Protokolle von Racial Profiling: „Reine Schikane“
Die polizeiliche Praxis der gezielten Kontrolle nicht weißer Menschen, existiert laut Horst Seehofer nicht. Die Alltagserfahrung sieht anders aus.
Der Begriff stammt aus den USA und bezeichnet ansonsten anlasslose Personenkontrollen ausschließlich aufgrund des phänotypischen Erscheinungsbildes. Über die Praxis gibt es in Deutschland keine gesetzliche Regelung, nach Grundgesetz, Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz und Europäischer Menschenrechtskonvention ist sie jedoch unzulässig.
Wie verbreitet Racial Profiling ist, lässt sich mangels statistischer Erhebungen kaum feststellen. Bundesinnenminister Horst Seehofer lehnte erst kürzlich eine Studie über die Praxis ab und beharrt darauf, dass es kein strukturelles Problem gebe. NGOs und Betroffene widersprechen. Berlin und Niedersachsen wollen die Vorwürfe unabhängig vom Bund untersuchen lassen und eine empirische Grundlage für die Diskussion schaffen.
Wir haben drei Erfahrungsberichte protokolliert.
Empfohlener externer Inhalt
Lena Mariama Meinhold, 30 Jahre
Seit dem ich 18 Jahre alt bin und meinen Führerschein habe, gehört Racial Profiling zu meinem Alltag. Regelmäßig werde ich in Nürnberg angehalten, wenn ich mit dem Auto unterwegs bin. Trotz normaler und regelkonformer Fahrweise.
Im Februar beispielsweise stand ich in der Innenstadt an einer roten Ampel. Es war früher Abend, ich kam gerade von einer Freundin, hatte nichts getrunken und wollte einfach nur nach Hause fahren. Auf der Linksabbiegerspur neben mir stand ein Polizeiauto. Die beiden Polizist:innen haben in mein Auto geguckt und sofort den Rückwärtsgang eingelegt. Sie sind dann hinter mein Auto gefahren und haben mich raus gezogen.
Der Polizist, der dann an mein Fenster kam, hat mich direkt gefragt: Und welche Drogen haben wir heute konsumiert? Hat also versucht, dieses rassistische Klischee, dass Schwarze Menschen immer Drogen konsumieren, besitzen oder verkaufen, in einen Witz zu verpacken. Meine Erfahrungen haben mich gelehrt, auch auf solche Fragen nicht pampig zu reagieren, doch mein Blick scheint ihm schon vermittelt zu haben, das seine Frage nicht witzig war.
Solche Situationen passieren mir immer wieder. Ich werde häufig von oben herab behandelt, meistens geht es um Drogen, die ich nicht konsumiert habe. Häufiger musste ich auch schon einen Alkoholtest machen und selbst als dieser negativ auffiel, auf einer Linie laufen und mein Auto leer räumen. Das ist einfach reine Schikane.
Mir war schon immer bewusst dass ich als Schwarze Frau in Deutschland anders behandelt werde als weiße Menschen. Immer wieder habe ich Sprüche oder Blicke abbekommen, wenn ich beispielsweise mit meinem Afro durch die Straßen laufe oder fahre. Und trotzdem wurden meine Erfahrungen nicht ernst genommen. Weißen Freunden, den ich davon erzählt habe, meinten dann: Ach, ich wurde auch schon einmal von der Polizei raus gezogen. Doch meine Mutter beispielsweise ist weiß, 68 Jahre alt und kam erst einmal in eine Verkehrskontrolle in ihrem Leben. Mir passiert das als Schwarze Frau vier Mal im Jahr.
Deswegen bin ich immer besorgt, wenn ich Polizei sehe. Jedes Mal denke ich: Was passiert dieses Mal? Bin ich jetzt wieder dran? Aus diesem Grund habe ich auch einen richtigen Zwang entwickelt, dass ich nie ohne Geldbeutel und Personalausweis aus dem Haus gehe. Wenn ich doch mal unterwegs bin und merke, dass ich ihn nicht dabei habe, drehe ich wieder um. Sonst wird mir noch unterstellt, ich sei Geflüchtete und illegal in diesem Land, wie es meinem Bruder schon passiert ist. Als könnte es nicht sein, dass ich als Schwarze Person in Nürnberg geboren bin. Gewehrt habe ich mich gegen rassistische Polizeitaktiken bisher noch nicht. Meistens habe ich es im Nachhinein bereut, nicht nach dem Namen und der Dienstnummer der Polizist:innen gefragt zu haben. Doch das will ich jetzt ändern.
Viele, die früher kein offenes Ohr für mich hatten, verstehen jetzt, dass es Rassismus ist, was ich erlebe. Die antirassistische Bewegung motiviert mich auch, dass ich künftig Anzeige erstatten werde, wenn ich racial profiling erlebe. Ich will mir das nicht mehr gefallen lassen.
Ayesha Khan, 35 Jahre
Als Kind kam es mir noch komisch vor. Immer wenn wir mit dem Auto aus von Hamburg nach Dänemark zu unseren Verwandten gefahren sind, wurden wir an der Grenze kontrolliert. Und wir waren immer die Einzigen. Bei jeder Ein- und Ausreise wurden wir rausgezogen, dabei gibt es in der EU keine stationären Grenzkontrollen mehr an den Binnengrenzen. Häufig musste mein Vater aus dem Auto aussteigen, ein Spürhund durchsuchte es und uns allen wurden die Ausweise abgenommen. Das Ganze war eine so lange Prozedur, dass wir nicht selten unsere im Vorhinein gebuchte Fähre nach Dänemark verpasst haben. Ich hatte also schon als Kind bemerkt, dass wir als Einzige immer angehalten wurden.
Als Teenagerin bin ich dann häufiger gemeinsam mit meinem Bruder mit dem Zug zu meinem Onkel gefahren. Und schon am Hamburger Hauptbahnhof haben uns Polizeibeamte bis in den Zug verfolgt, haben die Türen gesichert und uns beide dann kontrolliert. Weil wir schwarze Haare haben, nicht weiß sind und mein Bruder irgendwann Bart trug.
Personenkontrollen können immer stattfinden, klar, aber wenn im ganzen Abteil voller weißer Menschen nur wir kontrolliert werden, dann ist das Racial Profiling. Gerade nach den terroristischen Anschlägen am 11. September 2001 sind die Kontrollen meiner Erfahrung nach definitiv krasser geworden. Einmal mussten wir im Zug nach Kopenhagen nicht nur unsere Personalien angeben, sondern auch unsere Taschen wurden durchsucht und mein Bruder wurde am ganzen Körper abgetastet – ohne jeglichen Verdacht. Wir waren damals 15 oder 16 Jahre alt, wussten nicht, was unsere Rechte sind und was die Polizei darf. Und nie ist jemand eingeschritten und hat uns geholfen.
Mittlerweile wohne ich in Frankfurt am Main, wo es seit den Ereignissen am Frankfurter Opernplatz vermehrt zu Racial Profiling kommt. Gemeinsam mit Freunden bin ich in den letzten Wochen viel durch die Stadt gelaufen und habe gesehen, wie migrantische Menschen kontrolliert wurden, ihnen ein Platzverweis ausgesprochen wurde oder ihnen persönliche Dinge abgenommen wurden.
Mir selbst ist das in der letzten Zeit glücklicherweise nicht passiert, aber vielen meiner Bekannten und Freunde, und ich habe es auch bei vielen Jugendlichen beobachtet. Wir versuchen nun, im Freundeskreis genau hinzuschauen und einzugreifen, haben Infomaterial von Copwatch dabei und geben den Betroffenen unsere Nummern und die von Anwälten.
Anonym *
Früher bin ich viel Auto gefahren und wurde viel von der Polizei kontrolliert, es waren immer unangenehme Erfahrungen. Doch jetzt war einige Zeit vergangen und ich lebe mittlerweile vor Berlin. Also habe ich mir vor ungefähr anderthalb Jahren an einem frühen Winterabend in Berlin ein car2go gemietet.
Es war meine erste Fahrt in einem Smart. Ich war gerade aus der Parklücke raus und erst wenige Meter vorangekommen, als ich schon von der Polizei rausgewinkt wurde. Ich hatte versehentlich nur das Standlicht an. Und da war er: der Anfangsverdacht.
Ich musste meinen Führerschein zeigen und wurde gefragt: „Trinken Sie Alkohol?“ Mir kam das seltsam vor und ich habe nachgefragt: „Generell oder heute?“ Der eine Beamte fing daraufhin an zu lachen, was mich noch mehr verunsicherte. Und ich bin immer nervös, wenn ich mit Polizistinnen im Gespräch bin. Ich sagte dann ehrlich, dass ich vor zwei Stunden ein Bier getrunken hatte.
Sie ließen mich trotzdem pusten, mit dem Ergebnis: 0 Promille. Dennoch begann ab dann ein Verfahren, was sich für mich wie ein Spiel anfühlte, das ich nicht verstand. Es war eine konstante sexistische und rassistische Grenzüberschreitung nach der anderen.
Zuerst wollten sie überprüfen, ob ich andere Drogen konsumiert hatte, und fragten, ob sie in mein Auge leuchten dürften. Der erste Kommentar daraufhin war: „Sie haben aber einen schönen Lidstrich.“
Es fühlte sich an wie eine Flirtsituation, nur dass sie für mich total unangenehm war. Allein im Winter in einer stockdunklen Straße mit nur männlichen Polizisten, die mir für meinen Lidstrich Komplimente machen. Doch ihr zweiter Kommentar war dann, nachdem sie mir mehrere Sekunden die Augen abgeleuchtet hatten: „Dieses Problem haben wir häufiger, wir können ihre Pupillen nicht überprüfen, ihre Augen sind zu dunkel.“
Im Nachhinein sind mir Tausende Dinge eingefallen, die ich daraufhin hätte sagen können, doch in dem Moment war ich sprachlos. Es folgten weitere „Experimente“ der Polizisten. Eines davon war, dass ich im Kopf 30 Sekunden abzählen sollte. Liegt man mehr als nur wenige daneben, soll das ein Indiz dafür sein, dass man Drogen konsumiert hat. Ich lag nervositätsbedingt natürlich daneben. Am Ende musste ich mit den Polizisten auf die Wache und einen Urintest machen. Das Ergebnis: Ich hatte keine Drogen konsumiert.
Mir ist bewusst, dass ich an diesem Abend noch ziemlich glimpflich davongekommen bin. Denn ich kenne die Geschichten, vor allem von männlichen Verwandten von mir, bei denen solche Kontrollen viel schlimmer und gewaltvoller ablaufen. Doch während der Tests liefen in meinem Kopf viele Filme ab: Was kommt als nächstes? Und wie komme ich hier heil wieder raus.
Denn bei mir ist eine Grundangst gegenüber der Polizei da, durch die ganzen Erzählungen, die ich in meinem Kopf habe. Gerade im Verkehr hat die Polizei schnell einen Anfangsverdacht und kann dich kontrollieren. Seien es ein paar Stundenkilometer zu viel oder eben ein Standlicht. Ein Bier trinken und Stunden später Auto fahren? Würde ich nie wieder machen. Und überhaupt fahre ich jetzt nicht mehr nachts alleine mit dem Auto.
* Die Person ist der Redaktion bekannt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball