Dienstleistungsabkommen TiSa: Abschied vom Datenschutz
Kaum einer kennt das Dienstleistungsabkommen TiSA. Dabei könnte der Vertrag zwischen 51 Staaten den Schutz von Daten beeinträchtigen.
Kurz vor den letzten Verhandlungsrunden für das Dienstleistungsabkommen TiSA stellen die Organisationen Papiere der Unterhändler ins Netz. Um den Handel zu stärken, wird der Datenschutz, die Privatssphäre der Bürger geopfert, befürchten die Aktivisten. Daten wären vogelfrei.
Ein Beispiel: Über den Messengerdienst Whatsapp will Facebook mehr über die Nutzer herausfinden. Mobilfunknummern, aber auch Standortinformationen sollen ausgetauscht werden. Dadurch verspricht sich Mark Zuckerbergs Konzern passgenaue Werbung und Angebote für die Verbraucher. Das wiederum ist für Firmen interessant, die über Facebook ihre Produkte bekannt machen wollen.
Der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar geht derzeit gegen diese Praxis vor und hat einen Stopp des Datenaustausches erreicht. Mit TiSA wäre ein solcher Erfolg wohl nicht mehr möglich. Denn: Das Abkommen sieht zwar vor, dass die unabhängigen Datenschutzbehörden in Europa eigene Schutzregelungen aufstellen dürfen. Aber die Vorgaben dürfen nicht zum „Handelshemmnis“ werden.
Opfer auf dem Altar des Welthandels
„Datenschutz ist ein Grund- und Menschenrecht“, sagt Alexander Dix, stellvertretender Vorsitzender der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz. „Dieser europäische Grundrechtsstandard wird auf dem Altar des freien Welthandels geopfert.“ Er glaubt, dass die Befugnisse der Datenschutzbehörden ausgehebelt werden. Stattdessen entscheidet ein internationales Gremium, ein Schiedsgericht, über die Fälle.
Auch die Bundesbeauftragte für Datenschutz, Andrea Voßhoff (CDU), ist alarmiert. „Das Grundrecht auf Datenschutz darf nicht verhandelbar sein“, teilt Deutschlands oberste Datenschützerin mit. „Politik und Wirtschaft sollten den Datenschutz zum Qualitätsmerkmal entwickeln und nicht als Handelshemmnis abstempeln.“
Die Dokumente beinhalten weitere brisante Details. Für Markus Beckedahl, Gründer von netzpolitik.org, könnten sich mit TiSA bei etlichen Softwareanwendungen Sicherheitslücken auftun. Besonders angreifbar ist die kritische Infrastruktur, das sind etwa Kliniken, Atomkraftwerke, Wasserversorger. Künftig sollen die Staaten nicht mehr das Recht haben, den Quellcode einer Software, das heißt die DNA einer Anwendung, zu erhalten. „Das ist ein großes Sicherheitsrisiko“, sagt Beckedahl. „Die Staaten kaufen die Katze im Sack.“ Denn: Es gibt keine Möglichkeit nachzuvollziehen, wie die Software-Infrastruktur funktioniert – und damit auch keine Garantie dafür, dass die Anwendung sicher ist. Die Gefahr der Fremdkontrolle ist groß.
Die Ergebnisse sind geheim
Während das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) und TTIP, das Gegenstück dazu mit den USA, in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werden, ist über TiSA wenig bekannt. 51 Staaten verhandeln derzeit über das Abkommen. Die EU-Länder sind dabei, die USA, aber auch Australien, Chile, Taiwan, Hongkong, Japan, Pakistan, die Schweiz oder die Türkei sitzen mit am Tisch. Schätzungsweise 70 Prozent des weltweiten Handels mit Dienstleistungen wickeln diese Länder ab. Ziel ist es Regelungen zur Lizenzierung, für Finanzdienstleistungen, für den elektronischen Handel oder Kommunikationsdienste zu verbessern und zu vereinfachen. Die Ergebnisse der Verhandlungen sind geheim – wie bei CETA und TTIP.
Die Schweigeklausel gilt nicht nur solange beraten wird, sondern auch bis fünf Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens – oder bis fünf Jahre nach einem Scheitern der Gespräche. Dieser Passus macht Datenschützer Dix schlichtweg fassungslos. Der Bundestag könne ein solches Abkommen nicht ratifizieren, wenn es geheimgehalten werden soll. Kommt Tisa in der bisher ausgehandelten Form, könnte das Abkommen sogar gegen das Grundgesetz verstoßen. Auch das hält Dix für möglich. Damit wäre der Vertrag nicht zustimmungsfähig.
Konstantin von Notz, Netzexperte der Grünen, hält die derzeitigen Vereinbarungen für „gestrig und grundfalsch“. „Hohe Standards für alle – das würde Handelsabkommen nicht hemmen, sondern vielmehr legitimieren“, erklärt der Grünen-Politiker. Gerade im Internet, wo Nutzer viele Dienste mit ihren persönlichen Daten statt mit Geld bezahlen, müssten Grenzen der Datenweitergabe möglich sein.
Greenpeace hat bereits vor einigen Wochen TiSA-Dokumente veröffentlicht. Dieses Mal kamen die Unterlagen aus den Niederlanden. „Wir sind nicht generell gegen Handelsabkommen“, sagt Jürgen Knirsch von Greenpeace. „Aber wir sind gegen Abkommen, die nicht transparent verhandelt werden, gegen die Absenkung von Standards und dass die Parlamente nicht einbezogen werden.“
Im Wahlkampf hat der designierte US-Präsident Donald Trump mehrfach angekündigt, sämtliche Handelsabkommen zu stoppen. TiSA dürfte trotzdem nicht Geschichte sein. „Vor allem US-Unternehmen haben einen großen Vorteil durch TiSA“, sagt Beckedahl. Eigentlich sollte die letzte Verhandlungsrunde bereits in wenigen Tagen stattfinden. Der Termin wurde zwar abgesagt, aber ein Treffen der Unterhändler ist längst für den Dezember vereinbart. TiSA ist also noch lange nicht vom Tisch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins