Proteste in Senegal gegen Präsident Sall: Die Jugend begehrt auf
In Senegal schart sich die perspektivlose junge Generation hinter dem antiwestlichen Oppositionellen Ousmane Sonko gegen den seit 2012 regierenden Präsidenten Macky Sall
Zu den regelmäßigen Protesten ruft Senegals neues Oppositionsbündnis F24 auf. Vergangenen Freitag wurde die Veranstaltung erst in letzter Minute genehmigt. Die Stimmung war angespannt, das Aufgebot der Polizei groß. Da die Universität Cheikh-Anta-Diop fußläufig erreichbar ist, kamen zahlreiche Studierende.
Senegal wählt erst im Februar 2024 ein neues Staatsoberhaupt. Aber in diesen Tagen entscheidet sich womöglich, wer überhaupt antreten darf. Will Präsident Macky Sall eine dritte Amtszeit anstreben? Darf der Oppositionelle Ousmane Sonko kandidieren?
„Seit Präsident Macky Sall 2012 an die Macht kam, erleben wir einen Rückgang der Demokratie“, erläutert Moustapha Dieng, der einen Schal in den Nationalfarben Rot-Gelb-Grün trägt und schon früh zum Platz der Nation gekommen ist. Der 40-Jährige erinnert sich an Senegals letzte Wahlen 2019, als weder Dakars Bürgermeister Khalifa Sall noch Karim Wade, Sohn von Präsident Salls Vorgänger Abdoulaye Wade, antreten durften, weil sie zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt waren. „Er hat Khalifa Sall ebenso wie Karim Wade ausgeschaltet. Das versucht er gerade wieder mit Ousmane Sonko.“
In Senegal fehlt es an Jobs und Perspektiven
Am 8. Mai wurde Sonko wegen „Verleumdung, Beleidigung und Urkundenfälschung“ zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Ein zweiter Prozess ist für Dienstag geplant. Der 48-Jährige ist wegen einer Vergewaltigung aus dem Jahr 2021 angeklagt. Eine Mitarbeiterin eines Schönheitssalons in Dakar hat Anzeige erstattet. Am Ende all dieser Verfahren könnte Sonkos Ausschluss aus der Präsidentschaftswahl stehen.
Sonko polarisiert. Leute, die die alte Kolonialmacht Frankreich scharf kritisieren und sich deutlich prorussisch positionieren, feiern ihn als Verkörperung eines selbstbewussten Afrikas, das sich nicht mehr an den Westen anlehnt. Das kommt bei jungen Menschen gut an.
Viele französische Unternehmen sind in Senegal präsent. Die vielen neuen Gebäude und Baustellen in Dakar machen die Hauptstadt zur Boomtown. Aber es fehlt massiv an Jobs. Es wird geschätzt, dass jährlich 200.000 Jugendliche auf den Arbeitsmarkt drängen, aber nur wenige finden Arbeit. „Die junge Generation fordert eine gute Ausbildung, um anschließend Arbeit zu finden, durch die der Lebensunterhalt bestritten werden kann“, sagt Khadim Diop, Präsident des senegalesischen Jugendrates.
Der 48-jährige Sonko hat eine erfolgreiche Karriere hinter sich. Nach dem Jura- und Verwaltungsstudium wurde er Steuerprüfer. Er gründete eine Partei, wurde aus dem Staatsdienst entlassen und veröffentlichte 2018 ein Buch, in dem er dem Staat Unterschlagung von Senegals Gewinnen aus Öl und Gas vorwarf. Damit erregte er Aufsehen. Seit 2022 ist er Bürgermeister von Ziguinchor im Süden des Landes.
Debatte um eine dritte Amtszeit für den Präsidenten
Der Aufstieg von Sonko sei ein Trend, sagt Ibrahima Kane von der Menschenrechtsgruppe RADDHO (Afrikanische Begegnung zur Verteidigung der Menschenrechte). Parteien im traditionellen Sinne würden unwichtiger. An ihre Stelle träten Bündnisse mit einem starken Führer. „Diese Person ist ein Art Halbgott, die alles entscheidet.“ Junge Menschen würden Sonko bejubeln, weil er ein Gegenpol zu Präsident Macky Sall ist.
Mit den Protesten einher geht die Debatte um eine dritte Amtszeit für den Präsidenten. Die ist laut Verfassung ausgeschlossen, aber die Sorge bei der Demonstration in Dakar ist da. Auf Plakaten steht: „Nein zum dritten Mandat“.
„Der Präsident hat sich dazu noch gar nicht geäußert“, sagt Jugendratspräsident Diop. Doch genau das heizt die Stimmung an. Es war erwartet worden, dass der 61-jährige Sall spätestens nach der Parlamentswahl 2022 einen Wunschnachfolger benennt. Doch Sall schweigt.
Das mögliche dritte Mandat ist ein Déjà-vu in Senegal. 2012 führte die dritte Kandidatur von Salls Vorgänger Abdoulaye Wade zu monatelangen Protesten mit 13 Toten. Die Opposition schloss sich gegen Wade zusammen, gewann schließlich mit Macky Sall die Stichwahl und er wurde zum Hoffnungsträger junger Menschen. Die haben nun kein Verständnis dafür, dass Sall selbst eine weitere Amtszeit anstreben könnte.
So heizt sich das politische Klima auf. Ousmane Diallo von Amnesty International warnt vor einem „steigenden Einsatz von Gewalt“. Das sei bereits seit zwei Jahren zu beobachten. Bei Demonstrationen in einem Streit um Landnutzung im Dakarer Stadtviertel Ngor vergangene Woche wurde ein Mädchen erschossen. Im März starb eine Person bei Protesten im Süden des Landes.
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