Prozess gegen Islamisten-Witwe: Ein Jahr im IS-Gebiet

Am Freitag fiel in Hamburg das Urteil im Staatsschutzverfahren gegen Omaima A. Sie muss für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis.

Omaima A. zu Prozessauftakt

Im Business-Look: Omaima A. zu Prozessauftakt vor dem Hamburger Oberlandesgericht im Mai Foto: Daniel Reinhardt/dpa

HAMBURG taz | Zum Prozessauftakt hatte sie noch einen mutigen Eindruck gemacht. Mit Jackett und goldenen Ohrringen saß Omaima A. Anfang Mai dieses Jahres zum ersten Mal auf der Anklagebank des Hamburger Oberlandesgerichts, während die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft gegen sie verlesen wurden. Auch am Montag vor Beginn des letzten Verhandlungstages zeigte sie sich gut gelaunt, winkte Bekannten im Publikum zu.

Einige Minuten später jedoch, als sie das letzte Wort sprach, stand sie da in Trainingsjacke und wischte sich an den Ärmeln die Tränen aus dem Gesicht. Ihren Vortrag, den sie vom Zettel ablas, musste sie immer wieder unterbrechen. Es war ihre letzte Chance, das Gericht zu einem milden Urteil zu bewegen. Am heutigen Freitag, 2. Oktober, entschied das Gericht: A. muss für dreieinhalb Jahre in Haft. Die 36-Jährige sei der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland schuldig, sagte der Vorsitzende des Strafsenats, Norbert Sakuth.

Omaima A. soll Mitglied einer terroristischen Vereinigung, dem sogenannten Islamischen Staat (IS), gewesen sein. Zudem soll sie ein nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz verbotenes Sturmgewehr besessen haben. Sie soll eine vom IS als Sklavin gehaltene 13-jährige Jesidin in ihrem Haushalt beschäftigt haben. Und sie soll die Fürsorge- und Erziehungspflicht für ihre Kinder verletzt haben, weil sie sie 2015 mit in das vom IS beherrschte Gebiet in Syrien nahm.

Diese Vorwürfe machte die Bundesanwaltschaft der heute 36-Jährigen, die nach ihrer Rückkehr aus Syrien im Jahr 2016 zunächst drei Jahre unentdeckt in Hamburg lebte. Das Gericht folgte dieser Ansicht weitgehend. Die entscheidende Frage ist, ob sich A. glaubhaft von der IS-Ideologie distanziert hat. Und ob sie ihr je richtig anhing.

Nur den Haushalt geführt?

Denn ihr Verteidiger, Tarig Elobied meint, A. habe im IS-Gebiet lediglich den Haushalt geführt, während ihre beiden getöteten Ehemänner für den IS kämpften. Wir hätten es hier also nicht mit einer Terroristin zu tun, die Bundesanwaltschaft führe auf ihrem Rücken einen politischen Prozess gegen den IS.

Im Jahr 2015 reiste A. über Frankfurt am Main und Istanbul in die vom IS beherrschten Gebiete in Syrien. Zu diesem Zeitpunkt war sie mit dem aus Frankfurt stammenden Islamisten Nadir Hadra verheiratet, der sich bereits in Syrien befand.

Nachdem Hadra bei Kämpfen getötet wurde, heiratete A. Denis Cuspert, der mit Hadra befreundet war. Der Berliner, der zuvor als Gangsterrapper Deso Dogg Karriere gemacht hatte, war da schon in den Führungszirkel des IS aufgestiegen. Cuspert ist laut Bundeskriminalamt vermutlich seit 2018 tot.

Nicht nur führe die Bundesanwaltschaft einen politischen Prozess gegen A., auch die Öffentlichkeit zeige am Prozess nicht wegen der Angeklagten Interesse, sagt Elobied zu Beginn seines Plädoyers. Vielmehr gelte ihr das Interesse, weil sie Denis Cuspert, den wohl berühmtesten deutschen IS-Terroristen, als Ehemann hatte. Nun werde sie mit dessen Taten assoziiert.

Seit einem Jahr in U-Haft

Zu Prozessauftakt wollte sich die Angeklagte nicht zu den Vorwürfen äußern. Im späteren Verlauf des Prozesses sagte sie aber doch noch aus. Am Montag betonte Anwalt Elobied, dass sie nur wegen ihres Ehemanns zum IS gekommen sei. „Die Angeklagte hat sich keine ideologischen Gedanken über den IS gemacht“, sagte er. Die 13-jährige Jesidin, die vom IS versklavt wurde, sei lediglich für eine kurze Zeit von ihr in Obhut genommen worden. Denn deren eigentliche „Herrin“ sei wegen eines Arzttermins verreist gewesen.

