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Proteste während der Pandemie in ChileHunger in der Hauptstadt

In Santiago de Chile leiden Be­woh­ne­r*in­nen der Armenviertel unter den Ausgangssperren. Sie protestieren – denn der Staat lässt sie im Stich.

Demonstrierende in Santiago de Chile Foto: Esteban Felix/ap

Hambre“ (Hunger) steht in leuchtenden Großbuchstaben auf einem Hochhaus im Zen­trum von Santiago. Es ist eine Lichtprojektion des Kunstkollektivs Delight Lab. Im Oktober, als der Aufstand in Chile begann, hatten sie das Wort „Dignidad“ (Würde) an die gleiche Stelle projiziert. Der Anlass ist dieses Mal, dass die Be­woh­ne­r*in­nen der Armen- und Ar­bei­te­r*in­nen­vier­tel von Santiago protestieren, weil sie Hunger leiden. Wegen der strengen Ausgangssperren können sie nicht arbeiten und haben keinerlei Einkommen.

Die Proteste beginnen am Montag in der Gemeinde El Bosque. Barrikaden werden errichtet, Reifen angezündet, eine Metzgerei geplündert. „Das Problem ist nicht die Quarantäne, sondern die Abwesenheit des Staats, der sich nicht um sein Volk kümmert“, sagt einer der Protestierenden. „Wir können nicht arbeiten, wir haben kein Einkommen, keine Lebensmittel und es gibt keine Hilfe, was sollen wir denn machen?“, ein anderer. Sie tragen Schutzmasken aus Stoff. Dass Menschenansammlungen die Verbreitung des Coronavirus beschleunigen, wissen sie. Aber es sei eben die einzige Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen.

Es dauert nicht lange, bis die chilenische Polizei, die Carabineros, mit gerade neu gekauften Wasserwerfern anrücken, um die Menschen auseinanderzutreiben. Auch Tränengasgranaten schießen sie auf die Menschen. 22 Personen werden festgenommen.

Am Abend brennen Barrikaden in weiteren Stadtvierteln, zwei Busse werden angezündet. An den Fenstern schlagen die Menschen in der ganzen Stadt aus Protest mit Löffeln auf leere Kochtöpfe. Die Gemeinde El Bosque wird jetzt von Soldaten bewacht. „Die Hungrigen bitten um Brot, Blei gibt ihnen die Miliz“, sang einst Violeta Parra. Heute steht dieser Satz wieder an den Wänden Santiagos.

Erkrankte müssen aus der Hauptstadt ausgeflogen werden

Die Regierung von Präsident Sebastián Piñera hat vor einer Woche eine strikte Quarantäne über die Hauptstadt Santiago verhängt, weil das Coronavirus sich rasant ausgebreitet hat. Mehr als 53.000 Menschen haben sich bisher angesteckt, die Zahl der täglichen Neuinfektionen liegt mittlerweile bei über 4.000. Es gibt kaum noch Intensivbetten in den Krankenhäusern, weshalb Erkrankte aus der Hauptstadt in Krankenhäuser anderer Regionen ausgeflogen werden.

Besonders viele Infektionen gibt es in den Armenvierteln von Santiago, weil es dort nicht genug Wohnraum gibt und die Leute sehr beengt dicht an dicht leben. Die Regierung hat außerdem ein Gesetz verabschiedet, dass es Ar­beit­ge­be­r*in­nen erlaubt, Ar­beit­neh­me­r*in­nen fristlos zu entlassen oder ihren Vertrag ohne Lohnfortzahlung zu suspendieren. Anderthalb Millionen Menschen haben seitdem ihre Arbeit verloren.

Am Mittwoch gehen auch in der Gemeinde La Pintana am südlichen Stadtrand Santiagos die Menschen zum Protest und cacerolazo auf die Straße. Sie schlagen auf leere Kochtöpfe, um Lärm zu machen. „Wenn uns nicht das Virus tötet, tötet uns der Hunger“, steht auf einem ihrer Plakate. Sie werden umringt von Spezialeinsatzkräften der Carabineros. „In unserem Viertel leben bis zu acht Personen auf 35 Qua­dratmetern, da ist es unmöglich, die Quarantäne einzuhalten“, sagt einer der Protestierenden.

„Wir haben sehr viele Infizierte, niemand hilft ihnen. Wir sind alleine. Wir brauchen Lebensmittel, Medikamente, Masken, Desinfektionsmittel, um uns zu schützen“, sagt eine ältere Frau. Ihr Schwiegersohn habe Covid-19 und sei mit ihrer Tochter und zwei Kindern zu Hause. Als er das positive Test­ergebnis erhielt, habe man ihn ohne weitere medizinische Versorgung nach Hause geschickt. „Wir wissen nicht, ob meine Tochter und die Kinder sich angesteckt haben.“

Hilfspakete sind nicht überall angekommen

Präsident Sebastián Piñera hat zwar Hilfspakete mit Lebensmitteln angekündigt, aber die sind bisher nicht überall angekommen. Und wenn sie ankommen, werden sie die strukturellen Probleme der Menschen in Santiago wahrscheinlich nicht lösen.

Die Mitglieder des Künstlerkollektivs Delight Lab haben in den letzten Tagen Gewaltandrohungen erhalten. Sie wollten das Wort „Humanidad“ (Menschlichkeit) an ein Hochhaus projizieren, aber ein unbekanntes Fahrzeug mit riesigen Scheinwerfern machte die Nachricht unlesbar.

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4 Kommentare

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  • Die Polarisierung zwischen Neostrukturalismus und Neoliberalismus ist doch nicht Zielführend...schaut man in die USA so, nach Kuba, Nicaragua, Venezuela, so.

    Das Chile Geld vom IWF benötigt ist schon sehr bitter.

    Corona kam ja genau in den durch die Proteste ausgelösten Abschwung.

    Und vorher waren die 1,6 Millionen Flüchtlinge auch schon ein riesen Balast.

    Dafür was das Land durchmacht, schlägt es sich doch eigentlich ganz gut.

    Man sollte hier keine politischen Exempel diskutieren sondern dem Land und den Leuten helfen.

    Und klar, die Armenviertel brauchen Nahrung. Und ja das Land braucht auch Sozial-, Gesundheits- und Bildungsreformen.



    Und ja das Volkseinkommen muss gerechter verteilt werden.



    Und wenn die Chilenen im Oktober für eine neue Verfassung stimmen, dann soll dieses sicherlich auch gefährliche Vorhaben auch sein. Um Balast der Diktatur abzuwerfen sicher eine gute Sache.



    Und man kann auch gegen einen zügellosen ökonmomischen Liberalismus sein.

    Aber da wieder eine LINKS-RECHTS Debatte draus zu machen, geht am Ziel vorbei. Und vor allem an den Problemen des Landes und derren Lösungen.

  • Neoliberalismus in Reinkultur!

  • ..............................................

    Bei uns kämpft man todesmutig gegen den Mundschutz im Supermarkt, dort wird er aus Not geplündert.

    • @Berrybell:

      Das kann sich ändern!



      ...