Prozess gegen Cumhuriyet: „Beendet diese Comedy“
In der zweiten Anhörung im Prozess gegen die angeklagten Mitarbeiter der Cumhuriyet entschieden die Richter, niemanden freizulassen.
Kurz vor Mitternacht gaben die Richter im Gefängnis von Silivri ihre Entscheidung bekannt: Keiner der angeklagten Mitarbeiter der Cumhuriyet wird freigelassen.
In der zweiten Anhörung des Verfahrens gegen Journalisten, Angestellte und Anwälte der türkischen Zeitung Cumhuriyet wurden am Montag ehemalige und aktuelle Mitarbeiter angehört, die vor Prozessbeginn gegen ihre Kollegen ausgesagt hatten.
Diese Aussagen bilden die Grundlage der Anklageschrift. Drei der Zeugen waren nicht erschienen. Einer blieb bei seiner Aussage. Alle anderen behaupteten, dass ihre Sätze aus dem Kontext gerissen worden seien. Sie hätten niemals die Zeitung Cumhuriyet mit Terrorismus in Verbindung bringen wollen.
Musa Kart, Comiczeichner der Zeitung, der nach der ersten Anhörung im Juli freigelassen wurde, sagte der taz: „Dieser Prozess ist der Versuch, Cumhuriyet in der Öffentlichkeit zu verleumden. Als Satiriker sage ich, dass der Witz einen Bart hat und ich verlange, dass die Comedy sofort beendet wird.“ İbrahim Yıldız, ehemaliger Chefredakteur, bestritt, je gesagt zu haben, dass das Blatt schlecht geleitet und in die Pleite getrieben würde. Nachrichtenchef Aykut Küçükkaya sagte, der Staatsanwalt habe ihn über 100 Fragen gefragt, aber nur die Teile seiner Aussage in die Anklageschrift aufgenommen, die er als Beweise gegen die Cumhuriyet benutzen wollte.
Der ByLock-Unsinn
Jounalistin. Sie studierte in Ankara an der Gazi Universität Publizisitik und an der Hacettepe Universität Internationale Beziehungen. Sarı arbeitete für die Zeitung Ulusal Gazete und andere Zeitschriften. Aktuell berichtet sie vorwiegend für Onlinemedien wie zum Beispiel das Nachrichtenportal Journo.
Der seit 316 Tagen inhaftierte Autor Kadri Gürsel wehrte sich gegen die Anschuldigung, er habe „Kontakt mit Gülenisten über die Messenger-App ByLock.“ Mutmaßliche Gülenisten, die ByLock benutzen, hätten ihn lange vor seiner Arbeit bei der Cumhuriyet versucht zu kontaktieren. Er habe ihnen nie geantwortet, sagte er aus und fuhr fort: „Ich weiß, ich bin nicht die einzige Person, die diese Leute belästigten. Die Hälfte der ByLock-Nutzer, die mich kontaktierten, sind in Freiheit, aber ich bin inhaftiert. Der Grund dafür ist, dass ich ein unabhängiger und kritischer Journalist bin, dass ich die Menschenrechte und die Meinungsfreiheit verteidige und für eine friedliche Außenpolitik eintrete, die Ordnung des Gesetzes und eine säkulare Demokratie.“
Am Montag erfuhren die Anwälte von Ahmet Şık, dem prominenten Investigativreporter der Cumhuriyet, dass die Staatsanwaltschaft zusätzlich zu den bestehenden Anschuldigungen gegen den Journalisten einen weiteren Vorwurf in die Anklageschrift aufgenommen hatten. Gegenstand ist der Polizist, der im vergangenen Jahr den russischen Botschafter erschossen hatte.
Die Staatsanwaltschaft wirft Şık vor, zu verleugnen, dass der Mörder ein Gülenist ist. Şık ging am Ende der Anhörungen auf die Anklage ein und erklärte, dass er über den Fall, der immer noch nicht geklärt sei, nur berichtet habe, was andere über den Mörder gesagt hätten. „Die Staatsanwaltschaft versucht verzweifelt meine Berichterstattung als kriminelle Aktivität darzustellen. Aber ich stelle Fragen. Ich bin ein Journalist, ich habe das Recht, misstrauisch zu sein. Ich tue, was ein Staatsanwalt tun sollte.“
“Wie die Mafia“
Er endete seine Rede mit dem Satz: „Um ihr Imperium am Leben zu erhalten, verhält sich die Regierung wie die Mafia. Sie verhaftet Leute für ihre eigenen Interessen.“ Der Staatsanwalt hatte kurz zuvor für die weitere Inhaftierung der Mitarbeiter der Cumhuriyet plädiert.
Die zweite Anhörung in diesem Prozess fand nicht wie die erste im Istanbuler Justizpalast statt, sondern im Gefängnis von Silivri. Dutzende nationale und internationale Pressevertreter, Menschenrechtsorganisationen, Parlamentsmitglieder, Angehörige und Freunde der Angeklagten waren dort hingekommen. Nabi Avcı, Mitglied der AKP und ehemaliger Minister für Kultur und Tourismus war ebenfalls vor Ort und kritisierte, dass das Gerichtsverfahren im Gefängnis stattfindet.
Die Richter begründeten ihre Entscheidung, die Angeklagten nicht freizulassen, damit, dass die Gefahr, dass Beweise vernichtet würden, zu groß ist. Außerdem wollen sie die drei Zeugen, die heute nicht erschienen sind, anhören. Nur dann könnten sie „eine gesunde Entscheidung“ treffen. Außerdem würden sie einen Experten brauchen, der die digitalen Daten auswertet.
Die Richter fügten hinzu, dass sie zudem auf die „Exekution der Verhaftung von Can Dündar und Ilhan Tanir“ warten.
Der Prozess wird am 25. September fortgesetzt.
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