Protest im Knast gegen Abschiebung: Ministerium ignoriert Hungerstreik
Ein Flüchtling beschuldigt die JVA Langenhagen, Hungerstreikende in Isohaft zu stecken. Die Behörde bestreitet das – und die Existenz von Hungerstreiks.
Durch die Isolation von den anderen Abschiebehäftlingen solle ihr Hungerstreik gebrochen werden, glaubt Yahya S., der vor seiner Haft im Protestcamp am Weißekreuzplatz in Hannover aktiv war. „Ich habe Angst davor, umzukippen, weil ich dann in diesen Raum muss“, sagte er während seiner Haft im Juli dieses Jahres.
Die niedersächsische Justizbehörde bestreitet, dass Abschiebehäftlinge in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Langenhagen voneinander isoliert untergebracht werden. Und sie bestreitet sogar, dass es in diesem Jahr überhaupt Hungerstreiks in der Haft gegeben hat. Bei der Zelle, die Yahya S. beschreibt, müsse es sich um einen „besonders gesicherten Haftraum“ handeln, sagt der Sprecher der Innenbehörde, Marco Hartrich.
Dort würden Häftlinge untergebracht, um zu verhindern, dass sie sich und andere gefährdeten. Hier könne eine „Selbstverletzung oder Selbsttötung zuverlässig verhindert“ werden, sagt Hartrich. Hungerstreikende aber habe es hier nicht gegeben.
In Niedersachsen werden Abschiebehäftlinge ausschließlich in der Justizvollzugsanstalt Langenhagen untergebracht. Der Bereich, in dem Abschiebehäftlinge leben, ist vom restlichen Gefängnis getrennt.
Abschiebehaft kann nur von einem Richter angeordnet werden und dient laut Gesetz dem Zweck, die Ausreise von Asylsuchenden sicherzustellen. Sie ist unzulässig, wenn der Zweck durch ein milderes Mittel erreicht werden kann.
Gründe für eine Inhaftierung sind beispielsweise eine ungeklärte Identität, die Prüfung des Einreiserechts oder eine Beweissicherung im Asylverfahren.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert, dass keine Abschiebehäftlinge mehr in Langenhagen inhaftiert werden, weil es ein normales Gefängnis ist.
Der niedersächsische Flüchtlingsrat bezweifelt, dass es in der JVA Langenhagen keine Asylsuchenden gab, die aus Verzweiflung und Protest das Essen verweigerten. Wenn es stimmte, was sich die Abschiebehäftlinge erzählten, sei das ein Skandal, sagt der Geschäftsführer der Organisation Kai Weber. Die Einweisung in eine solche Zelle würde „Leute auf unwürdige Art mürbe machen“, sagt er.
Der Hungerstreik sei immer das letzte Mittel eines Menschen, der sich nicht mehr anders zu helfen wisse. Dies sollte von den Behörden berücksichtigt und die Fälle der Betroffenen sollten noch einmal überprüft werden. „Menschen im Hungerstreik dürfen nicht abgeschoben werden“, fordert Weber.
Yahya S. berichtet jedoch noch von weiteren Missständen. Während seines Hungerstreiks sei er trotz anhaltender Nierenschmerzen nur zweimal untersucht worden. Dabei betont der Ministeriumssprecher, dass Menschen, die in der JVA das Essen verweigern, „täglich dem medizinischen Dienst zur Kontrolle ihres Gewichts und ihrer Vitalparameter vorgestellt“ würden. Rein theoretisch. Tatsächlich habe es ja keine Hungerstreikende gegeben.
Der Sudanese war in der Haft merklich dünn, fühlte sich schwach und verließ kaum mehr sein Bett. Sein Protest hat ihm nichts genutzt. Am 24. Juli wurde er abgeschoben. In Italien ist Yahya S. ein anerkannter Flüchtling. Nach geltendem Recht steht ihm in Deutschland kein Asyl zu.
Heute lebt der 28-Jährige in der Nähe von Mailand auf der Straße. Gemeinsam mit anderen Flüchtlingen hat er Unterschlupf in einem alten Bahnhofsgebäude gefunden. Sein Anwalt hatte über einen Dolmetscher Kontakt zu ihm: „Er hat ständig Angst, dass die Decke einstürzt.“ Die Zustände seien katastrophal. Über die bevorstehende Abschiebung seines Mandanten wurde Dias nicht von den Behörden informiert. „Dabei hätte er ja nicht einmal weglaufen können“, sagt er.
Die Vorsicht könnte daher rühren, dass ein früherer Versuch, den Sudanesen nach Italien auszuweisen, gescheitert war. Anfang Juli saß Yahya S. schon einmal im Flugzeug, als der Pilot fragte, ob er mit der Abschiebung einverstanden sei.
Yahya S. verneinte, woraufhin sich der Pilot weigerte, ihn mitzunehmen. Der Flüchtling wollte auf keinen Fall zurück nach Italien: „Selbst im Sudan war es besser“, sagte er damals. Zurück in Abschiebehaft brach er den Hungerstreik ab. „Er dachte, dass er sich nicht gegen die Abschiebung zur Wehr setzen könne“, sagt Dias – und er hatte recht damit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour