Protest gegen Lohndumping: „Kontrollen sichern unsere Arbeit“
Tausende Gewerkschafter demonstrieren in Brüssel gegen Hungerlöhne. Sie werfen den EU-Kommissaren vor, von Lobbyisten beeinflusst zu sein.
BRÜSSEL taz | Sie kamen aus der ganzen Europäischen Union, um der EU-Kommission eine klare Botschaft zu übermitteln: „Es ist kalt in Europa, und das liegt nicht nur am Wetter. Wir haben es satt, dass wir für dumm verkauft werden. Wir brauchen effektive Gesetze gegen Lohndumping in der EU“, rief Dietmar Schäfers, der stellvertretende Vorsitzende der deutschen Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt den über 4.000 Demonstranten in Brüssel zu.
Gekommen waren überwiegend Gewerkschafter, aber auch einige Betroffene des Sozialdumpings in den EU-Ländern: eine Gruppe polnischer Bauarbeiter etwa, die in Belgien nach eigenen Angaben jahrelang für Hungerlöhne geschuftet hatte. „Wir haben es ganz lange gar nicht gewusst, dass wir so schlecht bezahlt wurden im Vergleich zu den belgischen Arbeitern. Wir waren als Selbstständige gemeldet, obwohl wir eigentlich gar nicht selbstständig waren“, sagte einer von ihnen.
Die Gewerkschafter zogen einen riesigen Wagen mit einem Betonmischer durch die Straßen der EU-Hauptstadt. In der Maschine steckte ein Arbeiter – als Symbol für die Ausbeutung auf den europäischen Baustellen. „Stoppt Sozialdumping. Nur effektive Kontrollen auf den Baustellen sichern unsere Arbeitsplätze“, stand auf den Plakaten.
Aus Deutschland waren rund 900 Arbeitnehmer dabei – vor allem diejenigen, die unter der Konkurrenz der Billigarbeiter leiden. „Ich arbeite in der Gebäudereinigung, und wir verlieren immer mehr Aufträge an Firmen, die Billiglöhne zahlen und deshalb billigere Angebote machen können“, erzählte eine Frau. Mehrere Kollegen seien deshalb bereits entlassen worden.
Arbeitnehmervertreter gegen EU-Kommissar
Die Demonstranten zogen durch die Brüsseler Innenstadt bis zur Europäischen Kommission. Dort traf sich eine Abordnung der europäischen Gewerkschaften mit dem zuständigen EU-Kommissar Laszlo Andor. Ihn forderten die Arbeitnehmervertreter auf, die umstrittene Durchsetzungsrichtlinie zurückzunehmen beziehungsweise komplett zu überarbeiten.
Damit werden sie wohl kaum Erfolg haben. Der EU-Kommissar verkauft die Richtlinie als eine Waffe im Kampf gegen Sozialdumping und Schwarzarbeit. „Die Kommissare sind von Lobbyisten so beeinflusst worden, dass ihnen der Blick für die Realität fehlt“, sagte Schäfers. Er hofft, dass sich die EU-Kommission und die EU-Abgeordneten doch noch umstimmen lassen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung