Prozess gegen Exgeheimdienstler: Mord im Auftrag Jugoslawiens
Der Exilkroate Stjepan Djurekovic wurde 1983 in Bayern getötet. Jetzt will ein Münchner Gericht herausfinden, wer die Täter waren
Sie nannten ihn „Bulldozer“. All seine Energie steckte der kleine Mann mit dem schwarzen Schnurrbart in den Kampf gegen den sozialistischen Vielvölkerstaat Jugoslawien – und für ein unabhängiges Kroatien.
Auch am 28. Juli 1983 hatte er antijugoslawische Manuskripte bei sich. Er brachte sie in eine kleine Hinterhofgarage im Münchner Vorort Wolfratshausen, wo er und weitere Exilkroaten eine Druckerei betrieben. Zuvor hatte er Grillfleisch gekauft, seine Freundin wartete an der nahe gelegenen Isarbrücke. Sie wollten einen Bootsausflug machen. Doch Stjepan Djurekovic kam nicht.
Es ist dunkel, nur durch die Holztür fällt ein heller Lichtkegel. Djurekovic legt sein Manuskript auf die Druckermaschine, wendet sich um. Ein Schuss trifft seine rechte Hand, zwei weitere durchbohren seine Oberarme. Er versucht zu fliehen, zwei Schüsse in den Rücken, der sechste in den Hinterkopf. Zusammengekrümmt und blutüberströmt liegt er am Boden, doch es ist nicht genug. Einer der Täter schlägt ihm mehrmals mit einem harten Gegenstand auf den Kopf, bis Djurekovic tot ist.
Die Mörder wurden nie gefasst. 25 Jahre später verurteilte das Oberlandesgericht München einen damaligen Freund Djurekovics wegen Beihilfe zum Mord. Der verschaffte dem jugoslawischen Geheimdienst einen Zweitschlüssel zur Garage. Ab kommendem Freitag stehen nun deren mutmaßliche Auftraggeber vor demselben Gericht: die exjugoslawischen Geheimdienstler Josip Perkovic und Zdravko Mustac, deren Unterschriften nicht nur unter dem Befehl zur Tötung von Djurekovic gestanden haben sollen.
Der Prozess: Am 17. Oktober müssen sich die kroatischen Staatsbürger Josip Perkovic (69) und Zdravko Mustac (72) vor dem Oberlandesgericht München wegen Beihilfe zum Mord verantworten. 50 Verhandlungstage sind angesetzt, 44 Zeugen und sieben Sachverständige geladen. 133 Journalisten haben sich akkreditiert, darunter 15 aus Kroatien.
Das Opfer: Der 1926 geborene Stjepan Djurekovic, Industriemanager und Mitglied der Kommunisten Partei Jugoslawiens, floh 1982 aus nicht geklärten Gründen nach Deutschland und schloss sich dort kroatischen Separatisten an. Im Juli 1983 wurde er in einer Garage im bayerischen Wolfratshausen erschossen.
Die Angeklagten: Im Geheimdienst der jugoslawischen Teilrepublik Kroatien war Josip Perkovic für die Bekämpfung von Regimegegnern im Exil zuständig. Sein damaliger Chef Zdravko Mustac soll ihn beauftragt haben, Morde im Ausland zu planen und logistisch vorzubereiten. Nach dem Ende Jugoslawiens 1991 arbeitete Perkovic für den Geheimdienst des unabhängigen Kroatiens. (ls, rr)
Mindestens 30 Exilkroaten wurden seit den 1960er Jahren in Westdeutschland erschossen, vergiftet oder erstochen. Es ist die längste unaufgeklärte Mordserie der Bundesrepublik. Konnte der jugoslawische Geheimdienst ungestört in Deutschland morden? Was wussten Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz, Politik? Auch diese Fragen werden eine Rolle vor Gericht spielen.
Die Todesliste der Jugo-Stasi
Dass in Westdeutschland ein Untergrundkrieg ausgefochten wurde, war kein Geheimnis. Medien berichteten vom „schießfreudigen jugoslawischen Geheimdienst“, Gegner des sozialistischen Staates posierten nicht nur in Zeitschriften mit Maschinengewehren und Pistolen. Einige von ihnen planten auch Sprengstoffanschläge in Jugoslawien selbst, andere wie Djurekovic bekämpften den Vielvölkerstaat ohne Gewalt. Doch auch das reichte, um auf die „Todesliste“ der „Udba“, der jugoslawischen Staatssicherheit zu kommen.
In der Bundesrepublik wurden viele Morde an Exilkroaten erstaunlich schnell zu den Akten gelegt. Einerseits, weil der jugoslawische Geheimdienst erfolgreich den Eindruck erweckte, die Regimegegner würden sich gegenseitig zerfleischen. Andererseits kam diese Sichtweise wohl auch manchen der damaligen deutschen Ermittler entgegen.
War der Grund dafür nur Desinteresse an ein paar „Jugos“? Oder bewusste Schonung eines ausländischen Dienstes, der in Deutschland mordete? Es gab auch Doppelagenten, die für Jugoslawien und die BRD arbeiteten. Hatten die deutschen Nachrichtendienste Hinweise und gaben sie nicht weiter?
Der FDP-Politiker Gerhart Baum war ab Ende der 1970er Jahre Bundesinnenminister. „Jugoslawien hatte eine Sonderrolle“, sagt er heute. Es war die Zeit des Kalten Kriegs, Europa war in Ost und West gespalten. Jugoslawien war zwar sozialistisch, aber blockfrei – und daher für die BRD ein wertvoller Vermittler. Ermittlungen seien jedoch nie erschwert worden, sagt Baum.
