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Protokoll einer Mutter zum Homeschooling„Mein Kind ist isoliert“

Eine Hamburgerin wünscht sich, dass ihr älterer Sohn wieder zur Schule kann, denn er sei einsam. In der Pubertät müssten Kinder sich lösen können.

Einige Stunden Unterricht am Laptop sind zu wenig Tagesstruktur, klagt eine Mutter Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Hamburg taz | Neulich traf ich eine Nachbarin beim Spazierengehen. Sie sagte: Schön, dass die Schule wieder losgehe. Ihre drei dürften hin. Ich sagte, bei uns nur eins von zweien. Da sagte sie, das sei halt Pech. Ich habe das Gefühl, jeder sitzt jetzt im eignen Saft. Ignoriert die Sorgen des anderen. Versucht nur, selbst durchzukommen. Es ist kaum möglich, Allianzen zu bilden.

Ich habe ein Sechstklässlerkind, das darf zur Schule, und einen Achtklässler, der darf nicht. Und das ist dramatisch, weil das Kind nicht rund läuft. Er kam im Lockdown in die Pubertät. Und beides ist keine gute Kombination.

Im ersten Lockdown hatten sich beide Kinder zurückgezogen und stark vereinzelt. Also gar nicht mehr getroffen mit anderen. Das jüngere Kind hat sich dann im Mai, Juni davon erholt. Das ältere nicht. Ich habe zu spät begriffen, dass was im Argen liegt und dass er sich selbst isoliert hat.

Ich denke, Pubertät ist eine Zeit, in der Kinder sich von den Eltern lösen müssen und anfangen, zu rebellieren und abzulehnen, wofür die Eltern stehen. Nur sind die Kinder seit Monaten mit uns eingesperrt, haben keine anderen Idole.

Soziale Ängste entwickelt

Sicher, das ist auch eine Veranlagungs-Sache. Und Eltern müssen schauen, dass sie nichts dramatisieren. Aber man kann auch nicht nichts tun. Mein Kind hat soziale Ängste entwickelt. Er kommt kaum aus dem Zimmer, trifft sich nicht mit Freunden. Ist in keiner Whatsapp-Gruppe mehr drin. Die haben sich inzwischen neu gebildet.

Rabe nennt Bedingungen

Nicht zur Schule, auch nicht im Wechselunterricht, dürfen die Jahrgänge 5 bis 8 der Stadtteilschulen und die Jahrgänge 5, 7, 8 und 9 der Gymnasien.

Zwei Bedingungen nennt Schulsenator Ties Rabe (SPD) dafür, dass nach den Osterferien weitere Klassen „an Bord“ dürfen: dass die Inzidenzwerte nicht weiter so stark steigen und dass die freiwilligen Schnelltests an Schulen funktionieren. In der ersten Woche absolvierten 84 Prozent der rund 95.000 an Schulen präsenten Schüler einen Schnelltest. 111 waren positiv und machen jetzt einen PCR-Test.

In Berlin hatten Eltern von 7. und 9. Klassen erfolgreich gegen den Ausschluss geklagt. In Hamburg wurden zwei Klagen abgewiesen.

Er war nie unbeliebt. Aber er trifft niemand mehr, ist auf Tauchstation. Er ist nur über das ­Minecraft-Spielen mit zwei Kumpeln verbunden. Laut Diagnose einer Psychologin hat er eine Spielsucht. Ein Therapieplatz ist gerade nicht zu haben. Alles sei ausgebucht.

Wir erhielten jetzt Verhaltenshinweise. Wir sollen ihm Struktur bieten. Die Schule mit dem „Distanzlernen“ am Laptop reicht dafür nicht aus. Manchmal sind es acht Stunden, oft aber nur zwei, drei oder auch mal nur eine am Tag. Wir sollen ihm Computerspielen erlauben, aber die Zeit begrenzen. Nur ist das schwierig im Homeschooling, weil mein Kind für die Schule online verfügbar sein muss. Auch wenn wir WLAN abstellen, findet er ein Schlupfloch. Die sind ja nicht blöd, die Kids.

Es heißt zwar, es gibt Notbetreuung an den Schulen, aber eine Zeit lang hatten wir geglaubt, es ist gar nicht mehr erlaubt, die Kinder hinzuschicken. Es kam seit Januar von der Schule gar keine Abfrage mehr, wer das möchte. Es entstand ein Druck, das nicht zu tun. Der Lehrer sagte, schicken sie ihn doch. Aber da saß er allein in der Klasse.

Die Schulleiterin war nett, bot an, eine Lerngruppe einzurichten. Aber es fanden sich keine anderen Eltern, die bereit waren, ihr Kind in die Schule zu schicken. Auch private Verabredungen sind schwierig. Zwei-, dreimal habe ich es versucht. Ich hatte den Eindruck, die ließen sich nur aus Pflichtgefühl darauf ein.

Ich versuche Bewegung anzubieten. Wir gehen joggen, haben eine Tischtennisplatte gekauft. Und Mitte März war für zwei Wochen auch wieder Fußballtraining in der Gruppe erlaubt. Das hatte ihm gut getan. Da hatte ich das Gefühl, er kommt wieder etwas in Gang. Das Serotonin, dass sich bei Bewegung bildet, hat ihn glücklich gemacht. Nun ist wieder nur Einzelsport erlaubt.

Ich soll auf regelmäßigen Mahlzeiten bestehen. Oft kommt er gar nicht. Da muss ich hingehen, die Kopfhörer abnehmen. Dann ist er erst mal sauer.

