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Proteste in der TürkeiIstanbul bleibt vorerst CHP-regiert

Das Stadtparlament der Metropole einigt sich auf einen Vertrauten des inhaftierten İmamolğu als Statthalter. Die Regierung verschärft ihre Rhetorik.

Eine auffällige Erscheinung: Ein als Derwisch gekleideter Demonstrant in Istanbul am 23. März Foto: Murad Sezer/reuters

Istanbul taz | Das Stadtparlament von Istanbul ist am Mittwoch der Gefahr einer Zwangsverwaltung zuvorgekommen. Mit großer Mehrheit wählte es den bisherigen Stellvertreter des inhaftierten Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu, Nuri Aslan, zu seinem kommissarischen Vertreter. Er besetzt den Posten solange İmamoğlu im Gefängnis ist und seine Amtsgeschäfte nicht ausüben an. Der 56-jährige CHP-ler Nuri Aslan ist ein langjähriger Vertrauter des Bürgermeisters, der schon mit ihm zusammen gearbeitet hat, als İmamoğlu noch Bezirksbürgermeister des Stadtteils Belikdüzü war.

Die CHP hat in der Stadtverordnetenversammlung 185 Sitze, die AKP 122. Aslan wurde im dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit gewählt. Die CHP hofft, mit dieser Wahl der Gefahr, dass die Regierung in Istanbul einen staatlichen Zwangsverwalter einsetzt, entgegentreten zu können. Im Kampf um die Kontrolle über die Me­tropole Istanbul hat Erdoğan bislang nicht nur İmamoğlu ins Gefängnis sperren lassen, sondern auch weitere Bezirksbürgermeister Istanbuls.

Im Bezirk Sisli hat der Innenminister einen Zwangsverwalter einsetzen lassen. Entscheidend ist aber die Kontrolle der übergeordneten Groß-Istanbul-Verwaltung, sowohl was die politische Gestaltung als auch den Zugriff auf die Finanzen angeht.

Über 1.000 Demonstranten sollen nach Festnahme in Untersuchungs­haft überstellt worden sein

Unterdessen empfängt İmamoğlu im Gefängnis fast jeden Tag Besucher seiner Partei. Am Mittwoch machte ihm der Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavas, seine Aufwartung. Yavas sagte anschließend, er habe mit İmamoğlu darüber gesprochen, wie wichtig die Wiederherstellung der Gewaltenteilung im Land sei. Yavas kritisierte auch, dass mittlerweile über 1.000 Demonstranten nach ihrer Festnahme auch in die Untersuchungshaft gesteckt wurden – eine reine Abschreckungsmaßnahme, um den Menschen Angst einzujagen, weiterhin auf die Straße zu gehen.

Auch für JournalistInnen wird es immer gefährlicher, über die Proteste zu berichten. Offiziell ist die Rede von elf festgenommenen Medienschaffenden, darunter auch ein Fotograf der Nachrichtenagentur AFP. Von diesen elf JournalistInnen sind sieben bereits ins Gefängnis geschickt worden. Demgegenüber spricht die türkische Journalistengewerkschaft von insgesamt 26 JournalistInnen, die seit Beginn der Proteste vor einer Woche landesweit festgenommen wurden.

Zur Unterstützung der Protestierenden haben eine Reihe von bekannten türkischen Schriftstellern – unter ihnen auch Orhan Pamuk – eine Erklärung veröffentlicht, in der sie die fortgesetzte Rechtlosigkeit im Land kritisieren. Die Regierung habe gegen den Willen Istanbuls einen zivilen Putsch mithilfe der Justiz durchgeführt. Die Proteste dagegen seien völlig legitim: „Wir gehen auch auf die Straße, wir protestieren auch gegen diesen zivilen Putsch der Regierung.“

Unterdessen verschärft Präsident Recep Tayyip Erdoğan noch seine Rhetorik gegen den angeblichen „Straßenterror“ der Opposition. Vor seiner Fraktion in Ankara kündigte er an, die Gangart weiter zu verschärfen. „Unsere härtesten Schläge kommen noch“, sagte er.

Der CHP-Vorsitzende Özgür Özel hat am Dienstagabend angekündigt, dass die täglichen Kundgebungen vor dem Istanbul Rathaus nun erst einmal beendet werden. Mit der Wahl eines Vertreters für İmamoğlu sei die Situation im Rathaus ja zunächst geklärt. Für die kommenden Feiertage zum Ende des Ramadan kündigte Özel eine Großkundgebung an, die am Samstag auf einem der größten Versammlungsplätze Istanbuls im Stadtteil Maltepe stattfinden soll.

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