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Proteste im rheinischen BraunkohlerevierMusikalisch die Bagger blockiert

Gegen RWE, gegen Braunkohle: Mit einem Protestkonzert stoppt das Orchester „Lebenslaute“ am Sonntag die Arbeiten im Tagebau.

Die Instrumente sind gestimmt, das Konzert kann beginnen Foto: Andreas Will

MANHEIM taz | Mehr als die Hälfte der Einwohner haben das Dorf schon verlassen. Der Laden steht leer, nur noch Umzugskisten sind in den Schaufenstern zu sehen. Und ein Bus kommt sonntags auch nicht mehr. Kerpen-Manheim im rheinischen Braunkohlerevier wird schon bald den Baggern von RWE weichen. Doch an diesen Sonntag ist wieder Leben im Dorf.

Eine Woche nach der massenhaften Besetzung des Tagebaus Garzweiler haben MusikerInnen des politischen Orchesters „Lebenslaute“ und verschiedene Bürgerinitiativen zum erneuten Antikohleprotest geladen. „Es geht um die Kontinuität des Widerstands“, erklärt Lebenslaute-Sprecher Marcus Beyer. „Braunkohle ist einer der größten Klimakiller.“ Die MusikerInnen sind in Bluse und Anzughose erschienen. Nur die Wanderschuhe verraten, dass das eigentliche Ziel des Nachmittags ein ganz anderes ist: der Tagebau selbst. Dort wollen sie musikalisch die Bagger blockieren.

Jahr für Jahr sucht sich das mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnete Orchester einen Ort der musikalischen Intervention. Sie haben schon gegen rassistische Abschiebepolitik im Innenministerium gespielt, beim G-8-Gipfel und in Gorleben. Anders als bei anderen Demos gibt es bei den Aktionen von Lebenslaute Walzer und Telemann. „Wir sind nicht gewalttätig, aber haben ein gewaltiges Orchester“, erklärt einer der Musiker.

Am vergangenen Samstag war es bei den Protesten zu zahlreichen Pfefferspray-Einsätzen gekommen. Weil sie unerlaubt das Betriebsgelände von RWE betraten, erstatte der Konzern in rund 800 Fällen Strafanzeige. Das stieß am Sonntag auf Kritik: „Die eigentliche Gewalt ist die Umweltzerstörung durch RWE, die Vergiftung der Natur und die Vernichtung von ganzen Landstrichen“, erklärte Dirk Jansen vom BUND auf der Kundgebung.

Mehrere Bagger stehen still

Begleitet von einem großen Aufgebot von PolizistInnen setzt sich der Zug aus rund 200 Menschen nach der Kundgebung auf dem Marktplatz in Manheim in Richtung Tagebau Hambach in Bewegung. Doch noch vor dem Gelände ist vorerst Schluss. Mehrere Dutzend PolizistInnen versperren den Weg.

Doch im zweiten Versuch erreichen die 70 MusikerInnen und ein Teil ihres Publikums am frühen Abend doch noch den Tagebau: Unmittelbar vor einem der großen Bagger stimmen sie ihre Instrumente und starten das Konzert - das RWE-Mitarbeiter mit Sirenen und Megaphon-Durchsagen (“Sie begehen eine Straftat“) behindern. Mehrere Bagger und das Förderband auf dem Gelände des Tagebaus wurden angehalten.

Stillgestanden hatten Teile des Tagebaus bereits am Samstag: Da hatten am frühen Morgen vier Aktivisten in vier Meter Höhe ihre Arme in Metallrohren aneinandergekettet – unter dem Hauptförderband, über das die gesamte Kohle aus dem Tagebau transportiert wird. Erst nach über sechs Stunden konnte die Polizei sie befreien.

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3 Kommentare

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  • beeindruckend ist diese TV-Reportage über diese Aktion: http://graswurzel.tv/v255.html

  • Gratuliere !

    Beethoven war stärker als der Bagger. Mit Musik die Lebensgeister wecken an Orten, wo Leben zerstört wird.

    Das ist "Lebenslaute"

  • Respekt vor dem Mut der Demonstrierenden. Siehe hierzu auch den - freilich etwas optimistischen - Beitrag von Sibylle Berg im SPIEGEL:

    "Es scheint, als hätten einige Mitglieder der aktuell noch herrschenden Klasse - Politiker, Wirtschaftsvorstände, Aufsichtsratsvorsitzende, Chefs von Energiekonzernen, Waffenhersteller und Dealer - eine Ahnung von der Veränderung, als röchen sie ihren Untergang. Das Ende des umjubelten Wachstums, das alles zum Explodieren bringt, das Ende des Patriarchats, das Ende des Neoliberalismus, das wittern sie.

    Und deshalb wollen sie so viele Menschen wie möglich mit in den Abgrund reißen. Schnell noch mal so richtig Scheiße bauen. Ein paar Endlager errichten, ein paar alte Atomkraftwerke weiterlaufen lassen, größere Autos bauen, Wiesen zubetonieren, Grundwasser vergiften, ein paar gute Entscheidungen revidieren, ist doch egal, was die nach uns machen". (http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/sibylle-berg-ueber-die-herrschende-klasse-a-1049262.html#ref=meinunghp)