Proteste in Angola: Die Leute können nicht mehr
Angola ist das neueste Land Afrikas, das Aufruhr gegen Preissteigerungen erlebt. Auf dem ganzen Kontinent wachsen Ungleichheit und Hunger – und Wut.

A m Montag, den 4. August, soll Ana Mubiala in Angolas Hauptstadt Luanda beigesetzt werden. Die 33-jährige Mutter mehrerer Kinder wurde am 30. Juli von Angolas Polizei erschossen, als sie in ihrem Wohnviertel in Luanda einen ihrer Söhne von der Straße holen wollte, damit er nicht erschossen wird. Luanda erlebte an jenem Mittwoch den dritten Tag eines Generalstreiks mit Demonstrationen, die von den Sicherheitskräften zusammengeschossen wurden, nachdem es zu Plünderungen gekommen war. 30 Tote und 270 Verletzte lautet die amtliche Bilanz. Menschenrechtsorganisationen sprechen von Schüssen auf unbewaffnete Menschen. Angolas Präsident Joao Lourenco lobte seine Polizei für die „Wiederherstellung der Ordnung“.
Auslöser für die Unruhen war ein Streik der Sammeltaxifahrer gegen eine Benzinpreiserhöhung. Von 300 auf 400 Kwanza stieg der staatlich regulierte Literpreis Anfang Juli – 0,28 auf 0,38 Euro. Das mag sehr wenig erscheinen, aber erstens ist Angola einer der größten Ölförderer Afrikas und zweitens führt ein Anstieg des Benzinpreises um ein Drittel, egal auf welchem Niveau, zu entsprechenden Preissprüngen für alles andere. Denn in Millionenstädten wie Luanda kommen ohne Benzin keine Menschen zur Arbeit und keine Waren auf die Märkte. Schon seit einigen Wochen wurde in Luanda jeden Samstag demonstriert, vergangene Woche eskalierte die Opposition dies zu einem Generalstreik und die autoritäre Regierung sah darin sofort eine Gefahr für ihre Autorität.
Angola ist ein Land himmelschreiender sozialer Ungleichheit. Es fördert in etwa so viel Öl wie Nigeria, hat aber mit 38 Millionen Einwohnern nur ein Siebtel der Bevölkerung und sollte daher mit Einnahmen von mehreren Dutzend Milliarden US-Dollar pro Jahr eigentlich reich geworden sein – zeitweise war Angola nach dem Ende seines Bürgerkrieges 2002 die schnellstwachsende Wirtschaft der Welt. Trotz stark gesunkener Fördermengen und Exportpreise verdiente Angola allein am Öl allein im ersten Halbjahr 2025 12 Milliarden US-Dollar, weniger als seit vielen Jahren, aber immer noch viel.
Reich geworden ist an Angolas Öl aber einzig eine schmale Elite rund um die Führung der ehemaligen sozialistischen Befreiungsbewegung MPLA (Angolanische Volksbefreiungsbewegung), die Angola seit der Unabhängigkeit vor 50 Jahren regiert. Der aktuelle Präsident Lourenco hat zwar versucht, die Vetternwirtschaft seines Vorgängers Eduardo dos Santos (1979 bis 2017) zu bekämpfen, aber an der Grundstruktur hat sich wenig geändert.

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Luxus und Hunger
In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich Angolas Bruttoinlandsprodukt vervierfacht, zugleich hat sich laut dem neuen UN-Welternährungsbericht die Zahl der Übergewichtigen verdreifacht und die Zahl der chronisch unterernährten Kinder mit Wachstumsstörungen verdoppelt. Die Armen sind arm geblieben, die Reichen sind obszön reich geworden. Luanda war zum Höhepunkt des Ölbooms die teuerste Stadt der Welt, während die meisten seiner Bewohner in fernen Slums lebten und in den abgeschottenen Luxusenklaven nur zu Arbeitszwecken geduldet wurden. In Angola insgesamt leben laut Weltbank 36 Prozent der Bevölkerung in absoluter Armut, die Inflation liegt bei 20 Prozent. Da zählt jeder Cent.
Geboren wurde Ana Mubiala im Jahr 1992 – das Jahr, als Angola nach seinem ersten Bürgerkrieg, in dem das sozialistische Kuba und Apartheid-Südafrika auf der jeweiligen Seite eingegriffen hatte, seine ersten freien Wahlen erlebte. Die regierende MPLA trug einen umstrittenen Sieg davon, verweigerte die fällige Stichwahl und die vorherige Rebellenbewegung Unita (Nationale Union für die Totale Unabhängigkeit Angolas) ging zurück in den Untergrund. Im berüchtigten „Halloween-Massaker“ Ende Oktober 1992 wurden Tausende Unita-Anhänger in Luanda und anderen Städten systematisch getötet.
Es folgte ein brutaler Dauerkrieg mit bis zu 800.000 Toten und mehreren Millionen auf der Flucht in einem faktisch zerfallenen Land, ähnlich wie Sudan heute. Erst der Tod von Unita-Führer Jonas Savimbi 2002 brachte den Sieg der MPLA und damit ein Ende des Krieges – aber bis heute ist Angola ein Land, in dem die Regierung keinerlei Infragestellung ihrer Macht duldet. Gewalt durch den Staat ist bei Protest das erste und nicht das letzte Mittel.
Angola ist kein Einzelfall
Die neuen Unruhen in Angola sind kein Einzelfall in Afrika. Vor einem Jahr erlebte Nigeria ähnliches, ebenso Kenia. Überall ist der Auslöser eine Regierungsentscheidung, die das Leben der Menschen abrupt verteuert: Streichung von Benzinpreissubventionen, Steuererhöhungen. Steigende Treibstoffpreise infolge korrupter Regierungsgeschäfte. Wo die Preise steigen, aber die Regierung sich eher auf die Seite der Verbraucher gegen Importkartelle stellt, wird hingegen nicht protestiert, etwa in Liberia – die Regierenden haben es also in der Hand.
Schon der „arabische Frühling“ in Tunesien 2011 und die sudanesische Revolution 2019 begann mit Streiks und Protesten gegen Willkür durch die Mächtigen. Ob damals in Tunesien oder heute in Angola – es gehen Menschen auf die Straße, die sich seit Generationen um ein besseres Leben für ihre Kinder bemühen und dann von der Politik ins Elend zurückgeworfen werden.
Der jüngste UN-Welternährungsbericht hat hervorgehoben, dass in Afrika anders als in Asien und Lateinamerika der Hunger zunimmt, nicht zurückgeht. In vielen Ländern steigt die soziale Ungleichheit infolge politischer Entscheidungen zu Lasten der Bevölkerungsmehrheit. Normalerweise müssten demokratische Institutionen das auffangen, aber wenn eine reiche Elite die Zugänge zu den Institutionen monopolisiert, funktioniert das nicht. Protest und Unruhe wie jetzt in Angola dürfte, wenn das so bleibt, alsbald die Regel werden.
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