Proteste gegen ThyssenKrupp: Koloss auf tönernen Füßen
Umweltkatastrophe in Brasilien, Fregatten-Exporte nach Algerien: Kritiker fordern verantwortliches Handeln von ThyssenKrupp.
BERLIN taz | Umweltverschmutzung, Waffenexporte, Stadtbildverschandelung: Bei der Hauptversammlung von ThyssenKrupp wird am Freitag in Bochum auch protestiert. Der Stahlkonzern müsse „endlich Verantwortung für seine Großprojekte“ übernehmen, forderte ein Bündnis von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen. Für „schnellstmögliche Schadensbegrenzung“ sprach sich Christian Russau vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre aus.
Im Zentrum der Proteste steht ein Stahlwerk 80 Kilometer entfernt von Rio de Janeiro in Brasilien, das als größte Fehlinvestition in die Geschichte des Unternehmens einging. Da man Stahl in Brasilien zu Beginn der Jahrtausendwende auch wegen der niedrigen Umweltschutzauflagen günstig produzieren konnte, beauftragte der Essener Konzern eine chinesische Baufirma mit dem Projekt. Diese war der Sache jedoch nicht gewachsen. Die mit zwei Milliarden Euro veranschlagten Kosten vervierfachten sich.
Seit der Inbetriebnahme des Werks im Jahr 2010 klagen Anwohner über Atemproblemen und Hautausschlag. Aufgrund der minderwertigen Ausführung gelangen Abfallprodukte wie Graphitstaub in die Umwelt – das schadet Mensch und Natur. „Der giftige Stahlwerksstaub macht den Anwohnern noch immer das Leben zur Hölle“, sagt Marcos da Costa Melo von der Organisation Kooperation Brasilien, die sich vor Ort um Betroffene kümmert.
ThyssenKrupp betont, ein Entstaubungssystem habe die Situation „nachhaltig verbessert“. Klagen von Fischern hält der Konzern dagegen für „insgesamt unbegründet“. Es gebe in der Region keinen Tourismus, von der Fischerei lebten weniger als zehn Prozent der Bevölkerung, wohingegen das Stahlwerk 10.000 Arbeitsplätze schaffe.
Das Werk hat bislang nur eine vorläufige Betriebserlaubnis. Zuvor seien noch einige Umweltauflage abzuarbeiten, sagte Finanzvorstand Guido Kerkhoff auf der Hauptversammlung. Da sich kein Käufer findet, will ThyssenKrupp das Werk nun in Eigenregie modernisieren. Dennoch: Derzeit ist es kaum wirtschaftlich für den Konzern zu betreiben: Der in Brasilien produzierte Stahl kostete im vergangenen Jahr immer noch mehr als der aus dem Werk in Duisburg.
Verstoß gegen die Menschenrechte
Ein weiterer Kritikpunkt ist das Thema Rüstung. Ein TK-Tochterunternehmen baut derzeit zwei Fregatten für Algerien und U-Boote für Singapur. Beide Abnehmerstaaten werden wegen Verstoßes gegen die Menschenrechte kritisiert. „Die Konzernführung sollte das aktuelle Nein der Bundesregierung zu Rüstungsgeschäften mit Saudi-Arabien zum Anlass nehmen, ihre Exporte in diese Region komplett zu beenden“, fordert Barbara Happe von der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald.
Auch in Deutschland hat der Konzern Probleme mit einem Großprojekt. In der württembergischen Stadt Rottweil laufen Bürger Sturm gegen den Bau eines 246 Meter hohen Testturms für Aufzüge – er verschandele das historische Stadtbild.
Die Aktionäre plädieren indes auf der Hauptversammlung für eine wirtschaftliche Kehrtwende des Konzerns, der weltweit 160.000 Beschäftigte hat. „Stellen sie den Konzern wieder auf starke Beine und krempeln Sie ihn grundlegend um“, forderte der Portfolio-Manager von Union Investment, Ingo Speich Vorstandschef Heinrich Hiesinger auf. ThyssenKrupp sei „ein Koloss auf tönernen Füßen, der immer noch ausgezehrt ist von den Managementfehlern der Vergangenheit“, so die Kritik. Das Unternehmen habe zwar Fortschritte gemacht, verdiene aber noch zu wenig, gestand Vorstandschef Heinrich Hiesinger. „Wir sind also noch nicht über den Berg.“
Hiesinger bekräftigte in Bochum die Prognose, wonach der Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) im laufenden Geschäftsjahr (bis Ende September) auf mindestens 1,5 Milliarden Euro von 1,3 Milliarden klettern und ein deutlicher Überschuss erzielt werden soll. "Das reicht noch nicht", betonte er. In den kommenden Jahren solle der Wert auf mindestens zwei Milliarden Euro klettern.
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