Protestantischer Feiertag in Nordirland: Marschieren trotz Corona
In Nordirland finden traditionell große Oraniermärsche durch jede Stadt und jedes Dorf statt. Wegen Corona wurden Alternativpläne gemacht.

Der Tag wird gefeiert, als ob die Schlacht erst gestern stattgefunden habe, die Mitglieder des nach Wilhelm benannten Oranier-Ordens, der mehr als 3.000 Paraden jedes Jahr organisiert, marschieren – bekleidet mit Bowlerhüten, schwarzen Anzügen, weißen Handschuhen und orangenen Schärpen – durch jede Stadt und jedes Dorf. Es sind Triumphmärsche, mit denen die Protestanten ihre Überlegenheit demonstrieren wollen. Wo katholische und protestantische Viertel zusammenstoßen, kommt es jedes Jahr zu Ausschreitungen.
In diesem Jahr sind die Paraden wegen der Pandemie bereits im März abgesagt worden. Zumindest offiziell. Man ließ sich aber ein Hintertürchen offen. Die Führung des Ordens gab bekannt, dass man die Bands, die normalerweise die Paraden mit ihren riesigen Trommeln anführen, unterstütze, wenn sie in ihren eigenen Vierteln marschieren. Man werde die Coronarestriktionen beachten, hieß es – aber daran glaubt niemand.
Von den 550 Bands in Nordirland haben mehr als 100 die Genehmigung für eine Parade an diesem Wochenende beantragt. Das ist riskant, denn die Oranier, ein extrem antikatholischer Bund, sind überwiegend alte Männer, die in Coronazeiten besonders gefährdet sind. Die Bands wiesen trotzig darauf hin, dass Sinn Féin die Restriktionen ja ebenfalls missachtet habe – darunter auch Nordirlands stellvertretende Regierungschefin Michelle O’Neill.
Abstandsregel massenhaft missachtet
Die hatte, gemeinsam mit Sinn-Féin-Präsidentin Mary Lou McDonald und ihrem Vorgänger Gerry Adams, am Begräbnis von Bobby Storey, einem führenden Mitglied der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), teilgenommen. Dabei wurde die Abstandsregel massenhaft missachtet.
Storey war in den katholisch-republikanischen Vierteln Nordirlands eine Legende. Außerhalb dieser Kreise war er jedoch weniger bekannt, obwohl er als Direktor des IRA-Nachrichtendienstes an mehreren Rekorden auf den britischen Inseln beteiligt war. So galt er als Organisator des größten Massenausbruchs, als 38 IRA-Männer 1983 aus dem Hochsicherheitsknast Long Kesh entkamen. Storey soll auch den größten Bankraub aller Zeiten ausgeheckt haben: Die IRA erbeutete 2004 bei einem Überfall auf die Northern Bank in Belfast mehr als 26 Millionen Pfund.
Und er steckte hinter dem minutiös geplanten Einbruch in das Polizeirevier Castlereagh in Ostbelfast, eins der am besten gesicherten Gebäude in Europa. Die IRA erbeutete Listen mit den Kontaktdaten von Hunderten Polizeispitzeln und andere geheime Dokumente. Es kostete Millionen Pfund, um die enttarnten Agenten mit neuen Identitäten zu versorgen und sie in Sicherheit zu bringen.
Aber Storey war auch eine der Schlüsselfiguren im nordirischen Friedensprozess. Er folgte Adams’ Kurs bedingungslos und sorgte dafür, dass die IRA auf dem Weg zu einer politischen Lösung mit an Bord blieb. Storey starb Ende Juni im Alter von 64 Jahren nach einer missglückten Lungentransplantation.
Mal wieder eine Regierungskrise
Dass die Sinn-Féin-Führung an seiner Beerdigung teilnahm, war als Geste an die Hardliner gedacht, um den Dissidenten nicht das Feld zu überlassen. Die anderen vier Parteien in der Zwangskoalition, die im Belfaster Abkommen vom Karfreitag 1998 festgeschrieben ist, fordern nun den Rücktritt von Regierungschefin O’Neill. Nordirland hat mal wieder eine Regierungskrise.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!