Zwischen Ost und West
Doch der Kampf der Exilkroaten belastete die guten Beziehungen der Bundeshauptstadt Bonn ins jugoslawische Belgrad. Als Baum dorthin reiste, um über die Freilassung von vier RAF-Terroristen zu verhandeln, verweigerte Belgrad die Kooperation: Bonn tue zu wenig, um Jugoslawiens Gegner in Westdeutschland in Schach zu halten.
Dass die Akten damals gar so schnell geschlossen wurden, scheint auch mit der deutschen Ostpolitik zusammenzuhängen; dass sich zumindest die von Djurekovic jetzt wieder öffnet, liegt an der EU. Denn die mutmaßlichen Hintermänner konnten sich auch nach dem Ende Jugoslawiens 1991 im nun unabhängigen Kroatien sicher fühlen.
Noch 2006 lachte Josip Perkovic über die Möglichkeit, dass irgendein deutsches Gericht ihn und Mustac jemals beschuldigen könnte, einen Mord in Auftrag gegeben und vorbereitet zu haben. Schließlich war er auch im postsozialistischen Kroatien ein hoher Geheimdienstmann. Dass Mustac und er seit Anfang des Jahres in der JVA Stadelheim sitzen, ist dem EU-Beitritt ihres Heimatlandes geschuldet. Kroatien musste die beiden ausliefern.
Auf diesen Moment wartete Robert Zagajski seit über 30 Jahren. Der 48-jährige mit dem weißblonden Schnurrbart sitzt in einem Biergarten in München, vor ihm ein Stapel Papier, darauf alte Schreibmaschinenschrift: die Akte seines Vaters. Auch der musste sterben, weil er von Deutschland aus gegen Jugoslawien kämpfte.
Die Kinder der Opfer
„Solange der Mord nicht aufgeklärt ist, hat man keine Ruhe“, sagt der Sohn heute. Zagajski junior hörte nicht auf, nach der Wahrheit zu suchen, fuhr ins Archiv nach Zagreb. Ein Name taucht in den Akten immer wieder auf: Mustac, der in München Angeklagte. Wie unzählige Söhne, Töchter und Witwen hofft Zagajski nun, dass – falls Mustac und Perkovic verurteilt werden – auch der Mord an seinem Vaters neu verhandelt wird. Doch er hofft mit Skepsis. Viele Namen in den Akten seines Vaters sind geschwärzt, über 600 Seiten fehlen. „Da werden wohl die Mörder drin stehen“, meint Zagajski.
An belastende Unterlagen heranzukommen ist schwer. Sinisa Pavlovic sitzt in seinem Anwaltsbüro in Zagreb, dunkler Anzug, blaue Krawatte. Er vertritt die Witwe Stjepan Djurekovic’, Gizela, die in München als Nebenklägerin auftritt. Sie ist mittlerweile 84 Jahre alt. Als ihr Mann 1982 floh, blieb sie dort. Ein Jahr später war er tot, zur Beerdigung durfte sie nicht. Bis 1990 hatte sie keinen Pass, wurde vom Geheimdienst beschattet. Nur manchmal konnten Freunde eine Nachricht ihres Sohnes über die Grenze schmuggeln.
Auch jetzt scheint der unabhängige, demokratische EU-Mitgliedsstaat Kroatien nicht auf Seiten der Verbliebenen zu stehen. „Die Archive sind für uns vollkommen dicht“, sagt ihr Anwalt. Die Regierung gibt die Unterlagen nicht raus, sie sind „geheim“. Etwas anderes hatte Pavlovic auch nicht erwartet. Schon die Auslieferung von Perkovic und Mustac versuchte Kroatien durch ein eigens dafür verabschiedetes Gesetz zu verhindern.
Erst unter Druck aus der EU knickte die Regierung in Zagreb ein. Nicht nur Josip Perkovic’ Geheimdienstkarriere ging nach 1991 im unabhängigen Kroatien weiter; sein Sohn berät den jetzigen Präsidenten des Landes in Sicherheitsfragen, Mustac ist eine angesehene Persönlichkeit. Angeblich werden ihre Verteidiger zum Teil aus Mitteln des kroatischen Staats bezahlt.
Reue? Fehlanzeige!
Noch wenige Tage vor seiner Auslieferung gab Perkovic in einem Interview für eine TV-Dokumentation des BR-Politikmagazins „Kontrovers“ und der Deutschen Welle ganz offen zu, er habe viele Agenten in Deutschland geführt. Mit Morden aber will er nichts zu tun gehabt haben.
Peter Wagner vertritt Perkovic vor Gericht. Für ihn ist der Zeuge, der seinen Mandanten im Urteil von 2008 stark belastet „nicht ansatzweise glaubwürdig“. Es geht um den Agenten „Miso“. Klar, dass der ein Meister der Täuschung sein muss. Er arbeitete als Doppelagent, soll an mehreren Morden beteiligt gewesen sein, in Frankreich, Italien und Schottland. Dort saß er deshalb zehn Jahre in Haft.
Trotzdem befanden die Münchner Richter Misos Aussagen vor sechs Jahren als „besonders werthaltig und authentisch“. Schließt sich das Oberlandesgericht auch diesmal dieser Einschätzung an und verurteilt Perkovic und Mustac, hätte Gizela Djurekovic Anspruch auf Schmerzensgeld. Doch sie will verzichten. „Nicht einen Cent“ wolle sie von dem „blutigen Geld der Angeklagten“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz