Proteste in Frankreich: „Eine Chance in der Bewegung“
Romain und Victoria kämpfen gegen die Rentenreform in Frankreich. Ihn treibt die Rente seiner hart arbeitenden Eltern um, sie Macrons Elitenkumpanei.
Victoria, 69, schreckt vor illegalem Protest nicht zurück:
„Aveuglement climatique et social!“, Klima- und Sozialverblendung, steht in großen schwarzen Lettern auf rotem Grund, darüber Macrons Gesicht, mit Photoshop auf den Körper eines französischen Königs montiert. Unnahbar und blind gegenüber den Problemen der Französ:innen – so sieht Victoria den französischen Präsidenten.
„Macron ist ein Vertreter der multinationalen Konzerne und seiner reichen Freunde. Für die findet er viele Vorteile, während er gleichzeitig auf die normalen Leute schießt“, sagt die Rentnerin, die nur ihren Vornamen nennen möchte. Bei fast allen Demonstrationen gegen die Rentenreform war sie dabei. „Ich bin bei der Zivilorganisation Attac aktiv, wir setzen uns für eine interglobale und antikapitalistische Politik ein.“ Außerdem engagiert sie sich bei EELV, den französischen Grünen. „Ich wähle, ich demonstriere.“
Auch vor illegalen Protesten schreckt sie nicht zurück. „Jedes Mittel ist gut, wir haben nichts mehr zu verlieren. Denn wenn wir es nicht schaffen, das System zu ändern, sind wir in 20 Jahren alle tot. Das ist die Realität“, sagt sie und meint damit die Klimakrise. Was soziale und ökologische Fragen angehe, passiere in Frankreich zu wenig. Und die bestehende soziale Absicherung, sagt sie, müsse unbedingt erhalten werden. „Aber mit der aktuellen Regierung werden wir nichts bewegen“, ist sie sich sicher.
Dennoch sieht Victoria, die in den 1980er Jahren aus Nordamerika nach Frankreich ausgewandert ist, eine Chance in der Bewegung, die gegen die Rentenreform entsteht: „Macron hat es geschafft, die Leute auf die Straße zu bringen.“
Romain, 26, hofft auf das französische Parlament:
„Ich bin gegen den Inhalt der Reform und ich bin gegen die Art, mit der sie verabschiedet wurde“, sagt Romain Aubert. „Sie wird sich vor allem auf die prekärsten Beschäftigten, auf Frauen und auf diejenigen auswirken, die die schwerste körperliche Arbeit leisten müssen.“
Auch die Dringlichkeit, in der das Gesetz durchgebracht wurde, versteht er nicht: „Was die Regierung gemacht hat, ist zwar legal, hat aber dazu geführt, dass die gewählten Abgeordneten der Nationalversammlung nie über diesen Text abgestimmt haben, nie in der Lage waren, ihre Aufgabe zufriedenstellend zu erfüllen.“
Als Doktorand wird Romain nicht früh genug in den Arbeitsmarkt einsteigen, um von der Anhebung der Pflichtjahre vor dem Renteneintritt – ein Aspekt der Reform – betroffen zu sein. Trotzdem möchte er Präsenz zeigen. „Meine Mutter ist Reinigungskraft, wird schlecht bezahlt und ist den ganzen Tag Chemikalien ausgesetzt. Mein Vater ist Schreiner.“ Beide üben körperliche Berufe aus, seien gegen das Gesetz, könnten es sich aber nicht leisten zu streiken, erklärt er. Die Anzahl der Leute, die trotz der Inflation und möglicher finanzieller Einschnitte entschlossen auf die Straße gehen, beeindruckt Romain.
Er sieht einen klaren Zusammenhang zwischen den Umständen, unter denen die Regierung gewählt wurde, und der aktuellen Situation: „Macron wurde im ersten Wahlgang mit 20 Prozent der Stimmen gewählt. Legt man die Zahl der registrierten Wähler zugrunde, erkennt man den Ursprung der mangelnden Akzeptanz seiner öffentlichen Politik durch die Bevölkerung.“
Romain, der seinen Doktor in Politikwissenschaften macht, ist der Meinung, dass Macrons Art des Regierens und die heutige Legitimität der repräsentativen Demokratie in Frankreich infrage gestellt werden sollten.
Was die Rentenreform betrifft, hat er noch nicht aufgegeben: „Es gibt die Möglichkeit, eine erneute Beratung des Gesetzes im Parlament zu beantragen, um noch aus diesem Gesetz auszusteigen. Und dafür demonstrieren wir.“
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