piwik no script img

Proteste gegen Nawalnys VerhaftungDer Staat ist nervös

Kommentar von Inna Hartwich

Selbst aus der Haft heraus mobilisiert Alexei Nawalny Zehntausende zum Protest. Eine Gefahr für den Kreml, zumal in diesem Wahljahr.

Ein klares Signal an das System Putin Foto: Mikhail Tereshenko/ dpa

D er Staat hatte sich gewappnet. Hatte eine Drohkulisse aufgebaut, tagelang, damit all die An­hän­ge­r*in­nen und Un­ter­s­tüt­ze­r*in­nen von Alexei Nawalny, dem Vergifteten, Genesenen, nach Russland Zurückgekehrten und sofort Inhaftierten, gar nicht erst auf die Idee kommen, auf die Straßen quer durchs Land zu gehen und ihren Unmut über die Verhaftung Nawalnys kundzutun. Oder gar ein Leben in Freiheit zu fordern, in einem Staat, in dem das Recht herrscht und nicht die Kreml-Auslegung dieses Rechts.

Schnell und schmerzhaft sollte es zugehen bei den Samstagsprotesten in Russland. So ließen sich die Warnungen des Apparats lesen. Die Unzufriedenen aber zeigten Ausdauer – und setzten ein Zeichen, ein kleines zwar, aber ein starkes. Sie überrumpelten das Regime, in dem die wenigsten verstehen, worum es den Protestierenden überhaupt geht. Selbst in kleineren Orten, auch in Sibirien, am Ural, an der Grenze zu China und an der Grenze zu Europa zogen die Menschen durch die Straßen. „Ich habe keine Angst“, hatte Nawalny vor seiner Festnahme gesagt. „Ich habe keine Angst“, hieß es auch auf zahlreichen Plakaten bei den Protestaktionen.

Freilich kamen selbst in Millionenstädten wie Moskau oder Sankt Petersburg keine Millionen Menschen zusammen. Es gehört viel dazu, sich dem Schlagstock des OMON entgegenzustellen. Die Proteste sind dennoch größer ausgefallen, als alle erwartet hatten, das Team um Nawalny genauso wie der Kreml. Es kamen Frauen und Männer, die das Risiko der Polizeigewalt bewusst auf sich nahmen, sich trauten, entlang der Bordsteine zu stehen und damit zu signalisieren: Ich bin da, und ich bin unzufrieden mit dem System Putin.

Selbst aus der Haft heraus kann Nawalny mobilisieren. Geradezu flächendeckend. Das ist eine Herausforderung für den Kreml, der gern „Provokateure“ am Werk sieht und sich gelassen zu geben versucht. Die brutale Gewalt der Spezialpolizisten zeigt das Gegenteil: Der Staat ist nervös. Und wird kaum eine andere Antwort wissen, als noch repressiver gegen diejenigen vorzugehen, die es wagen, aus der Stille herauszutreten. Zumal in diesem Herbst gewählt wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Unter Putin wird den Russen die Freiheit wieder abgewöhnt, die Verfassung mit Füßen getreten, die Opposition mundtot gemacht. Wer das mag, mag Putin. Wer darin keine Zukunft sieht geht demonstrieren.



    Ein Volk, das keine Angst mehr hat, macht denen die da herrschen Angst. Und das ist gut so.