Protest gegen den Ukraine-Krieg: Neue Töne durchs Polizei-Megafon
Auf den Kundgebungen gegen den Ukraine-Krieg sind die üblichen Redeordnungen außer Kraft gesetzt. Wer etwas zu sagen hat, ergreift das Megafon.
![Eine Frau mit Megafon steht vor Demonstrant*innen, die Schilder mit der Aufschrift "No war" hochhalten Eine Frau mit Megafon steht vor Demonstrant*innen, die Schilder mit der Aufschrift "No war" hochhalten](https://taz.de/picture/5420967/14/276542704-1.jpeg)
Es ist eine Feststellung, keine Entschuldigung. Sie ist Ukrainerin und sie sagt, dass es Gespräche geben muss, um den Krieg zu beenden. Vor ihr hat ein junger Deutscher mit Mütze gesprochen und Waffen für die Ukraine gefordert. Nach ihr spricht eine ältere deutsche Frau: „Ich bin ratlos“, sagt sie.
Es ist ein neuer, ungewohnter Ton, den man auf diesen Kundgebungen hört. Es gibt wenig Gewissheiten. Keine Redeordnung, keinen Proporz, damit alle Veranstalter gleichermaßen zu Wort kommen. Keine Institutionen, auf deren Schultern man steht. Die Leute sagen ihren Namen und woher sie kommen, dann erzählen sie, was sie am Morgen von ihrer Großmutter in der Ukraine gehört haben.
Oder ein 57-Jähriger aus Seevetal erzählt von seiner 92-jährigen Mutter, die nicht geglaubt hatte, noch einmal einen Krieg in Europa zu erleben. Es klingt, als fühle sich der Sohn ein Stück weit schuldig, dass es doch so gekommen ist.
Frauen reden, Männer trommeln
Es sind vor allem junge Frauen, die etwas sagen. Oft sind sie es, die beginnen, „Slawa Ukrajini“ zu skandieren, „Hoch lebe die Ukraine“. Es ist der Gruß der ukrainischen Streitkräfte – aber er hat nichts Martialisches. Das könnten eher die Trommeln bei der Versammlung vor dem russischen Generalkonsulat haben, die meist von Männern geschlagen werden.
Aber auch da setzt sich ein anderer Ton durch: Sorge um die Menschen in der Ukraine. Der Wunsch, Putin zu stoppen. Die Überzeugung, dass der Präsident nicht für das gesamte russische Volk spricht. Dank dafür, dass so viele Menschen gekommen sind, um ihre Solidarität zu zeigen.
Wenn dann einmal jemand als Vertreter einer Institution spricht, wirkt es sonderbar fremd. Zum Beispiel der Parteienvertreter, der den „Damen und Herren“ seine Solidarität versichert. Oder der Mann, der als Ehemann einer Ukrainerin und als Gewerkschaftler spricht. Natürlich, denkt man, sie wollen zeigen, dass die Institution, die sie vertreten, dem Ganzen nicht gleichgültig gegenübersteht. Und setzt man selbst nicht gerade seine Hoffnung auf Institutionen – auf den Bundestag, auf die EU, auf andere?
Und doch gibt es ein Moment in diesen kleinen, spontan zusammengerufenen Zusammenkünften, das einen erreicht, weil es so unvertraut ist: Schweigen, weil es eine kurze Zeit lang nichts zu sagen gibt. Eine gemeinsam ertragene Hilflosigkeit. Ein Zorn, der von Anfang an weiß, dass er sich nicht zum Flächenbrand steigern darf. Wäre der Grund für diese Demos nicht so trostlos – man könnte in all dem eine Verheißung sehen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Gerichtsentscheidung zu Birkenstock
Streit um die Sandale