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Proteste gegen TTIPDie Angst vor der Volksentmachtung

VW-Skandal und Facebook-Urteil zeigen, dass auch die großen Player Gesetze achten müssen. Doch was passiert, wenn TTIP in Kraft treten sollte?

Ein Kritikpunkt ist die fehlende Transparenz der TTIP-Verhandlungen Foto: reuters

Berlin taz | Freihandelsabkommen sind ein komplexes, sperriges Thema, tausende Seiten dick und deshalb selten so klar sortiert wie am kommenden Wochenende, wenn mehr als 50.000 TTIP-Gegner in Berlin demonstrieren wollen. Denn was die Frage von Gegner oder Befürwortern angeht, sind die Lager klar getrennt.

Auf der einen Seite Gewerkschaften, Zivilgesellschaft, Umweltverbände, die TTIP rundherum ablehnen, jenes Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, das in der kommenden Woche in die zehnte Verhandlungsrunde geht.

Auch Ceta lehnen sie ab, dahinter verbirgt sich ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, dass bereits steht und nächstes Jahr ratifiziert werden soll. Hinzu kommt Tisa, ein Abkommen, mit dem weltweit die Märkte für Dienstleistungen geöffnet werden sollen, etwa im Bildungsbereich.

Die Demonstranten fürchten dadurch übermächtige Großkonzerne, die Umwelt- und Arbeitsrechte umgehen. „TTIP schleift den Arbeitsschutz“, sagt etwa der IG-BAU-Vorsitzende Robert Feiger. „Bildung ist keine Ware, sondern ein Menschenrecht“, sagt Marlis Tepe, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

Kampagne für TTIP

Auf der anderen Seite stehen die großen Industrieverbände wie der Verband der Deutschen Automobilindustrie oder der Industrieverband BDI, die Arbeitsplätze versprechen. Der BDI lässt in Bahnhöfen Plakate kleben, auf denen nachdenkliche Menschen zu sehen sind, die TTIP toll finden. Für Freihandelsfans gibt es Buttons und Aufkleber zum Download.

Was TTIP-Gegnern in den letzten Wochen Hoffnung verschafft, sind zwei Ereignisse, die auf den ersten Blick nichts mit dem Thema zu tun haben: der VW-Skandal und ein weitreichendes Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH). Es erklärt das wichtigste Abkommen für die Übertragung von persönlichen Daten in den USA für ungültig. Denn dort achteten Behörden die Privatsphäre nicht.

Auch im Rahmen von Tisa und TTIP wird über elektronischen Handel und damit über Datentransfers verhandelt. Die EU-Kommission hat eine etwas zwiespältige Position: Auf der einen Seite verspricht sie, dass dabei europäischer Datenschutz nicht verletzt werden soll – was wenig glaubwürdig klingt, angesichts der Tatsache, dass genau das laut EuGH eben 15 Jahre lang geschehen ist –, ohne dass es Brüssel gestört hätte.

Unterschiedliche Standard

Auf der anderen Seite will die EU den Datenaustausch mit den USA vereinfachen. Beides scheint schwer vereinbar, weshalb TTIP-kritische Organisationen wie European Digital Rights nun hoffen, dass die Kommission das Thema Datenschutz auch wirklich aus TTIP ausklammert – und das Abkommen nicht nutzt, um die Schutzrechte durch die Hintertür aufzuweichen. Die Organsiation Powershift sieht in dem EuGH-Urteil sogar ein Zeichen, dass ein Freihandelsabkommen generell nicht funktionieren kann, weil die Standards in den USA und der EU nicht nur im Datenschutz zu unterschiedlich sind.

Ähnlich argumentiert Transport & Environment (T&E), eine Art Dachverband alternativer Verkehrsverbände in Europa, wenn es um die Interpretation des VW-Skandals geht. Könnten amerikanische Behörden in einer Freihandelszone ähnlich hart gegen einen Automobilkonzern vorgehen? Die Antwort ist simpel: natürlich.

Das liegt daran, dass Umwelt- und Emissionsstandards von Automobilen, bisher zumindest, nicht Teil von TTIP sind. Lediglich Standards bei der Sicherheit, wie die Farbe von Blinkern, sollen angeglichen werden. Aber: „Was der VW-Skandal zeigt ist, wie weit wir von jeglicher gemeinsamen Anerkennung von Standards entfernt sind“, schreibt T&E.

Abseits von solchen detaillierten Fragen geht es den Demonstranten, die gegen TTIP durch Berlin ziehen, ums Ganze: Warum sollen Verträge abgeschlossen werden, die transnationale Konzerne noch mächtiger machen? Warum soll es Sondergerichte geben, in denen Unternehmen, nicht aber Menschen, ihre Rechte international einklagen können? Die Welt ist überzogen von diversen Freihandelszonen. Und es sollen immer mehr dazukommen.

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20 Kommentare

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  • TTIP sollt im Kontext mit der Rolle Chinas im Welthandel diskutiert werden.

    • @Gabriel Renoir:

      Was sollte TTIP daran verbessern können?

      • @Rainer B.:

        Es geht um Standards. Gucken Sie sich die Luftverschmutzung in Chinas Städte an. Entsprechend sind auch die anderen Standards.

        • @Gabriel Renoir:

          Wenn es tatsächlich nur um Standards geht, warum wird denn dann geheim verhandelt?

          • @Rainer B.:

            Wenn ich einen Hauskauf verhandele, mach ich das auch nicht auf dem Marktplatz in der Öffentlichkeit

            • @Gabriel Renoir:

              Bei Standards, um die es sich ja ihrer Meinung nach hier drehen soll, geht es aber eben nicht um schützenswerte Details einzelner Käufe, sondern um allen zugängliche, verbindliche Vergleichskriterien, die schon vor einem Verkauf feststehen.

              • @Rainer B.:

                Ich werde nicht das Gutachten meines Architekten dem Gegner zur Verfuegung stellen (um beim Beispiel des Hauskaufs zu bleiben). Ausserdem sind die meisten TTIP-Dokumente frei im Netz verfuegbar.

                • @Gabriel Renoir:

                  Wie kommen Sie eigentlich darauf, dass hier ein Abkommen zwischen Gegnern (welche denn überhaupt?) geschlossen wird? Im Netz sind gewöhnlich immer viele Dokumente frei verfügbar, aber nur sehr wenige davon sind auch wirklich relevant.

              • @Rainer B.:

                Im uebrigen sind massenhaft Unterlagen von der EU-Kommission ins Internet gestellt worden. Nur liest es keiner. Abegordnete oder Regierungsangehoerige konnen alles bis ins Detail lesen. Das wuerde ich nicht als geheim einstufen. Beispiel: Wenn ich den Preis eines Hauskaufs verhandele, werde ich der Gegenseite nicht das Gutachten meines Architekten zur Verfuegung stellen. D h gewisse kleinere Infromationsinhalte, um die gerade gerungen werden, sind nur fuer Regirungsangehoerige publik. Ist wohl normal. Uebrigens war frueher die US-Agrarlobby gegen TTIP.

                • @Gabriel Renoir:

                  Nach wie vor ist völlig unklar, worin die Notwendigkeit von TTIP für wessen Interessen überhaupt begründet und legitimiert sein sollte. Wer da mit welchem Mandat wann und wo und warum verhandelt ist unbekannt. Das, worüber da verhandelt wird, ist auch erst seit Anfang diesen Jahres (!) und nur als Reaktion auf überwiegend kritische Sicht auf dieses Abkommen in ausgewählten Auszügen bekannt geworden. Am Ende werden den Parlamenten mehrere Tausend Seiten zur Abstimmung vorgelegt, die - da gebe ich Ihnen völlig recht - dann kaum ein Abgeordneter mehr lesen wird, oder noch lesen kann. Das alles ist doch nur Teil systematischer Intransparenz, mit der ein demokratisch legitimes rechtsstaatliches Prozedere ersetzt und verhindert werden soll.

                  http://www.rp-online.de/politik/eu/ttip-erste-originaldokumente-sind-oeffentlich-einsehbar-aid-1.4781738

  • Kein Mensch braucht hier TTIP. Der freie Handel funktioniert seit Jahr und Tag auch ohne ein solches Machwerk ganz hervorragend - insbesondere auch der Handel mit Amerika und Kanada.

    • @Rainer B.:

      Schon mal ein Auto aus den USA importiert? Ein Alptraum. Und jetzt hat man sogar festgestellt, dass die USA bei den Abgasstandards genauer hinschauen.

      • @Gabriel Renoir:

        Wenn Sie auf VW anspielen, die haben in den USA seit vielen Jahren eine weitgehend vom deutschen Mutterkonzern unabhängige Produktion. Da prüft doch kein deutscher TÜV und lässt kein deutsches Bundeskraftfahrtsamt zu und trotzdem gingen die Manipulationen da bislang genauso locker durch.

  • Auf nach Berlin!

  • Gute Übersicht, danke! Gute Übersicht vor allem auch der Probleme. Probleme, die auf die alte, veraltete, Art des obrigkeitlichen Herrschens zurückzuführen sind.

    So wird – auch hier – wie unschwer zu sehen, dem Thema "Freihandel" "einiges" angehängt. In der Annahme, dass es schon läuft, selbstläuft – wie bisher.

    Ginge es – z.B. hier – um wahren Freihandel, allen Menschen der Welt offen, würden die Menschen kaum protestieren. Sie könnten ja den, wahren, Fortschritt, also einen weiteren Teil davon, geniessen.

     

    Gut ist, sehr gut, dass – inzwischen, seit den alten Zeiten – die Menschen weiter sind als diese Art von "Politik". Nun geht es darum, wie sich diese neue Politik – gemeinsames gemeinsam gestalten – durchsetzt.

    Ein weiteres Thema – wo bleibt die Verantwortung? Bei den Gewählten? Bei den Menschen? In der alten "Politik" bleibt sie ja eindeutig bei den letzteren.

    Wie weiter?

    Auf dem Weg von all den Protesten zur Beteiligung? Zur echten, wahren Beteiligung?

     

    Anläufe, erste Schritte dazu:

    – z.Z. in Arbeit, Diskussion: http://citizens-convention.eu

    – z.Z. in Einführung, Entwicklung: http://citizens-initiative.eu http://mitenscheiden.de ... http://mehr-demokratie.de

    – zur Zeit, vorläufig noch, am weitesten:

    Demokratie... http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D9926.php

    ...gemeinsam http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D17367.php

  • Angst vor der Volksentmachtung?Wie süß!Also Leute ehrlich,der Zug ist aber schon sowas von lange abgefahren.

    • @Markus Müller:

      Es geht um die Konkurrenz mit China.

  • Ich hoffe wirklich sehr, dass das am Samstag groß wird.. Dass SPD und CDU die Frechheit besitzen, von einer Chance für die Menschen zu sprechen macht mich fassungslos. Die SPD hat offensichtlich das S, die CDU das C in ihren Bezeichnungen nicht verdient..

  • Seltsame Frage, das! Warum wohl "sollen Verträge abgeschlossen werden, die transnationale Konzerne noch mächtiger machen?" Warum wohl "soll es Sondergerichte geben, in denen Unternehmen, nicht aber Menschen, ihre Rechte international einklagen können?" Ganz einfach: Weil die Führer der Konzerne und Unternehmen überzeugt sind, dass sie davon einen (ziemlich großen) Nutzen haben werden.

     

    Es stimmt ja auch: "Die Welt ist überzogen von diversen Freihandelszonen" mittlerweile. Und weil diese Freihandelszonen die Unternehmensgewinne in ungeahnte Höhen getrieben haben, hohe Gewinneaber große Macht und großen Einfluss bedeuten, können manche Leute nie genug davon bekommen. Was andere Leute wollen, ist diesen Egomanen vollkommen egal. Wer sich nicht, so wie sie, alleine um sich kümmert, der hat halt Pech gehabt, behaupten sie. Wird Zeit, dass ihnen mal das Gegenteil bewiesen wird.

    • @mowgli:

      Es geht hier um die Exporte und Importe der klein- und mittelständischen Industrie, die sich nicht mit 1000 Standards auseinandersetzen kann, sondern eine Vereinheitlichung benötigen. Viele Märkte in der EU und den USA sind komplett getrennt. Die andere Zielrichtung ist, der Aufweichung der Standards durch die größte Volkswirtschaft der Welt (nach Kaufkraftparität), etwas entgegenzusetzen.