Proteste in Bosnien und Herzegowina: Auf die Straße gegen Wahldiskriminierung und Christian Schmidt
In Sarajevo demonstrierten am Donnerstag Abend Hunderte gegen den Hohen Repräsentanten. Der will ein EGMR-Urteil gegen Wahldiskriminierung anfechten.
Schmidt versuche alles, diese Tradition zu zerstören. Jetzt wolle er sogar Einfluss auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg nehmen, um das dort schon gefällte Urteil zugunsten der Kläger zu kippen.
Im Mittelpunkt des Protestes steht Slaven Kovačević, dessen Rechtsstreit über Wahldiskriminierung zu dem erneut wegweisenden Urteil des EGMR geführt hatte. Schon einige Kläger zuvor – wie die Repräsentanten der Juden und Roma schon vor 15 Jahren – geht es mit ihren Klagen um die Bürgerrechte und das Wahlrecht. Bisher hat es trotz dieser Urteile keine Änderungen gegeben.
Seine juristische Argumentation konzentriert sich auf die Tatsache, dass er als Einwohner der Föderation Bosnien und Herzegowina nur für bosniakische oder kroatische Präsidentschaftskandidaten stimmen konnte, eine Einschränkung, die der EGMR auch in seinem Fall als diskriminierend eingestuft hat. Das derzeitige System begünstige die herrschenden politischen Eliten und halte die ethnischen Spaltungen aufrecht, „die unser Land seit Jahrzehnten plagen“, erklärte Kovačević vor den Demonstranten.
Die Urteile in Straßburg riefen aber Proteste bei den Eliten und Extremisten der nationalistischen Parteien der Kroaten und Serben hervor. Denn die Bevölkerungsmehrheit aus Bosniaken, den nicht national definierten „Anderen“, den Minderheiten und der Zivilgesellschaft steht hinter dem Straßburger Urteil. Sie wollen, dass alle Bürger des Landes gleiche Rechte haben. Bei Wahlen in einem gleichberechtigten System wären diese Bürger in der Mehrheit.
Die Nationalisten dagegen wollen kollektive Rechte im Verfassungssystem für ihre Bevölkerungsgruppen und damit ihre eigene Macht erhalten. Sollten die kollektiven Rechte beschnitten werden, drohen sie mit der Zerstörung des Landes.
Christian Schmidt in der Kritik
Im Zentrum des Protests in Sarajevo steht Schmidts Position in diesem Fall. Denn Schmidt stellt sich nach Meinung der Demonstrierenden auf die Seite der Nationalisten, indem er sich mit Hilfe teurer Anwälte versucht, in das EGMR-Urteil einzumischen.
Damit verlässt er die Position, als Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft überparteilich zu sein, und in dieser Funktion Frieden und Stabilität in Bosnien und Herzegowina zu gewährleisten. Für Kovačević stellt sich Schmidt hinter Systeme, „die auf Völkermord und gemeinsamen kriminellen Unternehmungen aufgebaut wurden.“
Auch, dass Schmidt kürzlich den Massenmörder und vom UN-Strafgerichtshof in Den Haag als Kriegsverbrecher verurteilten ehemaligen bosnisch-serbische General Ratko Mladić auf die gleiche Stufe mit dem ehemaligen Präsidenten Bosnien und Herzegowinas gestellt hat, führte zu Kritik.
Die Demonstranten hielten Transparente und Schilder hoch, auf denen ein Ende von Schmidts Amtszeit gefordert wurde. Diese Kritik trägt zur wachsenden Unzufriedenheit vieler Bürger bei, die das Gefühl haben, dass Schmidt die Bemühungen um den Aufbau eines diskriminierungsfreien, bürgerlichen Staates untergräbt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen