Proteste in Russlands Hauptstadt: Otpuskai – lass frei!
Mehr als 20.000 Menschen forderten in Moskau die Freilassung oppositioneller Demonstranten. Die Staatsgewalt ließ sie gewähren.
Der stetige Protest hatte in Moskau in den letzten Wochen zu mehreren Freilassungen, Änderungen des Strafmaßes und Wiederaufnahmen von Gerichtsverfahren geführt. Am Montag befasst sich ein Berufungsgericht mit dem Fall Pawel Ustinows. Der Schauspieler wurde zu dreieinhalb Jahren Lager verurteilt, obwohl er an der inkriminierten Demo im Juli gar nicht teilgenommen hatte. Die Sozialisierungswelle war gewaltig. Schauspieler, Lehrer, Ärzte und Popen sprachen sich für den jungen Schauspieler aus.
Tatjana Felgengauer, Moderatorin von Radio Echo Moskwy, führte durch das Programm. Es ist der Sender, der die Rolle des Widerspruchs in Moskau noch wahrnehmen kann. Losungen wie „Umfassende Amnestie“ oder „Freiheit für alle politischen Gefangenen“ versackten unterdessen auf dem weiten Prospekt zwischen fernen Häuserfronten. Parolen waren am Sonntag nicht angesagt.
Sie sei gekommen, um sich gegen alles auszusprechen: die Entmündigung bei den Wahlen, bei denen oppositionelle Kandidaten nicht zugelassen wurden und die Willkürjustiz, die allen Angst einflößen wolle, sagte die 20jährige Lucia Petrowna beherzt. Vielen schien es ähnlich zu gehen.
Auch Alexej Nawalny ist wieder auf der Straße
Der Politologe Dmitrij Oreschkin sieht unterdessen die Gefahr, dass sich der Protest totlaufen könnte. „Die Machthaber lassen eine Demo zu, dann noch eine und beim dritten Mal kommt keiner mehr“. Das sei die Strategie der Verantwortlichen. Ein bisschen von dieser Atmosphäre lag auch gestern über der Veranstaltung. Obwohl einige freigelassene „Straftäter“ und verhinderte Abgeordnete an der Veranstaltung teilnahmen.
Auch der Kopf des russischen Protestes, Alexei Nawalny, war wieder mit von der Partie. Ihm gelingt es fast immer, die Massen in Schwingungen zu versetzen. Und sei es nur mit der Erzählung, wie Sicherheitskräfte in schwarzen Masken die Büros des Antikorruptionsfonds im ganzen Land durchsuchen. Sie nähmen nicht einmal danach oder vor Gericht die Masken ab.
„Sind es nicht diese Leute, die tatsächlich Angst haben?“, fragt Nawalny rhetorisch und erntet kräftigen Beifall. Er schafft es immer wieder, den Demonstranten das Gefühl zu vermitteln, in einem Boot zu sitzen. Sie sollen an der Sache dranbleiben – an der „Moskauer Sache“, so heißt diese Welle der jüngsten Proteste und Verhaftungen im Vorfeld der Wahlen.
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