Seit über einem Jahr sitzt Omaima A. in Untersuchungshaft. „Es ist die schlimmste Zeit in meinem Leben“, sagte sie am Montag vor Gericht. Hätte nicht eine libanesische Journalistin recherchiert, hätte A. in Hamburg wohl vollkommen unbehelligt weitergelebt. Die TV-Journalistin Jenan Moussa kam über einen Informanten in den Besitz des Handys von A., das sie in Syrien zurückgelassen hatte.

Darauf fanden sich Tausende Fotos, die A. im Umfeld des IS zeigen. Moussa machte A. in Hamburg ausfindig, die ein Foto von sich auf Linked-In hochgeladen hatte, als Tätigkeiten waren dort „Eventmanagerin“ und „Übersetzerin“ angegeben. Erst nach diesen Recherchen griffen die Behörden zu.

Am letzten Verhandlungstag sagte A., dass sie diesen Abschnitt ihres Lebens bereue. „Ich bin wütend auf mich“, sagte sie. Besonders würden ihr ihre Kinder fehlen, die sie seit ihrem Haftantritt nicht mehr sehen konnte. Die Kinder, drei Söhne und eine Tochter, leben seitdem bei Omaimas Eltern.

Bundesanwaltschaft zweifelt an Reue

Ihre Erfahrungen in der Haft sind auch der Grund, warum A. keine Aussagen über andere IS-Mitglieder machen will. Sie wolle nach diesem Prozess nie wieder einen Gerichtssaal betreten, sagt sie. Doch gerade dieser Punkt könnte ihre Reue unglaubwürdig wirken lassen. Zwar sagt A., dass sie mit einigen Taten des IS nicht einverstanden sei, eine komplette Abkehr aber sieht anders aus.

So sieht es zumindest die Bundesanwaltschaft. Sie forderte in der Summe eine Haftstrafe von vier Jahren und zehn Monaten. Sollte A. eine Haftstrafe von höchstens zwei Jahren erhalten, hätten die zur Bewährung ausgesetzt werden können. Liegt sie darüber, muss sie zumindest fürs Erste weiter in Haft bleiben. Dies ist nach dem Urteil am Freitag der Fall. Deshalb versuchte ihr Anwalt am Montag in seinem Plädoyer auf mehreren Ebenen die Rolle und die Schwere der vorgeworfenen Taten seiner Mandantin herunterzuspielen.

Und A. flehte – wegen ihrer Kinder – um Nachsicht vom Gericht. „Ich trage so viel Schmerz und Leid in mir“, sagte sie unter Tränen. Ob das reicht, ähnlich wie im Fall Elina F., die, ebenfalls vor dem Hamburger Oberlandesgericht, vor gut vier Wochen für ähnliche Vorwürfe mit einer Bewährungsstrafe davonkam, war fraglich.

Parallel zur Urteilsverkündung gab es auch eine Protestaktion vor dem Gerichtsgebäude. Aufgerufen haben dazu verschiedene jesidische, kurdische und feministische Gruppen. Die Linkspolitikerin Cansu Özdemir und ihre Mitarbeiter*innen haben mit den anderen Gruppen den Prozess beobachtet.

Heikle Debatte um Rückkehrerinnen

„Im Zusammenhang mit den Prozessen gegen weibliche IS-Mitglieder findet eine seltsame Diskussion statt: Die Rolle der Frau wird zu häufig verharmlost“, sagt Özdemir. Selbst wenn IS-Frauen nicht unmittelbar an Erschießungen oder Kampfhandlungen teilnähmen, würden sie dennoch den Terror stützen. „Wir müssen auch Frauen als Täterinnen sehen“, sagt Özdemir.

Diese Forderung knüpft an eine heikle Debatte an. Haben sich die IS-Rückkehrerinnen strafbar gemacht, auch wenn sie nicht selbst zur Waffe gegriffen haben? Viele von ihnen behaupten, nur ihrem Mann den Haushalt geführt zu haben. Mit dem Rest hätten sie nichts zu tun gehabt. Das war anfangs auch die Strategie der Verteidigung im Fall Omaima A.

Die Bundesanwaltschaft hat deshalb versucht, möglichst umfassend Vorwürfe gegen A. zu sammeln. Das ist auch eine Reaktion auf den Bundesgerichtshof. Der hatte 2018 die generelle Strafverfolgung von Frauen, die sich dem sogenannten Islamischen Staat angeschlossen haben, abgelehnt. Es reiche nicht, sich am Alltagsleben im Herrschaftsgebiet des IS zu beteiligen, um als Mitglied der terroristischen Vereinigung zu gelten.

Mehr zum Verfahren gegen Omaima A. und den Umgang mit radikalisierten Syrien-Rückkerer:innen lesen Sie am Freitag im Schwerpunkt der taz nord – oder hier.

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