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Prozess gegen G20-DemonstrierendeSchöffe fliegt raus

Im Hamburger Rondenbarg-Prozess war gegen einen Schöffen ein Befangenheitsantrag gestellt worden. Er hatte sich über einen NDR-Bericht aufgeregt.

Anlass zu Kritik: Po­li­zis­t:in­nen während des G20-Gipfels 2017 in Hamburg:

Hamburg taz | Ein Schöffe im laufenden Hamburger Rondenbarg-Prozess wird ersetzt: Das Landgericht Hamburg hat am Dienstag die Ablehnung des Schöffen wegen Befangenheit für begründet erklärt. Beantragt hatten dies die Verteidiger der beiden Angeklagten, weil sich der Schöffe Ende Mai beim NDR über einen Fernsehbericht beschwert hatte.

Ein zweiter Befangenheitsantrag hatte hingegen keinen Erfolg. „Die Ablehnung der Vorsitzenden Richterin wurde zurückgewiesen“, teilte Sven Richwin, einer der beiden Anwälte, der taz mit. Das Gericht bestätigte am Dienstag die Entscheidungen.

Im Hamburger Rondenbarg-Prozess geht es seit Anfang dieses Jahres um die mittlerweile sieben Jahre zurückliegenden Geschehnisse am Rondenbarg im Westen Hamburgs während des G20-Gipfels. Dort war es zu einer Auseinandersetzung zwischen Demonstrierenden und der Polizei gekommen, bei der Dutzende Gipfel-Gegner:innen zum Teil schwer verletzt wurden. Den beiden Angeklagten wird Landfriedensbruch vorgeworfen.

Ende Mai sagte dazu der damalige Einsatzleiter der Polizei als Zeuge aus. Der NDR berichtete darüber. Den Schöffen brachte das so in Rage, dass er sich daraufhin beim NDR über den Bericht beschwerte – er war ihm zu kritisch gegenüber der Polizei ausgefallen.

Vorsitzende Richterin nicht befangen

„Das löst bei den Angeklagten verständlicherweise Besorgnis aus“, sagte Richwin zur Begründung des Befangenheitsantrags. Aus Sicht des Verteidigers hat der Schöffe damit im laufenden Verfahren Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen versucht; er sei also im Verfahren nicht unvoreingenommen. Die dafür zuständige Kammer des Landgerichts folgte nun dieser Ansicht.

Abgelehnt hat sie hingegen den Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende Richterin: Sie war über die Beschwerde des Schöffen informiert worden, doch bestünden, anders als von den Verteidigern angeführt, keine Zweifel an ihrer Unvoreingenommenheit.

Der Schöffe wird nun durch eine Ersatzschöffin ersetzt, sodass der Prozess wie geplant am Donnerstag fortgesetzt werden kann.

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11 Kommentare

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  • Im ersten Prozess um die Menschenjagd von Chemnitz wurden die Angeklagten freigesprochen. Sie waren zwar zweifelsfrei Teil der Meute, wer wie oft auf die am Boden Liegenden eintrat und schwerste Verletzungen zu verantworten hat, konnte aber nicht einwandfrei bestimmt werden.



    In Hamburg reicht aber die bloße Anwesenheit bei genehmigten Demonstrationen aus, um von der Polizei zusammen geschlagen zu werden. Und anschließend wird man auch noch zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.



    Ist das der vielbeschworene Rechtsstaat?

  • Mich stört am meisten die reisserische Überschrift "Schöffe fliegt raus".



    Das klingt nach fristloser Kündigung oder ähnlich. Dabei wurde lediglich ein Schöffe nach einem stattgegebenen Befangenheitsantrag durch einen anderen ersetzt. Ein bisschen mehr Sachlichkeit wäre schon angebracht.

    • @Krumbeere:

      Nach Beginn der Hauptverhandlung kann kein Richter und kein Schöffe durch eine andere Person ersetzt werden.

  • Nunja - zu recht.

    § 42 ZPO



    “(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.“

    Ein Richter ruft beim Sender an - weil ihm dessen Bericht nicht paßt!



    Jo mei - da legst die nieder!



    Und ein Angeklagter zu recht voll des Misstrauens gegen dessen Unparteilichkeit •

    • @Lowandorder:

      Wir sind im Strafprozess also § 24 Abs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 1 StPO.

      • @Martin Overath :

        Jung - das ist doch völlig Jacke - steht doch überall dasselbe drin & wenn ich’s recht erinner - zuerst in der ZPO - aber s.o. egal! Woll



        (ps in ner Klausur müssen’s naturellement richtig machen - 🙀🥳🧐 - ;))

    • @Lowandorder:

      Um es deutlich zu sagen: Der Schöffe hat den NDR verständigt, weil dessen Bericht nicht das widerspiegelte, was der Schöffe in öffentlicher Hauptverhandlung erfahren hatte.

      Das war ungeschickt und mag eine Befangenheit begründen - aber warum fragt niemand, ob womöglich der Bericht nicht objektiv war?

      • @thd:

        Währen eines laufenden Prozesses ist für die Schöffen der Kontakt mit den Medien absolut tabu.

      • @thd:

        Ok Ok - dafür muß ich meinen im Kollegenkreis immer gern genommenen Befangenheits-Ordner (meinen ersten hatte ich nach 2 Monaten also noch als Proberichter per Telefon!;)) nicht bemühen! Woll



        Salopp formuliert - Sie wollen im falschen Wald 🌳 🌲 🌳 - 🪵 hacken!

        kurz - Es kommt allein darauf an - ob objektive Umstände vorliegen - die bei vernünftiger Würdigung geeignet sind ein Mißtrauen in die Unabhängigkeit des Richters zu begründen.



        Das ist hier ganz offensichtlich der Fall •

        Auf den Bericht nach Inhalt etc kommt es für die oben allein relevante Fragestellung nicht an.



        & entre nous but not only -



        (Btw als Befangenheitsrichter könnse da schon mal ins Schwitzen kommen!



        Aber Hallo. Grober Verfahrensfehler?!



        Geht klar! Was aber - wenn der Kollege aufgrund besonderer Umstände den gar nicht vermeiden konnte?!!!



        Tja - da greift objektivierend qua Gesetz der Empfängerhorizont ein! Woll



        Zu schreiben ist das leicht - es dem Kollegen so als Mensch verklickern - eher meist schwieriger! Newahr.



        (Und zu Richtern (gern auch R2) - die über Seiten in der dienstlichen Stellungnahme darlegen - warum sie nicht befangen seien - ein andermal!)



        Normal

    • @Lowandorder:

      Rausflieg für solche "Unparteilichkeit" ist wahrlich nicht unangemessen, oder?

      • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

        Sorry Willi - schnall das erst jetzt!

        Auch wenn emotionalisierte Kollegen das gern anders sehen: Prozeßrecht ist da unter der Ägide - Faires Verfahren - ganz nüchtern: Ergebnis - nimmt an der Rechtsfindung in diesem Verfahren!* - nicht mehr teil •

        unterm——*



        letzteres hängt mit dem Verfassungsgrundsatz des Gesetzlichen Richters zusammen.



        “Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. (2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.“



        www.gesetze-im-int...errichtet%20werden.



        de.wikipedia.org/w...setzlicher_Richter



        Gesetzlicher Richter ist derjenige Richter, der im gerichtlich zu entscheidenden Einzelfall nach der anwendbaren Prozessordnung und dem gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan Recht sprechen darf. Der für die Entscheidung zuständige Richter darf folglich nicht einzelfallbezogen, d. h. ad hoc und ad personam ausgewählt werden.



        Das Recht auf den gesetzlichen Richter (genauer: gesetzlich bestimmten Richter) ist ein Justizgrundrecht, das festlegt, dass für Rechtsstreitigkeiten und Prozesse bereits im Voraus bestim