Proteste nach der Wahl in Serbien: Großdemo in Belgrad
Bei der bisher größten Kundgebung protestierten am Samstag Tausende gegen die manipulierte Wahl in Serbien. Die Proteste gehen 2024 weiter.
Seit mittlerweile zwei Wochen wird gegen die Wahlbehörden und die regierende Partei SNS demonstriert. Sowohl die Parlamentswahl als auch die Belgrader Kommunalwahl, beide vor zwei Wochen abgehalten, entschied die SNS deutlich für sich. Wahlbeobachter, unter anderem vom Europäischen Parlament und der OSZE, kritisieren jedoch schwere Mängel im Zusammenhang mit den Wählerlisten. Experten zufolge seien Tausende Wähler aus Bosnien herangekarrt worden, um in Belgrad ihre Stimme abzugeben. Der Umfang der Wahlmanipulation hat eine neue Qualität erreicht, sagt der Politikwissenschaftler Florian Bieber.
Die Protestierenden fordern daher eine Öffnung der Wählerregister sowie die Annullierung der genannten Ergebnisse. Beiden Forderungen verweigert sich jedoch die zuständige Behörde. Die Regierung und der zunehmend autoritär agierende Präsident Aleksandar Vučić widersprachen den Vorwürfen. Oppositionsvertreter wollen Anfang Januar gesammelt alle beobachteten Unregelmäßigkeiten vorlegen.
Wie schon in den vorangegangenen zwei Wochen war die Kundgebung am Samstagmittag zu einem großen Teil von Studierenden getragen. Viele von ihnen hatten bereits am Vortag Zelte aufgestellt und bei Temperaturen knapp über Gefrierpunkt übernachtet, um Präsenz zu zeigen und eine Straßenkreuzung zu blockieren.
Die Protestierenden skandierten immer wieder „Diebe“, adressiert an Vučić und seinen zunehmend autoritär agierenden Staatsapparat. Insbesondere am 24. Dezember, als einige Demonstrierende das Belgrader Rathaus stürmen wollten, ging die Polizei mit Schlagstöcken und Tränengas auch gegen Unbeteiligte vor. Die Oppositionsgruppe „Serben gegen Gewalt“ spricht von Polizeigewalt.
Hausarrest für Protestierende
Ema Milenković, die als Vertreterin der Studierenden sprach, kritisierte unter anderem die mindestens 38 Festnahmen der vergangenen Tage. Einige Protestierende wurden wegen „Verletzung der verfassungsmäßigen Ordnung“ verurteilt und unter Hausarrest gestellt. „Ist das ein Zeichen, dass die Wahlen fair abgelaufen sind?“, fragte Milenkovic in ihrer Rede.
Eine Liste mit Unregelmäßigkeiten bei der Wahl verlas die Schauspielerin Svetlana „Ceca“ Bojković. Ihr zufolge wurde etwa einer Krebspatientin, die auf eine Operation wartete, versprochen, terminlich vorgerückt zu werden, wenn sie die SNS unterstützen würde. Auch seien verstorbene Personen in der Wählerliste wieder zum Leben erweckt worden, sagte Bojković unter Berufung auf einen Lokalbeamten.
Umjubelt war insbesondere der Auftritt der Oppositionsführerin Marinika Tepić, die sich seit 18. Dezember im Hungerstreik befand. „Das Einzige was ich Ihnen sagen kann, ist, dass bereits alles gesagt wurde“, sagte Tepić, bereits sichtlich geschwächt, in Anspielung auf die täglichen Proteste der Vorwochen. Sie forderte eine Annullierung der Wahlergebnisse. Unmittelbar nach ihrem Auftritt musste Tepić auf ärztliche Empfehlung ins Krankenhaus, wo sie schließlich das Ende ihres Hungerstreiks bekanntgab.
Beobachter sprechen von Unregelmäßigkeiten bei der Wahl
Kritisiert wurde von den Rednern die zurückhaltende Kritik innerhalb der EU. Zwar hatten internationale Wahlbeobachter aus eigener Anschauung von Unregelmäßigkeiten bei der Wahl gesprochen. Die meisten nationalen Regierungen sowie die EU-Institutionen machen bisher aber kaum Druck, den Vorwürfen nachzugehen.
„Ich möchte unsere Freunde in Europa einladen, mehr Augenmerk auf diese Geschehnisse zu legen. Heute weht der europäische Geist durch die Straßen Belgrads“, sagte Politikwissenschaftler Srđan Cvijić bei der Kundgebung. In der Hand hielt er eine zerschlissene EU-Flagge aus den 1990ern, mit der er und seine Familie gegen den damaligen Machthaber Slobodan Milošević demonstriert hätten. Heute müsse die EU stärker gegen Vučić auftreten, der seit Jahren alle Fäden in Serbien zieht.
Die täglichen Demonstrationen vor dem Gebäude der Wahlbehörde werden vorläufig enden, hieß es am Ende der Kundgebung. Im neuen Jahr werde es aber weitere Proteste geben.
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