Protest gegen Niedersachsens Polizeigesetz: Fast wie in Bayern
In Niedersachsen vernetzen sich Kritiker des neuen Polizeigesetzes. Sie planen eine Großdemo am 8. September.
Sogenannte Gefährder unbegrenzt in Präventivhaft nehmen? Das sei „nicht sinnvoll“, sagt Pistorius und versucht, gegenüber dem Koalitionspartner CDU und deren Hardliner Uwe Schünemann ein eigenes Profil zu wahren. Immerhin war Schünemann selbst zehn Jahre lang auf Pistorius’Posten und hat als Innenminister den Seehofer gespielt.
Die Hoffnung der KritikerInnen des neuen Polizeigesetzes gehen in eine andere Richtung. Ihre Einwände sollen Gehör finden – anders als in Bayern, wo Zehntausende demonstrierten, sich die CSU aber nicht beirren ließ und das Gesetz verschärfte. Ein breites Bündnis ruft nun für den 8. September zu einer Großdemo in Hannover auf.
Schließlich sind auch die Gesetzesänderungen in Niedersachsen kein Pappenstiel. SPD und CDU wollen mit dem neuen Polizeigesetz unter anderem 74 Tage Präventivhaft für gefährliche Personen einführen und elektronische Fußfesseln anlegen können. Vorbeugend sollen Telefone überwacht und E-Mails mitgelesen werden, unter anderem mittels Trojaner-Software.
Es sind Verschärfungen, die in fast allen Bundesländern anstehen – auch als Reaktion auf den Anschläge auf den Weihnachtsmarkt in Berlin 2016. Die Polizei soll reagieren, noch bevor etwas passiert ist – auch wenn das heißt, Menschen einzusperren, die noch keine Straftat begangen haben. Ein Paradigmenwechsel, der sich in den letzten Jahren bereits schleichend vollzogen hat. In Bremen steht der Gesetzesprozess still, seit der grüne Koalitionspartner gegen die von der SPD geplanten Verschärfung intervenierte.
In Niedersachsen aber sind nicht nur im Bereich der Terrorabwehr Verschärfungen geplant. Auf Demonstrationen soll Vermummung wieder als Straftat gelten, die öffentliche Überwachung soll ausgeweitet und PolizistInnen sollen mit Taserwaffen ausgestattet werden.
Für den grünen Abgeordneten Belit Onay steht mit dem Polizeigesetz viel auf dem Spiel: „Die Bürgerrechte werden verramscht“, sagt er. Wohl auch deshalb ist die Opposition in diesem Fall ungewöhnlich breit. Im Landtag hält etwa auch die FDP mit dagegen.
Außerhalb des Parlaments erreichte eine Petition gegen das Polizeigesetz auf den Seiten der Organisation „Campact“ am Dienstag über 22.000 Unterschriften. In einem neuen Bündnis sammeln sich verschiedenste Akteure, darunter neben der Grünen Jugend auch die Jusos, der Jugendverband von Ver.di, Antifagruppen, Linkspartei, der Verein Digitalcourage, aber auch der Niedersächsische Flüchtlingsrat oder Vertreter von Fußball-Fangruppen. .
Auch die Göttinger Anwälte Sven Adam und Rasmus Kahlen sind gegen das Polizeigesetz aktiv. „Es wird immer gesagt, es gehe um Terrorabwehr“, sagt Kahlen, „die Maßnahmen, die geplant werden, haben mit Terrorabwehr aber nichts zu tun, sondern sind eine Ausweitung der Kompetenz der Polizei und eine Aushöhlung von Bürgerrechten.“ Seine Kritik wird er am Mittwoch mit Sven Adam auf einer Veranstaltung im Holborn’schen Haus in Göttingen vortragen. Adam ist zudem in den Landtag geladen. Drei Tage lang sollen Fachleute im August zu dem Gesetz gehört werden.
Kahlen weist darauf hin, dass bei der Präventivhaft im Gesetz nicht von „Terroristen“ oder „Gefährdern“ gesprochen werde, sondern generell von „gefährlichen Personen“. Er erinnert an einen Fall, bei dem eine junge Antifaschistin übers Wochenende in Präventivhaft genommen worden sei, weil sie gegen den AfD-Parteitag demonstrieren wollte. Und wo? In Bayern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge