Proteste nach Vergewaltigungen in Indien: Patriarchale Gesellschaft
Zwei Vergewaltigungen mit Todesfolge empören viele Menschen in Indien. Die Opfer waren Frauen der untersten Kaste.
In der patriarchisch geprägten Gesellschaft Indiens, wo auch heute noch vielen Menschen das Kastenwesen wichtig ist, obwohl es offiziell abgeschafft ist, erleiden Dalit-Frauen oft eine doppelte Diskriminierung. Die Polizei versuchte am Donnerstag im Heimatdorf eines der Opfer, die Proteste einzuschränken. Einige Demonstranten forderten auf Plakaten, die Täter zu hängen.
Beide junge Frauen kamen aus dem bevölkerungsreichsten Bundesstaat Uttar Pradesh, der zu den ärmsten gehört. Beide starben am Dienstag.
Die eine soll Mitte September auf einem Feld misshandelt worden sein. Dabei seien ihre Zunge und ihr Rückenmark verletzt worden, sagte ihr Bruder indischen Medien. Sie starb zwei Wochen später.
Wieder Vorwürfe an die Polizei
Die Familie wirft der Polizei vor, die Leiche mitten in der Nacht ohne Einwilligung eingeäschert zu haben. Die Polizei wies diesen Vorwurf zurück. Der Regierungschef des betroffenen Bundesstaates twitterte, Premierminister Narendra Modi habe gesagt, dass die Vergewaltiger streng bestraft werden sollten.
Die zweite Dalit-Frau soll laut Polizeiangaben Dienstagnacht vergewaltigt worden und noch auf dem Weg in ein Krankenhaus gestorben sein. Zuvor sei sie entführt und betäubt worden, sagte ihre Familie indischen Medien. Ihr Kind hätte nach der Tat kaum mehr sprechen und laufen können, sagte die Mutter.
Inzwischen nahm die Polizei nach eigenen Angaben die mutmaßlichen vier Vergewaltiger der ersten Frau und die zwei der zweiten Frau fest. Es soll Eilverfahren geben.
Seit 2012 macht das Vergewaltigungsproblem Schlagzeilen
2012 hatte ein besonders brutaler Vergewaltigungsfall einer Studentin in einem Bus in der Hauptstadt Indien und der Welt gezeigt, dass das Land ein grundsätzliches Problem hat – ein Vergewaltigungsproblem.
Nach offiziellen Zahlen wird dort alle 15 Minuten eine Frau oder ein Mädchen vergewaltigt – und nicht alle Fälle werden erfasst. Auch heute schweigen viele Inderinnen darüber. Nur besonders brutale Fälle machen nationale Schlagzeilen.
Als Reaktion darauf haben in den vergangenen Jahren immer wieder Menschen protestiert, manche forderten den Tod von Tätern. Doch Aktivistinnen sagen, der Grund der vielen Vergewaltigungen liege tiefer – und zwar in der patriarchalen Gesellschaft, in der viele Frauen früh lernten, dass sie weniger wert seien als ihre Brüder.
Jedes Jahr werden Tausende weibliche Föten abgetrieben, Mädchen besuchen Schulen seltener als Jungen und Töchter sind für Familien oft eine finanzielle Belastung – häufig müssen sie bei ihrer Heirat eine hohe Mitgift zahlen, obwohl dies inzwischen offiziell verboten ist.
Aktivistinnen werfen der Polizei und dem oft überlasteten Justizsystem auch vor, Opfer sexueller Gewalt nicht ernst genug zu nehmen – besonders, wenn sie einer niedrigen Kaste angehören.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!