Klimaforschung in Bremen: Prophetische Fossilien
Der Klimawandel hat regional unterschiedliche Auswirkungen. Um die besser vorherzusagen, untersucht ein Forscherteam Eiszeit-Mikrofossilien vom Meeresgrund.

Wer Klimaentwicklungen verstehen und einen Blick in ihre Zukunft werfen will, betritt die Welt der Modelle, der Simulationen, der Rekonstruktionen, Szenarien und Prognosen. Und manchmal ist es der Blick in die Vergangenheit, der den Blick in die Zukunft verlässlicher macht.
Die federführend vom Bremer Mikropaläontologen Lukas Jonkers verfasste Studie „Strong temperature gradients in the ice age North Atlantic Ocean revealed by plankton biogeography“, also auf Deutsch in etwa „Starke, anhand der Biogeografie des Planktons erkennbare Temperaturgradienten der Eiszeit im nördlichen Antlantik“ ist im Fachmagazin „Nature Geoscience“ erschienen.
Ein Temperaturgradient ist die erste Ableitung der Temperatur nach einer Ortskoordinate. Er gibt Auskunft darüber, wie stark und in welcher Richtung sich die Temperatur an dem bestimmten Ort ändert. So hat das Team vom Bremer Marum, dem Zentrum für marine Umweltwissenschaften, mithilfe der Überbleibsel von Eiszeit-Mikroben die Klimaauswirkungen des Letzteiszeitlichen Maximums untersucht, einer Spanne von einigen Millennien rund um 20.000 vor unserer Zeitrechnung. Seither lassen sich Klimamodellrechnungen besser überprüfen.
Mikrofossilien erlauben Blick in Klima-Vergangenheit
Die Studie befasst sich mit planktonischen Foraminiferen. Das sind Meeres-Kleinstlebewesen, die Kalkgehäuse bilden. Nach dem Tod sinken diese Schalen auf den Grund, wo sie als Mikrofossilien überdauern. Sie erlauben einen Blick in Klima-Vorgänge der Vergangenheit. Über 2.000 Artengemeinschaften hat die Studie ausgewertet, von 647 Standorten.
Das klingt wie eine Titanenaufgabe. „Das war es auch“, sagt Jonkers der taz. „Aber natürlich haben wir die Daten nicht alle selbst erhoben. Wir haben stark auf Bestände zurückgegriffen, die bereits vorlagen.“
Die Studie ist eine internationale Gemeinschaftsleistung. Auch die Carl-von-Ossietzky-Uni Oldenburg war beteiligt, das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Potsdam und Bremerhaven, das Southern Marine Science and Engineering Guangdong Laboratory Zuhai in China und die Oregon State University in den USA.
An den Fossilien habe man ablesen können, so wird die Relevanz der Ergebnisse erläutert, „dass Klimamodelle die durchschnittliche Temperatur der Ozeane im letzten Hochglazial vor etwa 20.000 Jahren richtig berechnen, die simulierte räumliche Verteilung aber zu gleichmäßig ist und sie daher nur bedingt für künftige Klimaaussagen gilt“. Es ist also wichtig, das Globalphänomen auch kleinteilig zu betrachten.
Klimawandel hat regional unterschiedliche Auswirkungen
Artengemeinschaften unterscheiden sich stärker voneinander, je größer die Entfernung zwischen ihnen ist. „Im marinen Bereich sehen wir einen größeren Rahmen dessen, nämlich wenn wir Spezies vom Äquator anschauen“, sagt Jonkers. „Je weiter wir dann in Richtung Pol gehen, desto mehr verändern sich die Arten.“
Diese Verschiedenheit sei eine Folge unterschiedlicher Temperatur. „Würden die Klimamodelle also die Temperaturen der Vergangenheit korrekt simulieren, müssten wir beim Vergleich der simulierten Temperaturen mit den fossilen Artengemeinschaften dasselbe Muster feststellen.“ Aber die simulierten Temperaturen stimmten nicht mit den realen der Eiszeit überein, wie die Fossilien zeigen. Zeit also, nachzujustieren.
Die „Strong temperature gradients“-Studie ist Teil des Klimamodellierungs-Verbundprojekts Paleo Modelling. Gefördert durchs Bundesministerium für Forschung rekonstruiert es die Klimageschichte der letzten 130.000 Jahre. Das soll helfen, besser einzuschätzen, wie die Klimaveränderungen der Zukunft aussehen könnten.
Der globale Klimawandel werde „auch regional unterschiedliche Auswirkungen haben“, sagt Jonkers. „Unsere Gesellschaft und die Ökosysteme hängen letztlich davon ab, was auf kleineren räumlichen Skalen, nämlich um uns herum geschieht.“
Die Studie spricht vom Letzteiszeitlichen Maximum als einem „nützlichen Testfall“. Die Makroökologie könne „zur robusten Diagnose von Klimasimulationen der Vergangenheit genutzt werden“. Es gilt also, Modell-Parameter auf den Prüfstand zu stellen, für noch mehr Realitätsnähe.
Klimaschutz. Viele assoziieren hier: Krise, Verzicht. Und wehren ab. Würden wir das, was wir gegen die anthropogenen Erhitzungsaktivitäten vorbringen, stattdessen Menschenschutz nennen, wäre das vielleicht anders.
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