Protest für Abtreibungsrechte in den USA: Ausgehöhlt und umgangen
In den USA könnte womöglich die Abtreibungsfreiheit fallen. Mehrere Bundesstaaten halten dafür schon drakonische Gesetze bereit.
Und die Vergangenheit: Hoffman hat 1971 eine der ersten Abtreibungskliniken der USA gegründet, das Choices Women’s Medical Center im New Yorker Stadtteil Queens, und zwar zwei Jahre, bevor der Supreme Court Abtreibungen auf nationaler Ebene legalisierte.
Schon vor Jahrzehnten demonstrierte sie mit einem großen Kleiderbügel als Mahnmal für die drohenden Gefahren, wenn ungewollt Schwangeren der Zugang auf sichere Abtreibungen genommen wird. „Der Kleiderbügel ist eines der Dinge, die Frauen seit langer Zeit benutzt haben, um eine Abtreibung selbst herbeizuführen“, erklärt Hoffman nun. „Denn wie Ihr wisst: Nichts wird Frauen davon abhalten, ihre eigene Fruchtbarkeit zu kontrollieren.“
Ihre Warnung ist dringlich: Das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten könnte bald das „Roe v. Wade“ genannte Grundsatzurteil von 1973 aufweichen oder gar kippen. Im Juni soll es zu einer Entscheidung kommen.
Andere Mehrheitsverhältnisse am Supreme Court
Nach dem Grundsatzurteil sind Abtreibungen so lange erlaubt, bis der Fötus außerhalb des Mutterleibs lebensfähig wäre – etwa nach 22 bis 24 Wochen. Nun soll der Supreme Court aber ein Gesetz aus Mississippi prüfen, dass Abbrüche nach der 15. Woche verbietet. Der Staat im Süden der USA hat das Gericht ausdrücklich darum gebeten, „Roe v. Wade“ sowie ein Urteil aus 1992, das es bestätigte, zu kippen.
Schon zuvor hatten konservative Bundesstaaten immer wieder versucht, vor dem Supreme Court Gehör zu finden – doch die Richter:innen hatten es stets abgelehnt, sich solche Fälle strengerer Abtreibungsgesetze anzuhören. Das änderte sich mit den Mehrheitsverhältnissen im Obersten Gericht: Der frühere US-Präsident Donald Trump hatte bereits vor seiner Wahl erklärt, im Fall der Fälle solche Richter:innen zu nominieren, die „Roe v. Wade“ kippen würden.
Er hatte in seiner Amtszeit dreimal die Möglichkeit, sodass inzwischen sechs von neun Richter:innen als konservativ gelten – und Abtreibungsgegner:innen nun ihre Chance endlich gekommen sehen.
In 26 Bundesstaaten droht ein Abtreibungsverbot
Gleich mehrere republikanische Bundesstaaten schreiten nun schon mal mit teils drakonischen Gesetzen voran, da sie das Ende der Abtreibungsfreiheit erwarten. Die US-amerikanische Organisation Guttmacher Institute rechnet damit, dass 26 der US-Bundesstaaten höchstwahrscheinlich oder mit Sicherheit Schwangerschaftsabbrüche verbieten, sollte „Roe v. Wade“ demnächst fallen.
In Oklahoma beispielsweise harrt für diesen Fall ein Gesetz der Unterschrift des Gouverneurs, das ein fast komplettes Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen bedeuten würde. Eine Abtreibung durchzuführen, wäre demnach strafbar und würde mit bis zu zehn Jahren Haft und/oder Geldstrafe von bis zu 100.000 US-Dollar geahndet. Die einzige: Ausnahme: Wenn die Abtreibung dazu diene, „das Leben einer schwangeren Frau in einem medizinischen Notfall zu retten“.
Das ist umso bitterer, da Oklahoma einer der Orte ist, in den Schwangere aus Texas zur Abtreibung fliehen, seit dort wiederum ein Weg gefunden wurde, „Roe v. Wade“ zu umgehen. In Texas gilt seit dem 1. September 2021 das sogenannte Herzschlag-Gesetz. Es verbietet Schwangerschaftsabbrüche ab dem Zeitpunkt, da ein Herzschlag beim Embryo feststellbar sei – etwa ab der sechsten Woche, heißt es.
Expert:innen sagen aber, dass bis dahin noch kein Herz beim Embryo, sondern nur ein Zellcluster ausgebildet sei und sich das Pochen im Ultraschallgerät nur aus elektrischer Aktivität des Zellclusters ergebe.
Privatpersonen als zivilrechtliche Kläger
Der rechtliche Kalkül in Texas: Privatpersonen dürfen demnach die Personen zivilrechtlich verklagen, die an einer Abtreibung mitwirken – vom Taxifahrer auf dem Weg zur Klinik bis zur dortigen Ärztin. Der Staat sei nicht beteiligt, so die Rechnung, und das macht es schwieriger, das Gesetz anzufechten.
Ein ähnliches Gesetz soll bald auch in Idaho in Kraft treten. Bisher prüft es jedoch noch das Oberste Gericht des Bundesstaats auf seine Rechtmäßigkeit.
„Wir müssen unseren Mut erneuern“, ruft Merle Hoffman in New York nun ins Mikro und fordert dazu auf, für die Abtreibungsfreiheit zu kämpfen. Die Demonstrierenden klatschen, viele von ihnen tragen grüne Jacken, Ketten sowie Bandanas wie auch schon die argentinische Bewegung für Abtreibungsrechte.
Festnahme in Texas
Große Massen sind allerdings nicht gekommen zum Protest, der nach Angaben von „Rise up 4 Abortion Rights“ auch in Atlanta, Chicago, Austin, Boston und anderen Städten stattfinden sollte.
Dabei scheint Hoffmans Kleiderbügel-Warnung realistisch: Wie die Nachrichtenagentur ap berichtete, ist am Donnerstag erst eine 26-Jährige im Süden Texas festgenommen und wegen Mordes angeklagt worden, die laut den örtlichen Behörden selbst eine Abtreibung vorgenommen hatte.
Mehr Details dazu, ob die Frau bei sich selbst oder jemand anderem den Abbruch herbeigeführt haben soll, wurden bisher nicht bekannt. Nach Angaben des texanischen Abtreibungshilfsfonds „Frontera Fund“ ist sie am Samstag gegen Kaution freigelassen worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles