Proteste gegen LNG-Gipfel in Berlin: Partycrasher am Luxushotel
Klimaaktivisten stören ein Treffen der Gasindustrie im Luxushotel Adlon. Ende Gelände wird gestoppt, doch die Letzte Generation blockiert Eingänge.
Die Proteste richteten sich gegen den „World LNG Summit“, ein Lobbytreffen der fossilen Gasindustrie. Laut Angaben der Organisator:innen sind zum Flüssiggas-Gipfel insgesamt 750 Teilnehmer:innen aus 50 Ländern und 500 Unternehmen angemeldet, zu Ticketpreisen ab 4.000 Euro. Um das Treffen zu schützen, war die Polizei ab dem Morgen mit hunderten Beamt:innen vor Ort. Mehr als ein Dutzend Polizeiwagen riegelten den Weg zum Hotel ab.
Ab 7 Uhr trafen sich zum Blockadeversuch von Ende Gelände 150 Personen vor dem Gebäude des Lobbyverbandes „Zukunft Gas“, ausgestattet mit Partyhüten, um der „Gasindustrie die Greenwashing-Party zu vermiesen“. Die Polizei wartete bereits und begleitete den in Fünferreihen aufgestellten Demonstrationszug bis zu einer Zwischenkundgebung in Sichtweite des Hotels. Pressesprecherin Fran Leitner hatte zuvor angekündigt: „Ende Gelände geht an Orte der Zerstörung, aber auch an Orte, wo Entscheidungen über Zerstörungen getroffen werden“.
Während einer Rede eines Anti-LNG-Aktivsten aus Louisiana, der von Ausbauplänen für weitere zwei Dutzend LNG-Export-Terminals an der US-amerikanischen Ostküste berichtete, streiften die Demonstrationsteilnehmer:innen ihre typischen weißen Maleranzüge über. Plötzlich versuchten die ersten Reihen den Durchbruch durch die Polizeiketten in Richtung Adlon. Polizist:innen aber drängten sie zurück. Schließlich wurde die gesamte Gruppe eingekesselt, die Polizei nimmt 120 Menschen fest. Ein zweiter „Finger“ von Ende Gelände mit etwa 60 Personen wurde am Brandenburger Tor unter Einsatz von Pfefferspray gestoppt.
Erfolgreicher lief es dagegen für die Aktivist:innen der Letzten Generation hinter dem Hotel. Sie überwanden aufgestellte Gitter und gelangten vor mehrere Eingänge. In der Wilhelmstraße verteilten sie dabei großflächig grüne Farbe an einem Eingang. Zudem fuhren sie mit einem LKW vor die Tiefgarageneinfahrt. Mehrere Aktivst:innen postierten sich mit Transparenten auf dem Dach, eine weitere Person klebte sich am Hinterrad an.
Während die Polizist:innen Blockierer:innen vor den Eingängen auch durch teils rabiate Gewalt entfernten und dabei mehrere Menschen verletzten, dauerte die Bergung der LKW-Besetzer:innen bis zum Vormittag an – unter Schmerzensschreien der Festgeklebten, die ärztlich versorgt werden musste, noch bevor sie mitsamt des Reifens von dem Auto gelöst werden konnte. Obwohl die Aktivist:innen der Letzten Generation zu dem Zeitpunkt bereits in einen umgitterten Bereich abgedrängt worden waren, schritt die Polizei immer wieder ein, warf Menschen zu Boden und legte ihnen Handschellen an.
Sprecher Raphael Thelen zeigte sich dennoch zufrieden. Sie hätten alle Ziele erreicht. Ziel sei es, das Treffen zu stören, bei dem „dreckige Geschäfte“ abgewickelt würden: „Wir akzeptieren nicht, dass reiche Konzerne sich auf diese Art und Weise Macht und Einfluss erschleichen.“ Auch Ende Gelände prangerte das Demokratiedefizit des Gipfels an: „Von den Deals, die hier gemacht werden, profitieren nur Autokraten und Aktionäre.“
Die Flüssigerdgasindustrie ist im Aufwind, spätestens seitdem sich Europa von russischem Gas unabhängig machen will. In Deutschland wurde in den vergangenen Jahren im Eilverfahren eine entsprechende Import-Infrastruktur mit sechs Terminals an vier Häfen geschaffen.
LNG-Industrie im Aufwind
Die Bundesregierung verkauft LNG als „Übergangstechnologie“, obwohl Herstellung und Transport mehr Treibhausgase ausstoßen als das Verbrennen von Kohle. LNG wird häufig über Fracking gewonnen, also durch das Herauspressen des Gases aus dem Boden. Klimagruppen von der Deutschen Umwelthilfe über Fridays for Future bis Ende Gelände engagieren sich daher schon seit Jahren gegen den Ausbau der fossilen Infrastruktur.
Sie alle waren in den vergangenen beiden Tagen bereits Teil eines alternativen Gasgipfels in der Rosa-Luxemburg-Stiftung, an dem auch Betroffene und Expert:innen aus den Gas-Herkunftsländern wie den USA, Brasilien oder Mexiko teilnahmen. In diesem Rahmen fand am Montagabend eine Podiumsdiskussion statt, an der auch Wirtschafts- und Umweltschutz-Staatssekretär Stefan Wenzel teilnahm, der am Dienstag auch als Teilnehmer des LNG-Gipfels erwartet wurde.
Wenzel rechtfertigte den deutschen LNG-Ausbau. Dieser solle die „Abhängigkeit und Erpressbarkeit von Russland verhindern“. Kritiker wie Sascha Müller-Kraenner von der Deutschen Umwelthilfe sprachen dagegen von einer „riesigen Infrastruktur, die sich über 20, 30 Jahre rentieren muss“ und dem Ziel, bis 2045 klimaneutral zu sein, entgegenstehe.
Im Rahmen der Proteste gegen den Gipfel hatte Greenpeace am Vorabend den Spruch „Sauberes Gas ist eine dreckige Lüge“ an die Fassade des Adlon projiziert. Auch am Dienstagnachmittag sollen die Proteste weitergehen. Geplant ist eine Demonstration zum Gipfelort. Aufgerufen haben mehr als 40 Umweltverbände und Klimagerechtigkeitsgruppen.
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