piwik no script img

Protest gegen Tschechiens RegierungVom Volk weit entfernt

Kommentar von Alexandra Mostyn

Der Großprotest in Prag offenbart: Tschechiens Regierungschef Fiala dringt mit seinen Durchhalteparolen nicht durch. Auch die Opposition versagt.

Nachlassende Solidarität mit der Ukraine: „Tschechische Republik zuerst“, fordern Demonstranten Foto: Petr David Josek/ap/dpa

A ls Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala am 1. September das neue Schuljahr in Tschechien mit einer Stippvisite in einer Grundschule einläutete, hatte er für die Erstklässler nicht nur Tipps für den beginnenden Ernst des Lebens mit dabei, sondern auch einen beliebten tschechischen Kinderbuchklassiker namens „Käferchen“, den er als Lebensweisheit für Abc-Schützen unter seinen kleinen Gastgebern verteilte. Was als kleiner PR-Gag und Schulterschluss zwischen Politik und Bürgern-in-process gedacht war, zeigte sich als weiterer „Fail“ in Fialas glücklosem Regieren.

Die Käferchen sind allesamt unmündige kleine Würmchen, die sich glücklich damit arrangiert haben, sich von einer unbekannten spekulativen Macht von außen determinieren zu lassen. Ihre Geschichte endet damit, dass der Winter kommt und alle erfrieren. Ob Fiala mit seiner Buchwahl etwas andeuten oder ob er einfach erneut unter Beweis stellen wollte, dass er im Dunkeln tappt, sei dahingestellt. So wie er sich verhält, wäre beides möglich.

Angetreten als bürgerlicher Politologieprofessor schaut Fiala nach zehn Monaten Regierungszeit eher drein, als ob ihn selbst das Verständnis eines Kinderbuches überfordern würde. Dem Ministerpräsidenten fehlt der Gegenstandsbezug: Durchhalteparolen gegen Wladimir Putin und für den Westen verringern die berechtigten Ängste der Durchschnittstschechen nicht. Von denen hat sich die Regierung längst entfremdet, wobei die Alternative nicht im Parlament, sondern im politischen Randspektrum sitzt.

Doch der demokratische Prozess hat in Tschechien schon längst einen Knacks. Denn genauso wie die Regierung versagt die Opposition, die eher dem demokratischen System im Land und seinen internationalen Verbindungen gilt als der aktuellen Politik. Beide Oppositionsparteien, kurz Babis Okamura, bieten dabei keine Alternative. Sie sind Rattenfänger, nichts weiter. Das Problem Fialas ist aber, dass er ihnen die Weisen gibt, zu der sie ihre Musik spielen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Auslandskorrespondentin Tschechische Republik
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • "Durchhalteparolen gegen Wladimir Putin und für den Westen verringern die berechtigten Ängste der Durchschnittstschechen nicht. Von denen hat sich die Regierung längst entfremdet"

    Selbstverständlich bestehen keinerlei Parallelen zur "Frieren für Selensky und Shell-Aktionäre"-Politik von Robbie und Olaf ;)

  • Was mich be so etwas eher besorgt ist, wie leicht sich nationalistische (und demnach fremdenfeindliche) Gespenster heraufbeschwören lassen.

    Ich meine: wenn eine Regierung ihren Job nicht tut, dann ist es (in einer halbwegs funktionierenden Demokratie erst recht) möglich, ihr das Handwerk zu legen.

    Aber ist es notwendig, der Erzählung zu huldigen, dass diejenigen, die "hier" geboren sind irgendwie besser seien als anderswo? Davon abzulenken, dass es eher gut wäre, ein Gegengift gegen den neoliberalen Vormarsch der letzten fünfzig Jahre zu finden?

  • Die tschechische Staatskasse ist leer - weil Babiš sie geleert hat. Durch seine völlig planlose Coronapolitik, durch bei seiner ältlichen Basis populäre, aber wirtschaftlich sinnlose Wahlgeschenke an Senior_innen und durch dergleichen mehr. Das Wirtschaften in die Tasche seiner eigenen Unternehmen, so moralisch verwerflich es auch ist, war da noch der kleinste Kratzer am Staatshaushalt.



    Und damit hat die Regierung Fiala eben kaum Mittel um der massiven Teuerung in Tschechien entgegenzuwirken.



    Ich frage mich, wo da die so vielbeschworene europäische Solidarität bleibt. Deutschland steht in der aktuellen Krise auch nicht golden, aber um viele Male besser und stabiler da, als sein südöstliches Nachbarland. Liefer- und Preisgarantien für Gas an Tschechien könnten wir uns schon leisten. Das wäre ein Anfang.



    Ein neuer europäischer Solidaritätsfond könnte folgen.



    Schließlich haben wir selbst nichts davon wenn in unseren Nachbarländern der Markt zusammenbricht und die Demokratie (noch mehr) ins Wanken gerät.

  • Bald auch in Deutschland, ich zähle schon die Tage...