Gewalt gegen Muslime in Neu-Delhi: Viele Tote bei Übergriffen
In Indiens Hauptstadt eskaliert die Gewalt bei Protesten. Hindunationalistische Demonstranten attackieren Muslime, die Polizei greift erst spät ein.
Mindestens 25 Todesopfer forderten die Ausschreitungen im Nordosten der Hauptstadt, wo viele Muslime leben. 200 Menschen wurden verletzt, wie die Times of India berichtete.
Die Rede ist von den schlimmsten Ausschreitungen in Delhi seit Jahrzehnten. Schulen wurden geschlossen, über Teile der Stadt wurde der Ausnahmezustand verhängt. Menschen flohen aus ihren Vierteln aus Furcht vor Gewalt.
Auch am dritten Tag in Folge schien die Lage noch nicht voll unter Kontrolle zu sein. Am Mittwoch wurde die Zahl der Toten mehrfach nach oben korrigiert.
Provokationen heizen Gewalt an
Ausgelöst wurden die Auseinandersetzungen mutmaßlich durch Provokationen des Politikers Kapil Mishra von der regierenden hindunationalistischen Volkspartei (BJP). Er hatte am Sonntag nach Angaben der Zeitung Indian Express Muslimen, die aus Protest gegen das Staatsbürgerschaftsgesetz eine Straße in der Nähe der U-Bahn-Station Jaffrabad im Nordosten Delhis blockierten, mit gewaltsamer Räumung gedroht.
Bei den seit Dezember anhaltenden Protesten kam es bereits unmittelbar vor dem Besuch von US-Präsident Donald Trump zur Gewalt.
Nachdem sich Trump mit Indiens Premierminister Narendra Modi am Montag im neuen Cricket-Stadion von Ahmedabad feiern ließ, wechselten die Berichte der Nachrichtensender plötzlich zu den Gewaltszenen in Delhis Nordosten.
Die Proteste gegen das Einbürgerungsgesetz CAA waren erneut in Gewalt umgeschlagen. Hinter Rauchwolken waren flüchtende Menschen zu sehen. Ein Mann schoss auf einen Polizisten.
Delhis Regierungschef weitgehend machtlos
Der Regierungschef der Hauptstadt Delhi, Arvind Kejriwal von der oppositionellen Partei AAP, brauchte etwas Zeit, um die richtigen Worte zu finden. Am Dienstag äußerte er seine Besorgnis und rief zu Frieden auf. Viele fanden sein Handeln angesichts des Ausmaßes der Gewalt zu zögerlich.
Doch beklagt wurden auch Versäumnisse bei Delhis Polizei. Die untersteht aber nicht Kejriwal, sondern dem Innenminister der Zentralregierung, dem BJP-Politiker Amit Shah.
Sonia Gandhi, die Vorsitzende der oppositionellen Kongresspartei, fordert Shahs Rücktritt. Vonseiten des Obersten Gerichts hieß es am Mittwoch zu den Ausschreitungen, das Problem sei die mangelnde Professionalität der Polizei und deren fehlende Unabhängigkeit: „Hätte die Polizei in Übereinstimmung mit dem Gesetz gehandelt, wären viele der Probleme nicht aufgetreten.“ Inzwischen wurden fünf Polizeioffiziere versetzt.
Déjà vu-Erlebnis
Die Partei NCP, eine Abspaltung der Kongresspartei, verglich die Ausschreitungen in Delhi mit jenen vor 18 Jahren in Gujarat unter dem damals dortigen Provinz-Ministerpräsidenten Modi. 2002 starben bei den antimuslimischen Pogromen über 1.000 Menschen, 200 gelten als vermisst.
Damals griff die Polizei nicht oder erst sehr spät ein. NCP-Sprecher Nawab Malik beschuldigte auch jetzt die Polizei in Delhi beim Ausbruch der Gewalt zugesehen zu haben.
Premierminister Modi meldete sich erst nach Trumps Abreise per Twitter zu Wort: „Frieden und Harmonie stehen im Mittelpunkt unseres Ethos. Ich appelliere an meine Schwestern und Brüder in Delhi, jederzeit Frieden und Brüderlichkeit zu wahren.“
Manche sehen die Gewalt als demonstrativen Machtakt vor allem extremer Hindus, der zeigen soll, das selbst bei hohem Besuch religiös motivierte Ausschreitungen möglich sind. Oder wurde Modi gar selbst von der Eskalation überrascht?
Weil der perfekt inszenierte zweitägige Staatsbesuch so aufwändig organisiert worden war, verwundert es, dass dieser so sehr von der Gewalt überschattet werden konnte. Trump bekam seine Show in Indien, doch Modi wurde die Show gestohlen. Verloren hat der gesellschaftliche Zusammenhalt. Hardliner beider Seiten dürften sich gestärkt fühlen.
Anm. d. Red.: In einer frühen Version dieses Textes hieß es, dass Muslime Hindus angegriffen hätten. Tatsächlich handelte es sich um hindunationalistische Attacken auf Muslime. Hindunationalismus ist eine Hassideologie, die dem europäischen Rechtsextremismus bzw. dem Islamismus strukturell ähnlich ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers