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Prozess gegen KZ-Wachmann in MünsterSS-Mann pocht auf Ahnungslosigkeit

Johann R. steht wegen Beihilfe zum Mord im KZ Stutthof vor Gericht. Doch von Massentötungen in dem Lager will er nichts mitbekommen haben.

In Stutthof starben bis 1945 etwa 65.000 Menschen Foto: dpa

Berlin/Münster taz | Der vor dem Landgericht Münster wegen Beihilfe zum Mord an mehreren hundert Menschen angeklagte ehemalige SS-Wachmann Johann R. will von der systematischen Tötung von Gefangenen im KZ Stutthof nichts mitbekommen haben. Am dritten Tag seiner größtenteils von seinem Anwalt bestrittenen Einlassungen ließ der 94-Jährige auf entsprechende Fragen erklären, er habe niemals Tote gesehen. Von der im KZ installierten Genickschussanlage und der Gaskammer habe er nichts gewusst.

Ihm sei klar gewesen, dass die Behandlung durch die Nazis zu Leid der Gefangenen und zu Toten geführt habe, ließ Johann R. am Dienstag vortragen. Aber: „Es ist nicht so, dass ich konkrete Vorstellungen von irgendwelchen Vorgängen gehabt habe.“ Ihm sei erst gegen Ende seiner Dienstzeit klar geworden, dass „Häftlinge sterben, obwohl man sie mit medizinischer Behandlung oder ausreichend Nahrung vielleicht noch hätte retten können“, sagte R. auf eine entsprechende Frage des Staatsanwalts Andreas Brendel.

Schon zuvor hatte der Angeklagte den Eindruck vermittelt, keine Ahnung von den Vorgängen im KZ Stutthof bei Danzig gehabt zu haben, obwohl er zugleich zugab, dort als Wachmann eingesetzt worden zu sein. Zugleich stellte er sich selbst als ein Opfer dar, der niemals freiwillig der SS beigetreten sei, sondern in seiner Heimat Rumänien als sogenannter Volksdeutscher zwangsrekrutiert worden war.

Der Angeklagte gab zwar zu, dass die Lebensumstände der Häftlinge in Stutthof „erkennbar sehr schlimm“ gewesen seien. Er habe sich dafür geschämt. Er habe sich aber „gegenüber seinen Vorgesetzten „nie getraut, etwas Negatives zu sagen“, heißt es in der Erklärung. „Dass Stutthof als Lager darauf angelegt war, die Häftlinge zu töten, habe ich nicht so wahrgenommen.“

Zu einer Entschuldigung bei den Opfern mochte sich der Angeklagte nicht durchringen.

In Stutthof starben 65.000 Menschen

In Stutthof starben bis 1945 etwa 65.000 Menschen. Ab dem Sommer 1944, als mehr und mehr Juden in das KZ eingeliefert wurden, war dort auch eine Gaskammer zur Tötung der Menschen mit Zyklon B in Betrieb. Auch daran wollte sich der Angeklagte nicht erinnern. Vielleicht sei er zu diesem Zeitpunkt ja schon zur Front abkommandiert worden, sagte sein Anwalt. Unterlagen zufolge währte der Dienst von Johann R. in Stutthof bis zum 1. September 1944.

Mit den Einlassungen verfolgt die Verteidigung offenkundig den Zweck, die Anklage auf Beihilfe zum Mord zu erschüttern. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass R. während seiner Zeit als Wachmann sehr wohl davon gewusst habe, dass in Stutthof planmäßig Menschen ermordet wurden.

„Wir gehen davon aus, dass die Wachleute deutlich mehr wussten als wiedergegeben wurde“, sagte Oberstaatsanwalt Brendel. Auch die Behauptung, R. habe den Dienst unfreiwillig verrichtet, entspreche nicht der Einschätzung der Anklage. Auch der Nebenklageanwalt Onur Özata nannte die Aussagen von R. „nicht glaubwürdig“.

Kritik vom Auschwitz Komitee

Deutliche Kritik übte das Internationale Auschwitz Komitee an den Aussagen. Es werde das Bild eines „zutiefst naiven und hilflosen jungen Knaben“ vermittelt, der dem Geschehen des KZs fassungslos und unbeteiligt gegenüberstehe. „Diese sehr bewusst eingesetzte Haltung der Naivität als Mittel der Rechtfertigung und Verteidigung schiebt die grausame Realität der Opfer von Stutthof weg wie ein lästiges Detail“, schrieb dessen Vizepräsident Christoph Heubner.

Zum nächsten Prozesstag am Donnerstag will das Gericht über ein historisches Gutachten entscheiden. Die Verteidigung lehnt den Gutachter Stefan Hördler als befangen ab. Sie kritisierte, dass das Gericht überhaupt einen Historiker zu Rate ziehe, um sich ein Bild vom Geschehen in dem Konzentrationslager zu machen. In einem etwa 120 Seiten starken Gutachten schildert der Historiker und Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora den Massenmord von Stutthof und beleuchtet die Rolle der Wachleute.

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11 Kommentare

 / 
  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Das menschliche Gedächtnis ist etwas ganz faszinierendes wenn man sich an etwas nicht erinnern will dann kann man es tatsächlich vergessen/verdrängen im hohen Alter von 90 kommt dann noch die Altersdemenz dazu. Ich weis aber auch nicht warum der Fokus so sehr darauf liegt ob er sich erinnern kann, ist völlig egal, wenn man genügend Beweise hat, das er gewusst haben muss was passierte.

  • Etwas stimmt nicht mit dem Datum oben rechts:

    "NaN. NaN. NaN"

    (NaN = Not a Number, siehe de.wikipedia.org/wiki/NaN )

  • Ja wie*¿*

    “…Mit den Einlassungen verfolgt die Verteidigung offenkundig den Zweck, die Anklage auf Beihilfe zum Mord zu erschüttern.…"



    Das - Herr Hillenbrand - ist sein Job.



    Nothing else.



    &



    “…Zugleich stellte er sich selbst als ein Opfer dar, der niemals freiwillig der SS beigetreten sei, sondern in seiner Heimat Rumänien als sogenannter Volksdeutscher zwangsrekrutiert worden war.…"



    & Dazu mal dess --



    “Anfangs handelte es sich bei den Soldaten der Waffen-SS um deutsche Freiwillige, später wurden Volksdeutsche zum Dienst in Einheiten der Waffen-SS verpflichtet, teils unter Druck. Um die Niederlage aufzuhalten, wurden schließlich aus Soldaten der eroberten Gebiete im Osten immer neue fremdländische Kampfverbände gebildet.…"



    de.m.wikipedia.org...lige_der_Waffen-SS



    &



    “Ab dem Sommer 1944, als mehr und mehr Juden in das KZ eingeliefert wurden, war dort auch eine Gaskammer zur Tötung der Menschen mit Zyklon B in Betrieb. Auch daran wollte sich der Angeklagte nicht erinnern. Vielleicht sei er zu diesem Zeitpunkt ja schon zur Front abkommandiert worden, sagte sein Anwalt. Unterlagen zufolge währte der Dienst von Johann R. in Stutthof bis zum 1. September 1944.…"

    Gaskammern waren wie Genickschußanlagen auch - naheliegend&perfiderweise.



    Innerhalb von Gebäuden errichtet.



    War der Wachbetrieb so eingerichtet - daß die SS-Wachmänner dazu Einblick hatten?



    Gibt es Erkenntnisse dazu?



    &



    Wenn - Ihrs - tatsächlich so zutrifft - mal ab von “glaubhaft" - sowieso -

    ”Wir gehen davon aus, dass die Wachleute deutlich mehr wussten als wiedergegeben wurde“, sagte Oberstaatsanwalt Brendel. Auch die Behauptung, R. habe den Dienst unfreiwillig verrichtet, entspreche nicht der Einschätzung der Anklage. Auch der Nebenklageanwalt Onur Özata nannte die Aussagen von R. „nicht glaubwürdig“."

    Dann dürfte der Anwalt mit seinem bisherigen Vorbringen



    &



    den Einlassungen des Angeklagten - Erfolg haben.



    Hörensagen - “wir gehen davon aus"



    Reichen nicht.

    • @Lowandorder:

      Wikipedia als fundierte Quelle , super.

      • @Max Muster:

        Ach - ja .

        War längere Zeit für Kriegsfolgen- Dienst- Soldaten & Vertriebnenen/Aussiedlerrecht als Richter zuständig.



        Dazu gehörte neben den vielfältigen Unterlagen Gutachten etc zu der letztgenannten "Gruppe" als "Handwerkszeug" das (einst) Archiv Kornelimünster*.



        &



        Meines Wissens ist die Zwangsrekrutierung zur Waffen-SS - wie zu SS-Wachmannschaften - in vielfältigen Schattierungen ausreichend belegt.



        Außerdem käme es ohnehin immer auf den Einzelfall an.

        & ohnehin -



        Ein Abtun - ala Schutzbehauptung etc - ist im Strafprozess sicher nicht lege artis.



        &



        Aber auch Journalisten - So ich sie denn ernst nehmen soll - Newahr.



        Sollten sich da eher bedeckt halten.

        unterm------*



        Die Personalakten der früheren Reichswehr und Wehrmacht, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf dem Gebiet der Bundesrepublik noch erhalten waren, wurden zunächst in Dortmund, später im Personenstandsarchiv II des Landes Nordrhein-Westfalen in Aachen-Kornelimünster zusammengetragen.

        1955 gingen die erhalten personenbezogenen Unterlagen der ehemaligen Angehörigen des deutschen Heeres und der Luftwaffe, der Waffen-SS, des Reichsarbeitsdienstes und anderer Organisationen (z. B. Organisation Todt, Nachrichtenhelferinnen) sowie das überlieferte wehrmachtgerichtliche Schriftgut aller Wehrmachtteile an das Bundesarchiv über, das damit jedoch nur über eine „Teilmenge“ der personenbezogenen Unterlagen militärischer Provenienz verfügte.

        • @Lowandorder:

          Sie reden gegen selbstgebaute Strohmaenner an. Bravo.

          • @Max Muster:

            May be.

            Wie an Ihren sachlichen Einwänden erkennbar. Findet Stroh dafür bei Ihnen ja in vielfältiger Weise Verwendung: Gedroschen & gut ballig Abgelagert. Gellewelle.



            Normal.

      • 8G
        88181 (Profil gelöscht)
        @Max Muster:

        Was wäre denn fundiert?

        • @88181 (Profil gelöscht):

          Wikipedia ist keine seriöse Quelle. Diskutieren sie nicht mit wenn Ihnen die Schulbildung dafür fehlt.

        • @88181 (Profil gelöscht):

          Der Typ redet einfach wirres, zusammemhangloses Zeug. Sinnlose Satzversatzteile mit Bezug zu nichts und niemand.