die Richterin. Irgendwann müsse der Fall allerdings mal aufgeklärt werden. Im Zentrum stünden die Fragen „Was darf Protest?“ und „Was geschah am Rondenbarg wirklich und war der Protestzug eine normale Demonstration?“
Einstellung möglich
Die Staatsanwaltschaft vertritt die Auffassung, die 150 bis 200 G20-Gegner*innen, die durch das Industriegebiet gezogen waren, hätten einen gemeinsamen Tatplan verfolgt, der nur darauf zielte, Polizeikräfte zu binden, anzugreifen und Schaden anzurichten. Deshalb seien alle Teilnehmer des „Aufzugs“ – den die Staatsanwaltschaft nicht als vom Versammlungsrecht geschützte Demo versteht – für alle Taten verantwortlich zu machen. Den Angeklagten wirft sie keine individuellen Gewalthandlungen vor.
Zwei der Angeklagten lasen eine Prozesserklärung im Namen aller Angeklagten vor. Eine Verurteilung wegen des legitimen Protests könnte fatale Folgen für das Versammlungsrecht haben, sagten sie. Eine Verteidigerin beantragte die Einstellung des Verfahrens, weil es nicht auf rechtsstaatlichen Voraussetzungen fuße. Alle Verteidiger*innen schlossen sich dem an. Nach der Verhandlung tagte die Kammer ohne die Öffentlichkeit mit allen Prozessbeteiligten, um die Möglichkeiten einer Einstellung zu erörtern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern