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Proteste gegen Mursi in Ägypten„Mehr Vertrauen in die Araber“

Die Menschen in der arabischen Welt wollen nicht, dass Religion ihre Länder regiert. Das sagt Rami G. Khoury, der Ex-Chefredakteur der „Jordan Times".

Die Ägypter protestieren wieder, diesmal gegen die Politik des neuen Präsidenten Mursi. Bild: reuters
Jannis Hagmann
Interview von Jannis Hagmann

taz: Herr Khoury, an Ihrer Bürotür klebt ein Schild mit der Aufschrift „Ich liebe Ägypten“. Ist es nicht traurig, dass die Ägypter wieder auf die Straße gehen, diesmal weil sich Präsident Mohammed Mursi nahezu unbegrenzte Macht verliehen hat?

Rami G. Khoury: Was Mursi gemacht hat, ist inakzeptabel. Aber ich bin mir nicht sicher, ob er ein weiterer Mubarak ist oder ob er mit seinen Dekreten tatsächlich nur die Revolution verteidigen will. Die Frage bleibt: Bekennen sich die Muslimbrüder zu einem demokratischen Wandel, oder sind sie, wie manche vermuten, Lügner, die durch demokratische Wahlen nur an die Macht kommen wollten? Ich persönlich glaube nicht an diese zweite Analyse. Noch sehe ich keinen Beweis dafür, dass Mursi die Macht permanent an sich reißen will.

Das klingt optimistisch.

Ich glaube, die Muslimbrüder wissen, dass sie ihre derzeitige Macht dem demokratischen Prozess verdanken, der durch die Bürgerrevolution in Gang gesetzt worden ist. Diese Kräfte werden Widerstand leisten. Das ist das, was derzeit passiert. Die Menschen, nicht nur viele Tausende auf dem Tahrirplatz, widersetzen sich Mursis Dekreten. Dagegen können sich die Muslimbrüder auf Dauer nicht stellen. Dennoch ist es eine heikle Situation, sowohl für die Stabilität des Landes als auch für die Glaubwürdigkeit des Wandels. Einige Leute werden sagen: „Wenn das Demokratie ist, dann bringt uns lieber die Militärherrschaft wieder.“ Es gibt zu viel Chaos und Unsicherheit im alltäglichen Leben.

Chaos im Inneren, aber außenpolitisch hat Mursi Erstaunliches erreicht. Zuletzt vermittelte er den Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen. Wie hat er das geschafft?

Ägypten hat sich von seiner früheren Rolle verabschiedet, in der es größtenteils ein Hindernis für den Fortschritt in Palästina war. Zudem haben sich die USA von ihrer Monopolstellung bei der Vermittlung zwischen Israelis und Palästinensern zurückgezogen. Zwanzig Jahre lang waren sie die einzigen Vermittler und haben versagt, jämmerlich versagt. Jetzt sind andere eingesprungen. Regionale Akteure wie Katar und die Türkei spielen eine wichtigere Rolle als früher. Diese Dinge kamen in der vergangenen Woche zusammen, Ägypten konnte die Führungsrolle übernehmen.

RAMI G. KHOURY

leitet das Issam-Fares-Institut für Politik und Internationale Beziehungen der Amerikanischen Universität in Beirut. Er war Chefredakteur der libanesischen Tageszeitung Daily Star und der Jordan Times.

Ägypten als neuer Vermittler in Nahen Osten und die Palästinenser mit einem aufgewerteten Status bei den Vereinten Nationen. Kommt Bewegung in den israelisch-palästinensischen Konflikt?

Wir müssen uns allgemein fragen, was die Folgen der arabischen Aufstände für Israel sein werden. Wenn die arabischen Staaten demokratischer werden und ihre Außenpolitik die Meinung der Bevölkerung widerspiegelt, werden sie Israel gegenüber stärkeren Druck ausüben. Das wissen die Israelis. Gleichzeitig verfügen die Hamas und die Hisbollah im Libanon über immer mehr Möglichkeiten, Israel zu bekämpfen. Es kann sein, dass die Israelis realistischer werden, dass sie sagen: „Okay, wir arrangieren uns lieber mit der Situation und gehen auf die arabische Friedensinitiative ein, die den Rückzug aus den besetzen Gebieten beinhaltet.“ Das wird sicher nicht schon dieses Jahr passieren, aber wir sollten die Möglichkeit im Auge behalten.

Und der neue Status der Palästinenser als „Beobachterstaat“ bei den UN …?

… spielt keine große Rolle. Ein paar rechtliche Folgen könnte er haben, wenn ihn die Palästinenser nutzen, um mehr Druck auf Israel auszuüben – indem sie etwa vor den Internationalen Gerichtshof ziehen. Das Problem ist aber, dass die Initiative ein Alleingang Abu Masens (Mahmud Abbas, Anm. d. Red.) war. Das reduziert die Bedeutung der Aufwertung. Abu Masen hätte alle Palästinenser einbeziehen müssen, sich mit der Hamas versöhnen und eine neue PLO mit neuer Legitimation aufbauen sollen. Das hätte ihm eine tatsächlich machtvolle Position bei den Vereinten Nationen eingebracht.

Sie kommen gerade von einem längeren Aufenthalt in den USA zurück. Philadelphia, New York und Boston sind Geburtsorte der amerikanischen Demokratie. Bringen Sie neue Erfahrungen für die Umbrüche in den arabischen Ländern mit?

Ich habe in den USA viel über Verfassungsgebung und Demokratisierung geforscht. Vor allem habe ich gelernt, dass es Zeit braucht, ein stabiles Verfassungssystem zu entwickeln. Auch in den westlichen Ländern ist das nicht über Nacht passiert. In England, Frankreich oder den USA hat es nach der Unabhängigkeit noch 200 Jahre gedauert, bis ein wirklich gerechtes demokratisches System etabliert war. Ich glaube nicht, dass wir hier 200 Jahre brauchen werden, aber sicherlich mehr als zwei.

Wir können uns also zurücklehnen und entspannt auf die Stabilisierung der arabischen Demokratien warten?

Ich denke ja. Der derzeitige Pessimismus ist ein Ausdruck von Ungeduld. In Amerika haben mich alle gefragt: „Was sollen wir tun?“ Ich habe ihnen gesagt: „Entspannt euch und schaut, wie sich die Sache entwickelt.“ Die Leute brauchen mehr Vertrauen in die Vernunft der gewöhnlichen Ägypter, Tunesier und anderer Araber. Natürlich werden sie viele ihrer Gefühle mit dem Islam ausdrücken. Es gibt keine ausgeprägte nationale Identität. Das Einzige, dem sich die Leute zuwenden können, ist die Stammeszugehörigkeit oder die religiöse Identität. Aber das sind kurzfristige Phänomene. Die Menschen wollen keine religiösen Staaten.

Aber sie wählen dennoch die Islamisten. Warum sind Sie sich so sicher?

Es gibt viele Umfragen, die zeigen, dass die Menschen in der arabischen Welt zwar religiös sind. Aber sie wollen nicht, dass die Religiösen ihre Länder regieren wie im Iran oder in Saudi-Arabien. Ich habe die letzten 45 Jahre damit verbracht, durch die arabische Welt zu reisen und mit den Menschen zu sprechen. Sie sind keine Fanatiker. Genau das sieht man jetzt am Widerstand gegen Mursi in Ägypten. Man sollte keine zu frühen Urteile fällen.

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10 Kommentare

 / 
  • M
    mehrdad

    ich habe kein vertrauen in religiös faschistische gesellschaften, in denen 90% für die ermordung von islamaustreter und 84% für steinigung nach ehebruch sind (ägypten).

    eigentlich sollte niemand mehr dort urlaub machen dürfen und mit seinen euros die sharia finanzieren.

  • D
    D.J.

    @Wolfgang.

     

    na, dann machen Sie doch mal den Test, in einer Religionsdiktatur auch nur privat selbsbestimmt leben zu wollen (von anderem nicht zu reden). Gesabbel.

  • SD
    Stimme der Demokratie

    Mit Verlaub, eine etwas krude Logik, dass die Menschen zwar (eigentlich) Islamisten wählen aber (uneigentlich?) nicht von Religiösen regiert werden wollen.

    (Oder darf man "krude" nur bei Sarrazin benutzen?)

    Hauptsache, dass die Menschen im Westen weiter träumen können.

  • W
    Wolfgang

    Spätfeudale "Religion" oder spätbürgerliche Diktatur (analog "Demokratie")?

     

    "Die Menschen wollen nicht ..." = Mehrheit oder Minderheit?

     

    Ist es den "Demokratie": wenn in Deutschland Vermögenslose (die Mehrheit der real-wertschöpfenden Bevölkerung) schlechter gestellt werden als Vermögende?

     

    Ist es den "Demokratie": wenn Kinder aus vermögenden Familien (einschließlich Erbschafts-Familien etc.) bessere Entwicklungs-, Lebens- und Bildungsbedingungen erhalten, als Kinder aus armen Familien?

     

    Wodurch unterscheidet sich den die "Demokratie": der Wirtschaftsbosse, der Familien-Großerben, der bürgerlichen Spitzen-Partei-Wirtschafts-Regierungs-Funktionäre, der Vorstandsvorsitzenden und Großaktionäre, der Privateigentümer an gesellschaftlichen Produktionsmitteln, der Erbschafts- und Vermögensaktionäre, der gutbezahlten Spitzen-Beamten, Regierungs- und Parlamentsmitglieder, von einer Religions-"Diktatur" (- nur in der psychologisch-medialen Massen-Manipulations-Technik) ?

     

    Es gibt in Deutschland und EU-Europa, - in deren Gemeinschafts-"Demokratie" -, keine soziale und politische Gleichheit für die (Persönlichkeits-)Entwicklung der eigentumslosen Bevölkerungsmehrheiten.

     

    Bürgerliches Gesetzes-Papier macht keine Demokratie (Herrschaft der eigentumslosen Mehrheit im Interesse der Entwicklung der Gesamtgesellschaft)!

     

    Aufwachen, deutscher Michel, ob nun mit feudal-spätbürgerlicher "Religion" und/oder spätbürgerlicher "Demokratie".

     

    Trotz alledem!

  • JM
    J. Murat

    Muss ich es wieder mal den Neudemokratem erklären:

    Demokratie ist nicht immer das, was die Mehrheit will!

    Habt Ihr dass denn immer noch nicht kapiert?

     

    Dann allerdings ist Euch wirklich nicht zu helfen.

  • B
    betdürftich

    was mich mal interessieren würde ist, was eigentlich mit dem kairoer fussballclub ist der die aufstände dort wohl maassgeblich mit getragen hat und danach im eigenen stadion ,unter der aufsicht von ordnungskräften ,teilweisse ermordet worden .stehn die nun immernoch, als wie von ihnen genannte säkulare auf dem tahir platz -achso und auf welches amerikaniche institut ,gehen noch mal herrn mursis kinder

  • D
    D.J.

    Ich denke nicht, dass wir es sofort mit einer vollständigen Scharia zu tun haben werden. Die Schrauben werden langsam angezogen werden. Aber dennoch befürchte ich, dass am Ende die Theokratie steht mit den Dingen, die die Scharia eben so vorschreibt: Männer dürfen sich jederzeit scheiden lassen, Frauen nur mit triftigen Gründen; die Aussage einer Frau vor Gericht zählt nur die Hälfte; die eines Christen gegen einen Muslim überhaupt nicht; Atheisten haben kein Existenzrecht etc. pp. Nun gut, manche Vorschriften des traditionellen islamischen Rechts dürften sich zum Bedauern zumindest der Salafisten kaum durchsetzen lassen (Erlaubtheit von Geschlechtsverkehr mit eigenen Sklavinnen z.B.; Verbot, mit nichtislamischen Staaten länger als 10 Jahre Waffenstillstände zu schließen usw.).

    Natürlich wird Ägypten noch weit mehr verarmen, irgendwann werden die USA möglicherweise kein billiges Getreide mehr liefern. Der Irrsinn wird viele Opfer kosten. Aber in Europa hatten die Opfer religiösen Wahns (Religionskriege) zumindest den Effekt, dass die Aufklärung eine Chance hatte. Vielleicht auch in Ägypten - irgendwann. Und ich hoffe mit weniger Opfern als im frühneuzeitlichen Europa.

    P.S.: wenn gewünscht, liefere ich die Quellenbelege der oben angeführten Punkte des islamischen Rechts (sprich der 4 sunnitisch-orthodoxen Rechtsschulen) gerne nach.

  • I
    iwern

    .“ Die Leute brauchen mehr Vertrauen in die Vernunft der gewöhnlichen Ägypter, Tunesier und anderer Araber" An der Vernunft der Leute insgesamt und im allgemeinen hat nie jemand gezweifelt, auch an der Vernunft der Iraner nicht und doch kam es dort genau so, die Revolution hat das Volk bzw andere polit. Kräfte geführt, die Macht übernommen haben dann die Mullahs - natürlich unter vielen Versprechungen, gar der Behauptung, dass sie gar nicht an der Macht interessiert seien. Wenn in 2 Jahren die ersten Säuberungen unter Oppositionellen beginnen werden wir weitersehen. Grundsätzlich bin ich auch optimistisch, doch nach diesem Verfassungsentwurf, muss man schon sehr viel Optimismus mitbringen. Auf lange Sicht kann man sicher optimistisch sein, in 200 Jahren haben sie es dann geschafft, dank der Schritte, die jetzt unternommen wurden. Muss ich hier noch Emotikons setzen?

  • C
    Ceres

    Was sollen wir denn auch anders machen als den Kopf zurücklehnen und zuschauen? Das Land "Demokratisieren"? Mit welcher Begründung?

     

    Tatsache ist aber, auch wenn der Ex-Chefredakteur das anders sieht, dass Verhältnis von Religion und Staat ist in diesem Teil der Welt mitnichten mit westlichen (aufgeklärten) Standarts zu vergleichen.

    Von daher steht ein gläubiger Muslim vor der Wahl zwischen einem gläubigen Muslimbruder und liberaleren Politikern.

     

    Die Frage ist nun ob Ägypten sich bei der Wahl zwischen Religion und Freiheit wirklich für letzteres Entscheiden kann. Ich bin da ja skeptisch.

  • KF
    karl friedrich

    Wen repräsentieren denn die paar Randalierer in Kairo?

    Nebenbei: der "aegyptische Frühling" ging maßgeblich von der "Amerikanischen Universität" aus...

    Die Masse der Aegypter will ihren geliebten Koran und es vermehrt sich sicher nicht die Gruppe der Feministen und Facebook-Freaks so sehr wie von manchen Kreisen gewünscht.

    http://en.wikipedia.org/wiki/File:Egypt_demography.png