Manchmal rufe ich nur noch an

Ob das anstrengend ist für mich als Mutter? Es ist schwer, ihn loszulösen. Ihn ins Familienleben zu integrieren, ist äußerst anstrengend, weil er sein Zimmer oben hat. Man stumpft ab. Manchmal rufe ich nur noch an und er nimmt nicht ab, weil sein Handy stumm ist.

Was ich fordere? Ich kenne andere Mütter, die von ihren Kindern das Gleiche berichten. Es sollten möglichst schnell die Klassen, die noch zu Hause sind, in die Schulen kommen, gern auch erst mal nur im Wechselunterricht. Ich höre Eltern, die sich über Tests und Mundschutz im Klassenraum beklagen. Denen möchte ich sagen: Ihr könnt doch froh sein, dass eure Kinder in der Schule sind! Also, mein Sohn müsste sofort hin.

Und ich weiß vom Hamburger Schulfrieden. Alle haben Angst, das Thema anzufassen. Aber der Schulfrieden ist geschlossen worden, als wir noch keine Pandemie hatten. Deshalb sollten wir eine Rückkehr zum neunjährigen Abitur erwägen. Dann könnten alle Kinder in Ruhe ihre schulischen Defizite und die Seelen heilen lassen.

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4 Kommentare

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  • Kinder brauchen andere Kinder.



    Und zwar ganz real und nicht über irgendeinen Bildschirm.



    Wer anderer Meinung ist soll doch einfach mal die Kinder selber fragen.

    Ich hab gestern mit einer Bekannten aus Florida/USA telefoniert, die dort seit langem lebt.



    Dort gab lediglich letztes Jahr im Frühjahr für ein paar Wochen einen Lockdown vergleichbar mit dem aktuellen in Deutschland. Seitdem ist dort alles offen, natürlich mit Maskenpflicht.



    Und das Infektionsgeschehen ist dort auch nicht besser oder schlechter wie bei uns. Dafür sind sie mit dem Impfen weiter.

    Da drängt sich einem schon die Frage auf was das ganze hier bei uns eigentlich soll.

    Sie hat mich auch gefragt was bei uns eigentlich los ist, und das muss ja ganz schlimm sein in Deutschland.

    Deutschland kommt in den ausländischen Medien wohl nicht sehr gut weg, was das Corona-Management betrifft.

  • Was die Mutter da schreibt, sehe ich hier bei Nachbarskindern auch.



    Während für uns Erwachsene, die Pandemie einfach nur anstrengend und erschöpfend ist, behindert sie bei Kindern wichtige Entwicklungsschritte.

    Es gibt aber auch computersüchtige Kinder und eingeigelte Kinder ohne Pandemie. Ich denke die Frau sollte gescheite psychologische Hilfe besorgen.



    Wie man die bekommt, und wie man feststellt, ob sie gescheit ist, weiß ich nicht.



    Ein Bekannter hat für sein Kind nie gescheite Hilfe bekommen. Erst hieß es bei der Stadt (irgend so ein SozPäd), er solle sich wegen ein bisschen Kiffen nicht so aufregen und später bekam sein Kind keinen Psychosetherapieplatz im zuständigen Krankenhaus, weil er gekifft hatte. Dann irgendwann meinte man, dass es für ein pubertierendes hochintelligentes Kind gut wäre stundenlang Blöcke zu feilen.

    Jetzt ist das Kind - von der Gesellschaft enttäuscht - völlig zurück gezogen.

    Liebe Mutter, was Sie berichten ist besorgniserregend, und Sie sind nicht die einzige, die so betroffen ist. Je jünger ihr Kind ist, desto mehr Hilfen gibt es in unserer Gesellschaft, nutzen sie sie. Versuchen sie ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihrem Sohn aufzubauen. Der ständige Druck - weil er nicht funktioniert - nervt und frustriert ihn nur.

    Ja und da hofft man auf die Lehrer auf Erzieher auf Vorbilder auf Anreize auf irgendetwas, was ihrem Kind Zuversicht und Hoffnung schenkt.

    Und diese Hoffnung ist nicht unbegründet.

    Und nein, eine Mutter kann das nicht alles alleine lösen. Erziehung hat auch viel mit Glück zu tun.

    • @Kurt77:

      "Erziehung hat auch viel mit Glück zu tun."



      Nein - definitiv nein.



      Durch Augen und Ohren rein, durch Mund und Handlung wieder raus.



      Wir alle und Kinder im Besonderen werden durch unsere Umgebung geprägt.



      Man kann sich später ändern, aber nur wenn man selber will.



      Es ist unglaublich wichtig, was man seinen Kindern vorlebt. Aber mit Glück hat das nichts zu tun.

      "Und nein, eine Mutter kann das nicht alles alleine lösen."



      Da stimme ich ihnen zu. Deswegen hat ein Kind auch noch einen weiteren Elternteil, und Großeltern, und ggf. Geschwister und und und

      Und auch wenn wir Coronaeinschränkungen haben, heißt das nicht, dass man die alle nicht mehr sehen darf, nur halt nicht alle auf einmal (wenn sie in anderen Haushalten leben).

  • Das Kind sollte doch vor der Pubertät in die Familie integriert sein, so mit gemeinsamen Mahlzeiten und miteinander reden und so. Die „Integration“ in der Pubertät zu versuchen ist zum Scheitern verurteilt.



    Und wie man hoffen kann, dass eine Schulöffnung dieses „Problem“ beseitigt, ist mir auch nicht klar. Der einzige Unterschied besteht dann darin, dass man das Kind nicht sieht. Hey, hockt nicht in seinem Zimmer - Problem gelöst…

    Man kann auch mit der Familie Sport machen, oder sozial interagieren … das geht. Einfach mal versuchen.